Budapest Pride March 2012
Trotz zunehmend autoritär-völkischer Formierung der ungarischen Gesellschaft ging die Pride Parade heuer ohne größere Zwischenfälle über die Bühne.
Der Stadtpark ist weitflächig abgesperrt. Neben den Zufahrtsstraßen steht sogar berittene Polizei. Zum ersten Mal wollen heuer die Organisator*innen der Budapest Pride mit einem Picknick den Auftakt zur Parade geben. Mit dabei sind prominente Redner*innen, die ihre Unterstützung bekunden und für diplomatischen Rückhalt sorgen. Die Gruppe radicalqueer hat zum vierten Mal die gemeinsame Anreise von Aktivist*innen aus Wien organisiert. Die beiden Busse aus Wien treffen wegen der weiträumig gesperrten Straßen zu spät ein, um noch am Picknick teilzunehmen.
Um 16 Uhr setzt sich die Menschenmenge in Bewegung. Die Stimmung ist gut, aber auch angespannt. Die Polizeipräsenz erinnert ständig daran, dass die politische Sichtbarmachung vermeintlich normabweichender Lebens- und Liebesmodelle sowie grenzüberschreitender Geschlechteridentitäten auf gefährlichen Widerstand stößt. Wie jedes Jahr findet die Parade mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Passant*innen haben kaum eine Möglichkeit, die Demo zu sichten, weil auch die Seitenstraßen abgeriegelt sind. Jene, die hinter den Tretgittern zusehen, scheinen – im Gegensatz zu den letzten Jahren – positiv gesinnt, sie winken und rufen. Um die 3.000 Menschen soll es heuer auf die Pride gezogen haben – so viele wie noch nie.
Rechtsextreme Gegendemonstration
Auf dem Erzsébet tér hat die rechtsextreme Oppositionspartei Jobbik eine Gegenkundgebung angemeldet. Die Polizei hat eine Pufferzone zwischen Parade und Jobbik-Veranstaltung eingerichtet. Immer wieder gibt es Durchbruchsversuche vonseiten der Gegendemonstrant*innen, einige gehen mit Reizgas gegen die Polizei vor, es gibt zehn Festnahmen. Zwischen 300 und 400 Leute haben sich laut Berichten auf der homo- und transphoben Versammlung eingefunden. Dort weht die rot-weiß-gestreiften Árpád-Flagge, die heute von rechtsextremer, völkischer und manchmal auch konservativer Seite getragen wird. Sie steht als Symbol für die Großungarn-Idee und war historisch mit einer Reihe von Herrschern und Bewegungen verknüpft, u. a. mit den nationalsozialistischen Pfeilkreuzler*innen.
Auch György Gyula Zagyva, Abgeordneter der Jobbik, ist an vorderster Front bei der Gegendemo dabei. Bilder zeigen ihn wild gestikulierend vor der ersten Polizeiriege. Das T-Shirt mit dem Emblem der rechtsextremen und revisionistischen 64-Burgkommitate-Jugendbewegung (HVIM), deren Vorsitzender er war, hatte er schon im vorigen Jahr zum selben Anlass getragen.
Aufruf zu homophober Gewalt im Vorfeld der Parade
Zum 17. Mal konnte die Budapest Pride heuer in Ungarn stattfinden. Sie bildete den Abschluss der LGBTIQ-Film- und Kulturfestwoche Pride Week. Diese schloss heuer außerdem zeitlich an die jährlich veranstalteten Eurogames an, die zum ersten Mal in Budapest ausgerichtet wurden. Der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit hatte vor Beginn der Eurogames seinen Budapester Amtskollegen István Tarlós (Fidesz) gebeten, für ausreichenden Schutz für das lesbisch-schwule Sportereignis zu sorgen. Tarlós lehnte dies ab: Er könne eine solche Veranstaltung nicht gutheißen, schrieb er in einem Antwortbrief an Wowereit und distanzierte sich als „Oberbürgermeister und auch als Privatmensch“ von „einer solchen Lebensweise“.
Auf einer rechtsextremen Webseite wurden Ende Juni unter dem Titel „Die Jagdsaison hat begonnen“ eine Liste mit Fotos und privaten Daten von angeblichen Organisator*innen der Eurogames veröffentlicht und die betreffenden Personen zum Abschuss freigegeben. Mangelnde Unterstützung kam aber auch von Seiten der Polizei, die den Pride March wie in den vergangenen Jahren verboten hat. Erst in zweiter Instanz, beim Budapester Stadtgericht, wurde die Verbotsbegründung zurückgewiesen: „Unverhältnismäßige Verkehrsbehinderung“ reiche nicht aus, um die Versammlungs- und Meinungsfreiheit einzuschränken. Trotz der anfänglichen Schwierigkeiten wurden die Veranstaltungen der Pride Week aber schließlich polizeilich stärker beschützt als in den Jahren davor.
Rechtsruck seit 2006
Diese Form von Schikanen, die rechtlichen Einschränkungen, die Häufung von Gewaltaufrufen und die Angriffe auf die Budapest Pride sind den Entwicklungen der letzten Jahre geschuldet, beginnend mit den Antiregierungsprotesten von 2006. Diese skandalisierten zwar primär die Korruptionsfälle der damals regierenden sozialdemokratischen MSZP schlugen aber von Anbeginn eine Schneise für antisozialistische und -kommunistische Propaganda. Erst seit 2007 ist die Budapest Pride Angriffen ausgesetzt; davor konnte sie einigermaßen sicher stattfinden. Dies entspricht der zunehmend autoritär-völkischen Formierung der ungarischen Gesellschaft und der Radikalisierung rechtsextremer Gruppen im Zuge der Proteste 2006.
Seit 2010 hält die rechtsnationale Fidesz unter Ministerpräsident Viktor Orbán die Zweidrittelmehrheit im Parlament. Jobbik konnte bei denselben Wahlen über 16 Prozent der Stimmen erlangen. Verbal sowie in der Wahl der Mittel tritt die Regierungspartei gemäßigter auf als Jobbik. Die beiden Parteien stehen in Wahlkampfkonkurrenz zueinander – es verbindet sie aber auch eine Geschichte der Kooperation. Beide zeichnen dafür verantwortlich, dass sich ein völkischer, antiziganistischer und antisemitischer Kurs in Ungarn durchgesetzt hat. Fidesz konnte eine neue Verfassung beschließen, die Anfang des Jahres in Kraft trat. Ihre Präambel enthält das Bekenntnis zur Familie – als Bund zwischen Mann und Frau vor Gott –, zum Christentum und zum Patriotismus. Der republikanische Grundsatz ist offiziell durch die Umbenennung der „Republik Ungarn“ in „Ungarn“ aufgehoben.
In einem von ILGA 2011 erstellten Ranking wurde Ungarn in Bezug auf die Antidiskriminierungsgesetzgebung zugunsten der LGBTIQ Community vor Österreich gereiht. Das ist darauf zurückzuführen, dass in Ungarn Arbeitsrechte sowie der Zugang zu Waren und Dienstleistungen auf Basis sexueller Orientierung besser geschützt waren als in Österreich. Diese liberalen Gesetze sind für das völkische Lager ein Ärgernis. Jobbik brachte im April 2012 einen Gesetzesentwurf ein, der Haftstrafen für „Werbung für Homosexualität“ vorsieht. Unter „Werbung“ versteht Jobbik auch Informationsbroschüren und Treffpunkte der LGBTIQ Community.
Antisemitismus und Antiziganismus im völkischen Kleid
Das Budapest Pride Festival war heuer verstärkt darauf bedacht, auf Marginalisierung von Menschen innerhalb der Community aufmerksam zu machen und das Problem der mehrfachen Diskriminierung – einerseits durch Homo- und Transphobie, aber auch durch Antisemitismus oder Antiziganismus – anzusprechen. Dass sich die beiden letztgenannten momentan in Ungarn offen manifestieren, lässt sich anhand unzähliger Beispiele nachweisen. So wurde zynischerweise ein Hate-Crime-Gesetz, das bei (rassistischer oder auch homophober) Gewalt gegen eine benachteiligte Gemeinschaft höhere Haftstrafen vorsieht, gegen elf Männer aus einem von Roma bewohnten Viertel in Miskolc verwendet. Sie hätten aus Hass gegen Magyaren Gewalt angewendet. Die „Magyaren“ waren drei Rechtsextreme, die mitten in der Nacht mit einem Benzinkanister im Auto durch die Wohnsiedlung fuhren, nachdem die Polizei ihre Einschätzung kommuniziert hatte, dass in dieser Nacht mit Übergriffen der Ungarischen Garde auf Roma und Sinti zu rechnen sei.
Seit Jahren ist Gewalt gegen Roma und Sinti an der Tagesordnung. Besonders der ungarische Ort Gyöngyöspata hat es aus traurigen Anlässen in die Medien geschafft: Dort patrouillieren immer wieder rechtsextreme paramilitärische Einheiten, machen Stimmung gegen Roma und organisieren Schlägertrupps. Heute ist dort ein Jobbik-Politiker Bürgermeister; arbeitslose Roma müssen Zwangsarbeit verrichten, und Roma-Kinder werden von den „magyarischen“ Kindern getrennt unterrichtet. Der Diskurs ist durch eine Argumentation geprägt, die alle nicht „ungarisch“ denkenden und handelnden Menschen aus der Gemeinschaft ausgliedert. Alles nicht-konforme kann so zum Äußerlichen erklärt werden – auch Homosexualität sei keine ungarische „Lebensweise“, sondern durch ausländische Kräfte aufgezwungen, die weltweit eine homosexuelle Agenda durchsetzen wollten. Neben der EU wird mit Vorliebe und in antisemitischer Manier Israel als Macht dargestellt, die Ungarn seinen Willen aufzwingen würde. Im Mai 2012 wurde aufgezeichnet, wie ein Fidesz-Politiker einem bekannten ungarisch-jüdischen Schauspieler mit den Worten „Székhelyi tritt hier nicht auf, er ist ein stinkender Jude von den Liberalen“ Auftrittsverbot in der ungarischen Stadt Eger erteilte. Immer wieder tauchen altbekannte antisemitische Topoi der Geldgier, des Egoismus und der Illoyalität auf.
Verfahren vom vorigen Jahr eingestellt
Eine erfreuliche Nachricht gibt es allerdings: Die Budapester Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen zwei Aktivisten aus Wien ein. Sie waren 2011 im Anschluss an die Budapest Pride von György Gyula Zagyva angezeigt worden, nachdem eine Gruppe von Gegendemonstrant*innen die Wiener Aktivist*innen am Weg von der Pride zum Bus angegriffen hatte. Der Jobbik-Abgeordnete hatte versucht, die Angreifer*innen als Opfer darzustellen. Letztlich konnte der Tatbestand des „groben Vandalismus“ nicht nachgewiesen werden; daher wurde keine gerichtliche Anklage erhoben.
Diese Form der gewollten Provokation bis hin zu tätlichen Übergriffen erzeugt aber eine Stimmung der Bedrohung und Angst, die in erster Linie in Budapest lebende Lesben, Schwule, transsexuelle Menschen oder als solche Wahrgenommene zu spüren bekommen.
Die beiden Busse aus Wien konnten heuer ohne Zwischenfälle wieder abreisen. Die Ereignisse des letzten Jahres zeigen, dass die Parade selbst von der Polizei einigermaßen effektiv abgeschirmt wird; unmittelbar davor und danach kam es aber immer wieder zu Angriffen auf (vermeintliche) Pride-Teilnehmer*innen.
Autor*innenkollektiv radicalqueer
ist eine Gruppe aus Wien, die verstärkt zu den Themen (Queer-)Feminismus, Antifaschismus und Antihomophobie arbeitet. U.a. organisiert sie seit einigen Jahren die gemeinsame Anreise von Aktivist*innen aus Wien zum Budapest Pride March.
Links
pusztaranger: „Rassistische Gewalt“: Hohe Haftstrafen für Roma
Pesterlloyd: Schauspieler wird Auftritt verwehrt
Jungle World: Segregation in der Schule in Gyöngyöspata