Der Breixit und was Kultureinrichtungen dagegen hätten tun können

Der Breixit erschütterte auch die Kulturlandschaft in Großbritannien. Während 48% der Menschen für einen Verbleib in der EU stimmten, waren doch 52% für einen Austritt. Die Kampagne wurde am Ende durch Emotionen bestimmt und auch auf diese Art gewonnen. Kultureinrichtungen hätten genau hier ansetzen können. Und haben es vielleicht verabsäumt, mit ihrer Schlüsselfunktion etwas am Ergebnis zu ändern.

Breixit, Clymene Christoforou bei Beyond the Obvious von Culture Action Europe

Der Breixit erschütterte auch die Kulturlandschaft in Großbritannien. Während 48% der Menschen für einen Verbleib in der EU stimmten, waren doch 52% für einen Austritt. Die Kampagne wurde am Ende durch Emotionen bestimmt und auch auf diese Art gewonnen. Oder letzten Endes deshalb verloren, wie Clymene Christoforou, Leiterin des ISIS Arts in Newcastle meint. Nämlich durch den Mangel an emotionaler Verbindung zu diesem Ort namens Europa. 

Die Maschinerie hinter der Austrittskampagne arbeitete mit sehr klaren und starken Bildern. Man würde endlich (wieder) ein sicheres, verteidigtes Britannien haben, ein faires und großartiges Britannien. Wahrlich ein „Great“ Britain. Man würde die Kontrolle über die Grenzen wiedererlangen und den Sozialstaat dadurch retten, nicht 350 Millionen Pfund pro Woche an Brüssel überweisen zu müssen. „Leave and BEleave in Britain“ hieß es. Eine Kampagne, die auch von positiven und kämpferischen Bezügen geprägt war, wenn auch mit nationalistischem Anstrich. Aber auf jeden Fall erreichte sie die Menschen auf emotionaler Ebene. 
Als die Kampagnen noch ganz am Anfang waren, startete IRIS Arts ein Projekt mit Jugendlichen. Sie fragten sie, wie sie sich dabei fühlten, Mitglied der europäischen Union zu sein und damit, dass Großbritannien vielleicht austreten würde. Sie fragten weiters, wofür sie wohl stimmen würden und welche Faktoren für ihre Entscheidung ausschlaggebend wären. Danny Watson schrieb im Zuge des Projektes ein Gedicht, das eine emotionale Gegenposition der jüngeren Generation zeigt. Hier ein Auszug:

 

 

The Leave-Manifesto

 

Immigration, immigration, 

a scourge upon our brilliant nation, 

can’t pay your rent, that’s immigration. 

[…]

Did you read the Daily Mail?

Two million refugees are going to sail, 

from Lebanon, Jordan, Syria and Kos, 

and they’re going to turn Big Ben into a Mosque.

 

Let’s make Britain great again, 

let’s bleach this multicultural stain, 

British jobs for British workers, 

no more migrants flipping burgers, 

[…]

when it comes to immigration, 

there’s no more reliable source of information, 

than Nigel Farage and bloody Boris Johnson.


Die Wahl wurde zwar sehr knapp entschieden, sie zeigt dennoch eine äußerst fragmentierte Wählendenschaft. Man sah große Unterscheide zwischen den Nationen Großbritanniens, beispielsweise England und Wales (Leave) auf der einen und Schottland und Nordirland (Stay) auf der anderen Seite. Eine ähnliche Kluft findet man bei ruralen (Leave) und urbanen (Stay) Gebieten, älteren (Leave) und jüngeren Generationen (Stay) und jenen, die normalerweise dazu tendieren, eher rechts (Leave) oder eher links (Stay) ihre Stimme abzugeben. 

Für den Kultursektor zeigt sich mit 96% eine überdeutliche Mehrheit für den Verbleib in der EU. Allerdings stell sich die Frage, so Christoforou, warum ausgerechnet dieser Sektor mit so klarem Votum so schwach auf die allgemeine Bevölkerung abfärbt, handelt es sich doch um jene Felder, die sich Sinnstiftung, Austauschprozesse und Gemeinschaftsbildung auf ihre Fahnen schreiben. Hat man einmal mehr nur zu sich selbst gesprochen? Der Kunst- und Kulturbereich vermag es Verborgenes aus den gesellschaftlichen Gefilden hervorzubringen und in den Diskurs zu befördern, stellt eine Plattform für Dialog und Interaktion dar, und schafft die Räume, in denen die Stimmen jener, die sonst kein Gehör finden, endlich laut werden können. Angesichts der Entwicklungen müsse sich aber der gesamte Sektor fragen, inwieweit man teil der Lösung oder doch des Problems sei. Klopfen wir uns in unseren Blasen zu sehr selbst auf die Schulter? 

Clymene Christoforou meint, nach dem Ergebnis hätte sie ein Schuldgefühl ereilt. Sie hätte an viel mehr Türen klopfen, viel mehr mit den Menschen diskutieren sollen. Sie hätte viel mehr Menschen überzeugen müssen. Wir sollten auch unsere Art zu arbeiten hinterfragen. Wenn man tatsächlich an jene Superkräfte glaube, die im Kulturbereich von Mission Statement bis Tätigkeitsbericht überall aufblitzen, müsse man sich am Ende des Tages zumindest ernsthaft die Frage stellen, ob wir diesem Anspruch genüge tun.  

 


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Clymene Christoforou sprach bei "Beyond the Obvious", die jährliche Konferenz von Culture Action Europe (CAE). Sie fand von 26. bis 28. Jänner 2017 in Budapest/Ungarn statt.