Hands-On Urbanism

Selbstorganisiertes Gärtnern und Siedeln im städtischen Kontext erleben derzeit unter den Schlagwörtern Gemeinschaftsgarten, Urban und Guerilla Gardening oder Urban Agriculture ein Revival.

Reflexionen zur Ausstellung des Architekturzentrums Wien über selbstorganisiertes Gärtnern und Siedeln. 

Selbstorganisiertes Gärtnern und Siedeln im städtischen Kontext erleben derzeit unter den Schlagwörtern Gemeinschaftsgarten, Urban und Guerilla Gardening oder Urban Agriculture ein Revival. Dass es sich um kein neues Phänomen handelt, sondern auf eine reiche Geschichte zurückgegriffen werden kann, zeigte die Ausstellung Hands-On Urbanism 1850 – 2012. Vom Recht auf Grün im Architekturzentrum Wien (Az W). Kuratorin Elke Krasny verlieh der Zusammenschau eine facettenreiche und internationale Perspektive, deren historischer Zeitpunkt die Ausstellungsreihenfolge bestimmte. Gemeinsam mit der Szenografin Alexandra Maringer wurden in 18 Fallbeispielen wesentliche Aspekte urbanen Gärtnerns erkundet. Jedes Beispiel wurde in einer mit gebrauchten Baustellengittern abgesteckten Parzelle dargestellt. Recycling und Umgang mit knappen (finanziellen) Ressourcen war Thema der gesamten Ausstellungsarchitektur, die die Atmosphäre selbstorganisierten Gärtnerns transportierte: Neben Baustellengittern gab es frei verstellbare Hocker, gebaut aus alten Schautafeln des Az Ws. In die Gitter eingehängte Plastikeimer und Wasserkanister fungierten als Gefäße für ein erstaunlich gut gepflegtes, üppig wachsendes Repertoire an Nutz- und Zierpflanzen. Im Hof vorm Eingang des Az W waren Hochbeete aus Recyclingholz auf Europaletten gestellt, eine verbreitete Technik urbanen Gärtnerns.

Chicago, Leipzig und Wien als Ausgangspunkte einer sozialen Bewegung

Die 18 Parzellen glichen einer Zeitreise durch weltweite Formen städtischen Gärtnerns. Die ältesten Beispiele bis 1930 befassten sich neben der Wiener Siedlungs- und Kleingartenbewegung mit den Ursprüngen der Schrebergartenkultur in Leipzig sowie mit der Settlement-Bewegung in Chicago, die maßgeblich von der Feministin Jane Addams mitgestaltet wurde. Addams wegweisendes Projekt Hull House wurde 1889 gemeinsam mit der Sozialreformerin Ellen Gates Starr gegründet. Die Ideen hatten sie von einer Europareise aus London mitgebracht, und Hull House bot bewohnbare Parzellen mit Selbstversorgungsgärten für Einkommensschwache und Erwerbslose als Selbsthilfe. Das Projekt wurde von Pond and Pond Architects begleitet, die ein innovatives Konzept zur Landbesiedelung entwickelten: Statt einem konventionellen Masterplan, der starr vordefiniert, wo, in welcher Gebäudehöhe und mit welcher Nutzung die Parzellen auszustatten sind, erarbeiteten sie ein flexibles Landnutzungskonzept, das ermöglichte, rasch auf sich ändernde Bedürfnisse zu reagieren sowie laufend erweitert und adaptiert werden konnte. Parallelen zur Wiener Bewegung lassen sich durchaus ablesen: ArchitektInnen wie Adolf Loos und Magarete Schütte-Lihotzky entwickelten Gebäude und Interieurs, um kleinste Räume optimal für Nutzungsansprüche der Subsistenzwirtschaft zu organisieren. Der Ökonom Otto Neurath unterstützte die Wiener Bewegung in ihrer Selbstorganisation und Bildung sozialer Strukturen. Genau wie Addams zog auch Neurath viele wissenschaftliche Erkenntnisse aus den Erfahrungen mit der Siedlungsbewegung. Ob die verschiedenen Persönlichkeiten der Zeit direkte Querverbindungen miteinander aufweisen oder sich Ideen parallel entwickelten, wurde leider nicht dargestellt.

Urban Gardening in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute

Aktuellere Beispiele von selbstorganisiertem Grün setzten in der Ausstellung im Jahr 1953 im kriegszerstörten Bremen wieder ein, wo die Siedlung Kaisenhaus entstand. Benannt wurde diese nach Bürgermeister Wilhelm Kaisen, der Dauerwohnen in Kleingärten erlaubte und so der damaligen Wohnungsnot gegensteuerte. Gänzlich entgegengesetzte Entwicklungen wurden aus dem heutigen Istanbul geschildert: Dort werden BewohnerInnen der Gecekondular – so heißen informelle Siedlungen auf Türkisch – im Rahmen eines stadtplanerischen Programms, das maßgeblich von der staatlichen Verwaltung für Wohnbau TOKI betrieben wird, zwangsumgesiedelt, vertrieben und enteignet. Dass Widerstand gegen ähnliche Tendenzen organisiert werden kann, zeigte eine Parzelle weiter das Beispiel der von Becky Au gegründeten Ma Po Po Farm in Ma Shi Po Village in Hongkongs New Territories. Die LandwirtInnen betreiben dort ökologischen Landbau und widersetzen sich erfolgreich der geplanten Hochhausbebauung.

Ein weiteres Kapitel der Ausstellung war Recyclingkultur aus Kuba und Brasilien. In Porte Alegre hat Doña Marli Medeiros, die Raihna da Srcata (dt.: Schrottkönigin), ein Kultur- und Bildungszentrum sowie eine genossenschaftlich betriebene Recyclinganlage organisiert und setzt sich für Frauenrechte in der Favela Vila Pinto ein. In Kuba wurde durch den Zusammenbruch der UdSSR der Zugang zu Erdöl derartig verknappt (75 Prozent des kubanischen Import/Exports betrafen die Sowjetunion), dass nur durch lokale urbane Landwirtschaften ohne benzinbetriebene Agrarmaschinen die Ernährungsvorsorge gewährleistet werden konnte. Aus der Not wurde eine Tugend: Die urbanen Farmen Kubas sind mittlerweile zu einer landesweiten Strategie geworden, zusammengefasst im Programm NAAM (National Alternative Agricultural Model).

Abschließend wurden aktuelle Beispiele aus Europa vorgestellt: der Garten Maconda (Wien), die Prinzessinnengärten (Berlin), Abbey Gardens (London), das R-URBAN Projekt (Paris) und das Kunstprojekt The Cook, The Farmer, His Wife And Their Neighbor (Amsterdam). Die Frage, ob die größtenteils szenigen Projekte aus Europa von Personen mit bildungsbürgerlichen Hintergründen mit jenen Projekten überhaupt vergleichbar sind, die von Personen betrieben werden, die aus wirtschaftlichen Gründen auf Selbstversorgungsgärten angewiesen sind, beantwortet Elke Krasny folgendermaßen: „[E]s gibt zwei große Felder, die permanent gegeneinander ausgespielt werden: das Ökologische und das Soziale. […] Der Garten ist ein Ort, wo man beides wieder zusammen denken kann. Und die Erzeugung eines Gartens bringt eine Community mit dieser Gewissheit hervor: Da ist etwas, was ein Funktionieren bedeuten kann.“ (Krasny et al. 2012: 62)

Irene Bittner ist Landschafts- und Stadtplanerin, arbeitet an ihrer Dissertation als Universitätsassistentin am Institut für Landschaftsplanung, Universität für Bodenkultur Wien, und organisiert sich selbst in Projekten wie dem Landschafts- und Urbanismuskollektiv kampolerta sowie als Redakteurin und Herausgeberin von zoll+ | Schriftenreihe für Landschaft und Freiraum.

Quelle

Krasny, Elke / Kilbertus, Jana / Wöls, Michael-Franz (2012): Sehnsucht nach Wildheit? in: zoll+ | österreichische Schriftenreihe für Landschaft und Freiraum, Heft 20: Schwerpunktthema „wild“, Wien.

Weiterführende Literatur zum Thema

Krasny, Elke (Hg./2012): Hands-On Urbanism 1850-2012. Vom Recht auf Grün. Ausstellungskatalog. Wien-Berlin.

Müller, Christa (2011): Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt. München.

Reynolds, Richard (2009): Guerilla Gardening. Ein botanisches Manifest. Freiburg.

Institut für Landschaftsplanung (Hg./2006): Gärten als Handlungsfreiräume. Zur Organisation und Qualität von Freiräumen in Gärten. Wien.

Zimmerl, Ulrike (1998): Kübeldörfer. Siedlung und Siedlerbewegung im Wien der Zwischenkriegszeit. Wien.

Novy, Klaus / Uhlig, Günther (1982): Die Wiener Siedlerbewegung 1918-1934. Aachen.