Kampf der Spekulation – Recht auf Wohnen

Dieser durch die weltweite neoliberale Politik geschaffene Angriff auf fundamentale Menschenrechte – wie das im Artikel 25 der Menschenrechtserklärung der UNO festgehaltene Recht auf Wohnen – wirkt besonders fatal, wenn wir einen Blick über europäische Städte hinaus werfen und die Verslumung von Städten in den Schwellenländern betrachten.

„Bevar Christiania“ ist auf einer Teetasse zu lesen, darauf eine Fahne mit rotem Hintergrund und drei horizontal angeordneten gelben Kreisen. Die Farben Rot und Gelb sind gewählt geworden, weil diese Farben in großen Mengen auf dem ehemaligen Militärgelände gefunden worden waren, so heißt es jedenfalls. Die Rede ist von Christiania, einem besetzten Stadtteil in Kopenhagen, dem jetzt das Aus droht. Seit 1971 ist das 34 Hektar große Gebiet besetzt und wird heute von ca. 700 Erwachsenen und 200 Kindern bewohnt und erhalten. Die Christiania ist eine Touristenattraktion geworden, das konsens-demokratische Sozialexperiment wird seit jeher von Hippies, AnarchistInnen und LebenskünstlerInnen betrieben und weiterentwickelt. In der Kommune leben Menschen, die anderswo an den Rand geschoben werden, wie Obdachlose oder zugewanderte Inuit aus Grönland. Es gibt nur wenige Grundregeln wie keine harten Drogen, keine Rockerwesten mit Abzeichen, keine Gewalt und keine Waffen. Die Kommune zahlt Abgaben wie Betriebskosten an die Stadt und organisiert sich ansonsten in Selbstverwaltung. Kleinere Plena gibt es einmal im Monat in jedem der 15 Stadtteile; größere, alle betreffende Entscheidungen wie der Budgetplan werden im Gesamtplenum besprochen und beschlossen. Ende Mai wurden nun die Nutzungsrechte des Geländes dem dänischen Staat zugesprochen, und der will die Freistadt durch eine Wohnanlage ersetzen. Als schlechter Trost wird den BewohnerInnen Christianias subventionierter Wohnraum in dieser Anlage angeboten. Womöglich bedeutet dies das Ende für ein Projekt, das sich erfolgreich über Jahrzehnte hinweg erhalten und eigene Lebens- und alternative Ökonomien entwickelt hat. Da scheint auch das Platzen diverser Immobilienblasen nichts zu nutzen. Es ist wahrlich was faul im Staate Dänemark, aber ungewöhnlich ist es nicht. Vielerorts werden vormals verwahrloste, heruntergekommene Wohngegenden ganz besonders gerne übernommen, wenn die BewohnerInnen einen eigenen Mehrwert geschaffen haben.

Dieser durch die weltweite neoliberale Politik geschaffene Angriff auf fundamentale Menschenrechte – wie das im Artikel 25 der Menschenrechtserklärung der UNO festgehaltene Recht auf Wohnen – wirkt besonders fatal, wenn wir einen Blick über europäische Städte hinaus werfen und die Verslumung von Städten in den Schwellenländern betrachten. Und dennoch: Nicht nur im turbokapitalistischen Vaterland USA werden Stadtzentren von „unerwünschten“ Bevölkerungsgruppen durch Spekulation und Preistreiberei verdrängt. Es reicht ein Blick nach Amsterdam, Paris, London, Moskau und auf zahlreiche weitere europäische Städte. Verdrängt werden sollen NiedriglohnarbeiterInnen, insbesondere MigrantInnen, Roma, Obdachlose, KapitalismusverweigerInnen, Jugendliche und sonst wie wenig Kaufkräftige. Die International Alliance of Inhabitants beschreibt dies im Februar 2007 in einem Protestbrief an die mit Wohnungsbelangen befassten Ministerien der EU-Mitgliedsstaaten folgendermaßen: 70 Millionen Menschen sind in Europa von Wohnungsnot betroffen, 18 Millionen von ihnen sind von Zwangsräumung bedroht und 3 drei Millionen obdachlos. Diese Krise wird durch das freie Zirkulieren von spekulativen Investitionen, durch die Privatisierung von sozialem Wohnbau und die Liberalisierung des Sektors speziell in den Erweiterungsländern der EU, durch Gentrifizierung der Städte und durch die aggressive Preispolitik von Real Estate Investment Trusts verschlimmert. Die Resultate sind ein exorbitanter Anstieg der Kauf- und Mietpreise, eine Verschlechterung von Mietverträgen, ein größeres Risiko der Zwangsvollstreckung von Krediten und schließlich Zwangsräumungen für junge Menschen sowie SeniorInnen, MigrantInnen, aber auch Familien mit durchschnittlichen Einkommen. Angesichts der geplatzten Immobilienblase und der globalen Finanzkrise kann heute von einem Anschwellen der Zahl der Betroffenen ausgegangen werden. Die Initiative Alliance of Inhabitants, die 2003 in Madrid gegründet wurde, ist ein globaler Zusammenschluss von Vereinen und sozialen Bewegungen, die sich mit Wohnungspolitik beschäftigen. Sie versucht, politischen Druck auf EntscheidungsträgerInnen auszuüben und den Zugang zum Recht auf adäquate Lebensverhältnisse zu ermöglichen.

Auf EU-Ebene haben hat sie neben der konstitutionellen Verankerung des Rechts auf Wohnen in der EU-Verfassung u. a. folgende Forderungen formuliert:

  • Schutz vor Spekulation und Mobbing in Wohnhäusern (z. B. um künstlich Leerstände zu produzieren) sowie das Verbot von Delogierungen ohne adäquate alternative Wohnmöglichkeit.
  • Der soziale Wohnbau muss vielerorts revitalisiert, etwa 8 acht Millionen Sozialwohnungen müssten innerhalb der EU errichtet oder gekauft werden. Dies soll mit Mitteln aus einem spezifischem spezifischen EU-Fonds finanziert werden.
  • Die Einführung einer Steuer auf Leerstände, unbenutzte Flächen und spekulative Transaktionen, deren Erträge direkt in den oben genannten Fonds einfließen;
  • Der soziale Wohnbausektor soll von der EU-Dienstleistungsrichtlinie, die die Liberalisierung von öffentlichen Diensten umfasst, ausgenommen werden.
  • Neue Formen des kommunalen Lebens und Wohnens von zivilgesellschaftlichen Kooperativen sollen von lokalen Autoritäten unterstützt werden. Darunter fallen insbesondere Projekte mit multikulturellem Charakter sowie gegen soziale Exklusion gerichtete, partizipatorische Initiativen (1).

 

„Lieber 1000 FreundInnen im Rücken als eine Bank im Nacken ...“

 

Während die Alliance of Inhabitants sich auf lobbyistische Tätigkeit ausrichtet, formierte sich mit dem Mietshäuser Syndikat eine praxisorientierte Organisation in Deutschland. Das Syndikat betreibt salopp formuliert Befreiung von Häusern aus dem Immobilienmarkt. Das Mietshäuser Syndikat unterstützt selbstorganisierte Hausprojekte, die Gebäude kaufen, jedoch nicht „besitzen“ wollen. Dies geschieht durch Beteiligung an der Gründung einer GmbH, durch die Vermittlung von Direktkrediten solidarischer Menschen und durch einen Solidarfonds. 

 

Derzeit sind ca. 49 Hausprojekte und 16 Projektinitiativen im Verbund zusammengeschlossen. Jedes der Hausprojekte ist jedoch autonom und bestimmt selbst über das eigene Vorankommen. Das Netzwerk des Syndikates birgt jedoch zahlreiche Vorteile. Denn vielen Kollektiven, die nicht unbedingt dem schwäbischen „Schaffe, schaffe, (Einfamilien-)Häusle baue“ nacheifern wollen, geht es ähnlich: Sie alle hegen den Wunsch nach gemeinsamen, alternativen Wohnweisen, abseits von Mietwucher, Kreditängsten und Räumungsklagen. Größere Projekte sind als Mietshäuser selbst am so genannten „freien“ Markt nicht erhältlich, weshalb sich immer mehr Gemeinschaften für die Gründung einer GmbH innerhalb des Mietshäuser Syndikat Verbundes entschließen. Das hat folgende Vorteile: Im Verbund sind etablierte Hausprojekte gemeinsam mit Projektinitiativen, die noch vor dem Kauf bzw. in der Renovierungsphase stehen. Etablierte können in vielerlei Hinsicht neuen Initiativen helfen, sie haben sich zum einen die eigenen Räume schon gesichert und zum anderen relativ geringe Mieten aufgrund eventuell schon abbezahlter Kredite etc. Daher ist es die Aufgabe des Miethäuser Syndikates, Ausgleich zwischen neuen und alten Hausprojekten zu organisieren. Dies erfolgt über den Solidarfonds, in den alle älteren Syndikatsprojekte 25 Cent je m² Nutzfläche einzahlen und somit die Arbeit des Syndikats und die Anschubfinanzierung von neuen Projekten mitfinanzieren. Die neueren Syndikatsprojekte, die ihren Hauskauf erfolgreich abgeschlossen haben, steigen mit 10 zehn Cent je m² ein, der Betrag erhöht sich dann jährlich, bis die 25 Cent erreicht sind. Aber auch das Know-How schon bestehender Projekte ist bei den jungen immer gefragt und das Rad muss nicht neu erfunden werden.

 

Dazu gehört das Aufstellen von Direktkrediten, werden doch so Gelder, ohne den Umweg über eine Bank, direkt verliehen. Auch hier gibt es Vorschläge wie etwa Kredithöhen ab 500 Euro, Zinssätze zwischen 0% bis max. 3% pro Jahr, Laufzeiten von mindestens einem Jahr und / oder Kündigungsfristen von mindestens 3 drei Monaten. So können FreundInnen des Projektes die Finanzierung unterstützen und die Kreditlast durch die meist trotzdem notwendigen Bankkredite verringern. Das wiederum ermöglicht geringe Mieten schon von Beginn der Hausübernahme an, und die Zinslast sinkt bedeutend schneller ab.

 

Vom „freien“ Markt befreite Häuser statt Immo-Blasen

 

Dass Wohnhäuser gekauft werden, ist aber an sich noch keine ungewöhnliche Angelegenheit, das ungewöhnliche Ungewöhnliche ist die nicht profitorientierte Struktur der Hausprojekte sowie die darin eingebauten Mechanismen, um eine Änderung dieser Politik zu verhindern. Damit ein Hausverkauf für alle Zeiten ausgeschlossen ist, weisen alle Hausprojekte, die mit dem Mietshäuser Syndikat kooperieren, eine Besonderheit auf: Der Eigentumstitel der Immobilie liegt nicht unmittelbar beim Hausverein, sondern bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Diese Hausbesitz-GmbH hat genau zwei Gesellschafter, zum einen den Hausverein, zum anderen das Mietshäuser Syndikat als eine Art Kontrollorganisation: In bestimmten Angelegenheiten wie Hausverkauf, Umwandlung in Eigentumswohnungen oder ähnlichen Zugriffen auf das Immobilienvermögen hat das Mietshäuser Syndikat Stimmrecht; und zwar genau eine Stimme. Die andere Stimme hat der Hausverein. Das hat zur Folge, dass in diesen Grundlagenfragen eine Veränderung des Status quo nur mit Zustimmung beider Gesellschafter beschlossen werden kann: Weder der Hausverein noch das Mietshäuser Syndikat können überstimmt werden. Selbst bei Ausstieg des Hausvereins aus der Gesellschaftsbeteiligung bleibt den Verwertungslogiken ein Riegel vorgeschoben, denn der Hausverein kann nur die Rückzahlung seines einbezahlten Anteils am Stammkapital zurückverlangen. Der GmbH-Vertrag schließt die Ausbezahlung der Wertsteigerung, die die Immobilie durch den Markt erfährt, aus. Ein wirtschaftlicher Anreiz für den Ausstieg ist damit ausgeschlossen. Weiters ist durch den GmbH-Vertrag der Verkauf eines GmbH-Anteils gegen den Willen des anderen Gesellschafters ausgeschlossen.

 

Dieses solidarische Modell erweist sich, wie es scheint, als schlagkräftige Alternative zu prekären Besetzungsszenarien und ermöglicht mit seiner nachhaltigen Struktur die Befreiung der Häuser vom so genannten freien Markt. 

 

(1) Siehe : Brief an die zuständigen EU MinisterInnen (2.9.2009)

 

Christiania

Alliance of Inhabitants

Mietshäuser Syndikat

 

Marty Huber ist Aktivistin im Lila Tipp, der Lesbenberatung in der Rosa Lila Villa, Radiomacherin und Sprecherin der IG Kultur Österreich.