Magna Charta der internationalen Kulturpolitik. Die UNESCO Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen

Es ging – für ein internationales Abkommen – ungewöhnlich rasch. Brauchte es doch „nur“ kurze 5 Jahre bis zu einer erfolgreichen Verabschiedung der Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen.

Es ging – für ein internationales Abkommen – ungewöhnlich rasch. Brauchte es doch „nur“ kurze 5 Jahre bis zu einer erfolgreichen Verabschiedung der Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen.
Im Oktober 2005 wurde besagte Konvention mit 148 Ja-Stimmen, 4 Enthaltungen (Australien, Honduras, Liberia und Nicaragua) und nur 2 Nein-Stimmen (USA, Israel) von der UNESCO Vollversammlung verabschiedet. Bereits ein Jahre später lagen die für das Wirksamwerden der Konvention notwendigen 30 Ratifizierungen vor und diese konnte gemäß den Vertragsbedingungen am 18. März 2007 offiziell in Kraft treten

Österreich zählte im Juli 2006 zu den ersten Unterzeichnerstaaten dieses global wichtigen, als Magna Charta der internationalen Kulturpolitik (Deutsche UNESCO Kommission) bzw. als Kioto-Abkommen der Kulturpolitik (Wischenbart) bezeichneten Übereinkommens, was die einheimische Presse zunächst gar nicht, selbst die kulturpolitisch interessierte Fachpresse nur kursorisch kommentierte. Liegt das an der schwer vermittelbaren internationalen „hätti wari wäri“-Rechtsmaterie oder glaubt in Österreich niemand, dass eine UNESCO Konvention etwas gegen internationale Handelsabkommen wie die WTO-Regelungen ausrichten kann?

Tatsächlich dürften einige große Zweifel haben und meinen, dass dem Projekt noch einiges fehle: mehr und gute Information, breite und tiefe Diskussion und vor allem aktivierte zivilgesellschaftliche Öffentlichkeiten, wie sie ausdrücklich laut Artikel 11 („Mitwirkung der Zivilgesellschaft“) der Konvention – und das ist eine Novität für UNESCO-Übereinkommen – von den Vertragsparteien unterstützt werden sollen. Darin kommt die zentrale Rolle „der Zivilgesellschaft“ (Terminus technicus) bei der Belebung und Aktivierung dieser Konvention zum Ausdruck. Die Konvention ist ein Blatt Papier und muss – um wirksam zu werden – zunächst einmal belebt, „mit Leben erfüllt“ werden. Und diese Belebung wird von zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeiten noch nachhaltig eingefordert werden müssen, damit sich die staatlichen Bürokratien an die Selbstverpflichtung, die sich mit dieser UNESCO Konvention eingegangen sind, auch tatsächlich erinnern. Was für eine solche Aktivierung und Belebung der Konvention gebraucht wird und wie eine solche Belebung ausschauen könnte, war Leitthema der im April 2007 in Essen abgehaltenen EU-Konferenz „Die (UNESCO) Konvention mit Leben füllen“ (www.unesco.de).

Öffentliche Debatten

Das Thema „kulturelle Vielfalt“ und der Begriff „die kulturelle Ausnahme“ (exeption culturelle) haben in Deutschland bereits seit Jahren – in Frankreich sogar noch länger – äußerst große Publizität, war von der höchsten kulturpolitischen Ebene getragen und lanciert worden. Nicht so in Österreich, wo das Thema in den letzten sechs, sieben Jahren kulturpolitisch marginalisiert wurde. Die deutsche UNESCO Kommission organisierte die Plattform „Bundesweite Koalition für kulturelle Vielfalt“, an der sich an die 50 Kulturorganisationen beteiligen, wo die deutsche kulturpolitisch interessierte Szene unter reger Anteilnahme und Berichterstattung der Medien in regelmäßig von der UNESCO Kommission organisierten Treffen die Potenziale dieses internationalen (Rechts)Instruments diskutierte. Zentrales Anliegen und Aufgabe dieser Plattform war und ist die intensive Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des globalen Handels mit Kulturgütern und -dienstleistungen auf die Zukunft von nationalstaatlichen Förderungen von Kunst und Kultur und auf die innerstaatliche Vielfalt von kulturellen Ausdrucksformen sämtlicher Bevölkerungsgruppen.

Auch die österreichische UNESCO Kommission initiierte vor Jahren eine Arbeitsgruppe „kulturelle Vielfalt“, die Medien und eine breitere Öffentlichkeit konnten in Österreich aber für dieses Thema bislang nicht sensibilisiert werden.

Hintergrund der Konvention: Erstarken der kulturellen Ökonomie

Durch die in den letzten Jahrzehnten (in den hoch entwickelten kapitalistischen Ländern) erfolgte allgemeine Kulturalisierung der Ökonomie gelangte immer mehr „Kultur“ in Form von kulturellen Waren und Dienstleistungen in den Kreislauf der „ganz normalen“ Ökonomie, die aufgrund der Globalisierung der Wirtschaft immer mehr durch internationale (Handels-)Abkommen geregelt werden. Dadurch sind nationalstaatliche Bestimmungen (häufig) nicht mehr im gleichen Maße gültig als noch vor der Durchsetzung dieser internationalen Rechtsinstrumente.

Den Angelpunkt aller offenen Fragen bildet hier der Doppelcharakter von Kultur: Ob bestimmte Kulturgüter ganz normale Waren sind oder ob sie als besondere Waren gesehen werden sollten, die geschützt und gefördert werden müssen, steht dabei zur Diskussion.

Zuallererst und im Wesentlichen handelt es sich bei der UNESCO Konvention deshalb um eine im Kern defensive Konvention – eine, die gemacht werden musste, damit es „nachher“ nicht zu spät ist, weil bisher beim Festschreiben von weltweit geltenden Regeln für den Handel mit Waren und Dienstleistungen einfach niemand für die „besondere Ware“ Kunst und Kultur die Stimme erhoben hatte. Das soll jetzt durch das UNESCO-Übereinkommen anders werden, das eine solche Stimme für Kultur im Globalisierungskontext sein möchte.

UNESCO Konvention… kann für Länder des Südens eine Chance sein

Neben der Sicherung der bestehenden öffentlichen Kulturförderungen vor WTO-Begehrlichkeiten in den Ländern des Nordens kann und soll die Konvention im Sinne eines global wirksamen – Interessen ausgleichenden – kulturpolitischen Instruments (Art. 2.4: Internationale Solidarität und Zusammenarbeit), die lediglich rudimentär vorhandenen Kulturpolitiken der Länder des Südens stärken. Der Artikel 16 der Konvention sieht eine „Präferenzbehandlung für Entwicklungsländer“ vor: „Die entwickelten Länder erleichtern den kulturellen Austausch mit den Entwicklungsländern, indem sie durch geeignete institutionelle und rechtliche Rahmenbedingungen Künstlern und anderen Kulturschaffenden aus diesen Ländern sowie ihren kulturellen Gütern und Dienstleistungen eine Präferenzbehandlung gewähren.“ Ursprünglich war sogar an einen durch verbindliche Beiträge der entwickelten Länder gespeisten „internationalen Fonds für die kulturelle Vielfalt“ gedacht, der Artikel 18 des Übereinkommens sieht da allerdings nur mehr freiwillige Zuwendungen vor. Dieser Fonds soll u.a. gewährleisten, dass die Konvention nicht als kulturchauvinistisches, eurozentrisches Schutz- – d.h. oft implizit für andere „Ausschluss-“ – -instrument missbraucht wird.

Aus diesen Gründen war und ist es ein besonderes Anliegen der UNESCO, die derzeit von deutlich mehr Staaten des Nordens als des Südens ratifizierte Konvention zu einer tatsächlich weltweit getragenen Konvention zu machen. Dafür müssen noch arabische, afrikanische wie auch Länder des asiatischen Raumes von der Nützlichkeit dieser Konvention überzeugt werden. Für die Entwicklungsländer könnte gerade die Umsetzung der Konvention eine Chance sein, besser funktionierende (nationalstaatliche) Kulturpolitiken und Kulturindustrien aufzubauen.

Resümee

Die Vertragsparteien des Übereinkommens sind die nationalstaatlichen Regierungen und es liegt an ihnen und ihren Kulturadministrationen, Maßnahmen zu setzen, die eine Umsetzung dieser Konvention gewährleisten. Dafür sind sie in die Verantwortung zu nehmen. Letztlich werden aber wohl nicht die Kulturbürokratien sondern selbstbewusste kulturpolitische Öffentlichkeiten, (Kultur-)Initiativen und kulturelle Aktivistinnen und Aktivisten darüber entscheiden, ob die Annahme, Umsetzung und aktive Fortschreibung der Konvention befördert, durchgesetzt und Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele durchgeführt werden.

Die UNESCO Konvention ist eine kulturpolitische Chance – nützen wir sie.

Weiterführende Materialen zu der Geschichte und zum aktuellen Stand der Umsetzung der UNESCO Konvention:
Österreichische UNESCO Kommssion: unesco.at
Deutsche UNESCO Kommission: unesco.de
International Network for Diversity. A Voice for Culture and the Arts in the era of globalisation: incd

Literatur

Breuer, Ascan (2005): „Globalisierungskritik à la UNESCO. Eine Konvention für kulturelle Vielfalt und Vervielfältigung“. In: Kulturrisse 4/2005

Deutsche Unesco Kommission (Hg.) (2006): Übereinkommen über Schutz und Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Magna Charta der Internationalen Kulturpolitik. Bonn

Ellmeier, Andrea (2006) „Öffentliche Dienstleistung Kultur in Gefahr? Von Kultur, Ökonomie und zivilgesellschaftlichen Allianzen“. In: Kultur- rat Österreich. Kulturpolitik-Diskurs-Vernetzung, IG-Infoblätter Nr. 85a

Schorlemer, Sabine von (2007): „Internationale Förderung der Nord-Süd-Kooperation auf der Basis des UNESCO-Übereinkommens zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen: erste Schritte 2007-2010“, Thesenpapier präsentiert auf der Tagung „Kulturelle Vielfalt – Europas Reichtum. Die Konvention mit Leben füllen“. Fachkonferenz im Rahmen der Deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007, Essen 26.-28. April 2007

Streeruwitz, Marlene (2006): „Walzer und WTO. Über GATT, GATS und ihre Folgen: Anmerkungen am Beispiel hiesiger Ballkultur“. In: Die Presse vom 9.12.2006

Wischenbart, Rüdiger (2007): „Kulturpolitik neu erfinden. Kommentar der anderen“. In: Der Standard vom 28. März 2007

Andrea Ellmeier ist Kulturwissenschafterin, Lehrbeauftragte an der Universität Wien, kulturpolitische Konsulentin des Europarats und Korrespondentin der IG Kultur Österreich zum Thema „kulturelle Vielfalt“. Arbeitsschwerpunkte: Kulturelle Vielfalt in Europa (Co-Autorin (gemeinsam mit Béla Rásky) des Österreich-Reports über „Cultural Policy and Cultural Diversity“), kultureller Arbeitsmarkt, Konsumgeschichte, Europäische Kultur- und Medienpolitiken.