Übersetzung im Feld ideologischer Kämpfe.
Parodie ist ein Gesang, der ähnlich moduliert ist wie ein anderer Gesang und diese Imitation kann auch missbräuchlich sein. Während die Parodie immer ein Beigesang ist, kann sie auch manchmal ein Gegengesang sein. Das gilt auch für die Übersetzung.
„Kulturelle Übersetzung“ in ihrer vulgarisierenden Auslegung durch die Cultural Studies setzt einen Begriff von Kultur voraus, der jenem Konzept der Sprache ähnelt, das die Einführung eines „sekundären“ Kulturbegriffs überhaupt erst veranlasste: Sie stellt sich Kultur implizit als ein „System mit sich selbst identischer Normen“ (Volosinov) vor. In seiner starken Version (Butler) wird das System Kultur der juridischen Ideologie nachgebildet und nimmt an jenem juridisch- politischen Universalismus teil, der derzeit verschiedene imperiale Unternehmungen legitimiert (den Export von Demokratie und Recht in die Ukraine, Georgien, Kirgistan, Irak...). In seiner weicheren Version (Bhabha) organisiert sich der Begriff um ein angeblich nicht-übersetzbares „Element des Widerstands“ und ist Teil der identitären Voreingenommenheiten einer „Politik der Anerkennung“. Die zwei Varianten definieren das Feld der zeitgenössischen koiné[1] der Herrschaft.
Von der Sprache zur Kultur
Volosinov führt den „abstrakten Objektivismus“ in der Linguistik zurück auf eine philologische Tradition, die ursprünglich fremde und ausgestorbene Sprachen bearbeitet und schließlich dazu kommt, jede Sprache als „tot und fremd“ zu behandeln. Es sollte hinzugefügt werden, dass die Linguistik in der philologischen Tradition eher spät eine Wissenschaft im modernen nomothetischen Sinne wird und erst dann, wenn die Beschäftigung mit alten Sprachen zugunsten der Behandlung moderner Sprachen, ihrer Genealogien, ihrer Errungenschaften und ihrem Geist weicht – das heißt mit der Artikulation der Philologie in der Nationenbildung. In diesem historischen Moment wurde Sprache direkt als „Kultur“ verstanden (Herder, Humboldt) und dementsprechend erschienen die Aporien von Universalismus und Relativismus, die uns gegenwärtig auf der Ebene der Kultur begegnen, damals vor einem rein linguistischen Hintergrund. Die Kategorie der „nationalen Kultur“ machte es jedoch möglich, diesen Widersprüchen auszuweichen oder sie zumindest zu entschärfen, da sie äußerlich als Spezifizierung der menschlichen Universalität fungieren konnte und nach innen als Neutralisierung ideologischer Pluralität. Mit anderen Worten, die „Nationalsprache“ konnte eine universalistische Konstruktion unterstützen, indem sie auf egalitäre Weise innerhalb der homogenen Dimension funktionierte (Es wurde angenommen, dass jede Sprache im Prinzip gleichwertig mit jeder anderen sei.) Sie konnte somit auch eine widersprüchliche Gesellschaft innerhalb der heterogenen Dimension durch die hierarchische Auswirkung ihrer „Neutralität“ integrieren. (Indem sie als „neutrale“ Matrix gegenseitiger Übersetzbarkeit von Diskursen funktionierte, errichtete die Nationalsprache gleichzeitig eine hierarchische Ordnung zwischen ihnen; tatsächlich wurden aber nicht einmal die verschiedenen Arten ihres Gebrauchs als gleichwertig angesehen.)
Im Zeitalter kultureller Identitäten hat diese Lösung ihre Gültigkeit verloren. Was der „Volksgeist“ war, ist jetzt entweder ein vormoderner Überrest und ein Hindernis für die Segnungen der Globalisierung oder der irreduzible Kern einer einzigartigen Erfahrung, um von einer identitären Gruppe gehegt und von den Einrichtungen des Universalismus anerkannt zu werden. Obwohl diese zwei Figuren einander entgegengesetzt sind, sind sie nicht notwendigerweise antagonistisch, da sie beide soziale Verhältnisse radikal entpolitisieren. Sie werden gegenwärtig als komplementäre Strategien genutzt, um Widerstände abzuwehren und lokale Partikularismen ins Herrschaftssystem zu integrieren.
Der romantischen Weltsicht zufolge (Schleiermacher) konnte eine Übersetzung entweder das Original in die Sprache der LeserInnen überführen oder den/die LeserIn dem Original zuführen: Im ersten Fall deformierte sie die ursprüngliche Erfahrung, im zweiten denaturalisierte sie die Muttersprache des Lesers / der Leserin. Was als Aporie der Übersetzung im romantischen Zeitalter formuliert wurde, nimmt heute die Form eines doppelten Prozesses der Depolitisierung und Beherrschung an: Die Übersetzung der afghanischen oder irakischen sozialen Beziehungen in das, was wir als Sprache der „Demokratie“ verstehen sollen, reartikuliert diese Gesellschaften in Begriffen von „Stämmen“, Ethnien oder Religion; zur selben Zeit aber verändert diese Übersetzung die postrevolutionäre Institution der (bürgerlichen) Demokratie tiefgreifend. Wenn wir sie in „unsere“ westliche Sprache übersetzen, versinken diese Gesellschaften in Kriege in ihrem Inneren; sobald jedoch die Übersetzung vorgenommen wird, ist „unsere“ demokratische Sprache nicht mehr dieselbe, da sie jetzt eine Sprache der ethnischen, religiösen usw. Auseinandersetzung geworden ist.
Die Parodie und der Kampf um „Bedeutung“
Goethe war optimistischer und unterschied drei Stadien im Prozess der Übersetzung: beginnend mit der Aneignung des fremden Textes in eigenen Begriffen, konnte die Übersetzung das Original schließlich „identisch“ wiedergeben – nachdem sie durch eine Zwischenphase gegangen war, in der „man versucht, sich in die Situation des Fremden zu versetzen aber tatsächlich das Fremde nur aneignet und es im eigenen Sinne wiedergibt“. Diese Zwischenphase, so Goethe, könnte als „Parodie im reinsten Sinne des Wortes“ verstanden werden. Goethes rätselhafte Formulierung kann durch die Konsultation eines griechischen Wörterbuchs nicht erhellt werden. Die besten würden auf Quintilian verweisen: Parodie ist ein Gesang, der ähnlich moduliert ist wie ein anderer Gesang und diese Imitation kann auch missbräuchlich sein. Während die Parodie immer ein Beige- sang ist, kann sie auch manchmal ein Gegengesang (Lloyd) sein.
Und das gilt auch für die Übersetzung: Sie versucht dem „Original“ zu „folgen“, ihrem Vor-bild (pre-text) – und manchmal scheitert sie. In einem fundamentalen Sinne ist Übersetzung ein Diskurs, der auf einen anderen Diskurs hin orientiert ist. Bachtin unterscheidet zwei Haupttypen einer solchen Orientierung:
1. Ein Diskurs mit nur einer Ausrichtung verläuft in derselben Richtung wie der Diskurs auf den hin er orientiert ist; die Übersetzung gehört normalerweise diesem Typus an. 2. Im multidirektionalen Diskurs dagegen verläuft ein auf ein Anderes ausgerichteter Diskurs jedoch in eine andere Richtung oder sogar entgegengesetzt der Richtung dieses Anderen. Bachtins Beispiel für diesen Typ ist genau die Parodie. Aber dem würde auch eine Übersetzung im Falle ihres Scheiterns entsprechen.
Goethes „Parodie im reinsten Sinne“ wäre also „Parodie im amphibolen Sinne“ und würde perfekt den Schwankungen im Prozess der Übersetzung entsprechen. Wenn wir jedoch Bachtins Theorie ernst nehmen, können weder die Orientierung auf einen anderen Diskurs, noch die Ein- oder Multidirektionalität als Privileg bestimmter Genres und im übertragenen Sinne auch von Übersetzungen angesehen werden: Jeder Diskurs unterhält notwendig mannigfaltige Beziehungen zu anderen Diskursen – das ist die Realität des Kampfes um „Bedeutung“. Ohne auf andere Diskurse Bezug zu nehmen, wäre ein bestimmter Diskurs nicht in der Lage, Bedeutung zu produzieren; er wäre nicht einmal in der Lage sich selbst herzustellen.
Eine Übersetzung kann sicherlich einem multidirektionalen Vor-bild (pre-text) auf unidirektionale Weise folgen. Seine Spezifizität als Übersetzung liegt eher im Risiko, einen multidirektionalen Kurs einzuschlagen, weil er daran scheitert, dem originalen Text an dem Punkt zu folgen, wo er (ein- oder multidirektional) auf einen anderen Diskurs verweist. Die Besonderheit der Übersetzung könnte in der Spezifizität ihres möglichen Scheiterns liegen: Sie könnte multidirektional ausfallen, weil sie ein bestimmtes Moment der Ausgerichtetheit des Vorbilds auf einen anderen Diskurs übersieht. Das würde bedeuten, dass sie unabsichtlich, eigentlich ohne Bewusstsein darüber, einen bestimmten Teil der historischen Materialität des Vor-bildes ignoriert und letztlich ausschließt.
Der „kommunistische Totalitarismus“ als verwandelte Form
Dies ist jedoch ein bekannter Mechanismus interdiskursiver Operationen, zum Beispiel in der Produktion von „Tradition“ oder „Geschichte“: Postkommunistische Konstruktionen des „Totalitarismus“ löschen vergangene politische Kämp- fe aus und vollenden paradoxerweise die Bemühungen vergangener Machthaber, was ihnen in ihrer Zeit nicht gelungen wäre. Solche Konstruktionen beseitigen vergangene Potenzialitäten, um gegenwärtige zu blockieren. Sie totalisieren die Vergangenheit, um den Horizont der Gegenwart zu schließen. In diesem Sinne tragen sie sicherlich zur Begründung einer „Kultur“ bei. Und in dieser Perspektive könnte man sie auch „kulturelle Übersetzungen“ nennen.
Aber es wäre dann theoretisch produktiver, sie als verwandelte Formen, prevrashchennye formy (Mamardashvili), zu behandeln. Ein solcher Versuch könnte einige der Motive weiterentwickeln, die in Mamardashvilis Text auf der Ebene der Institutionen verbleiben. Hier ist eine Skizze.
Der „kommunistische Totalitarismus“ ist in folgendem Sinne eine verwandelte Form:
1. Er artikuliert zwei „Sphären“, von denen eine die andere überdeterminiert. Bei Marx sind diese beiden Sphären die Produktion und die Zirkulation; in unserem Fall wären die zwei „Sphären“ die Multiplizität historischer Prozesse und das instabile Zusammentreffen ihrer provisorischen und temporären Effekte.
2. Es ist ein Element innerhalb der „Sphäre“, die überdeterminiert ist und dort den Platz einer oder mehrerer Elemente oder Prozesse innerhalb der überdeterminierenden „Sphäre“ einnimmt. Bei Marx ist der Profit innerhalb der Zirkulationssphäre eine verwandelte Form und ein Supplement dessen, was der Mehrwert in der Produktion ist: Der Lohn verwandelt und ergänzt den Wert der Arbeitskraft usw. In unserem Fall würde eine bestimmte selektive Präsentation historischer Prozesse einen wichtigen Element-Mechanismus in diesem Zusammentreffen konstituieren: „Befreiung vom kommunistischen Totalitarismus“ wird so präsentiert, um die Aufzwingung einiger historischer und sozialer Prozesse durch die Ausschließung von anderen zu legitimieren.
3. Er konstituiert retroaktiv innerhalb der überdeterminierenden Sphäre jenes Element, das es in der überdeterminierten Sphäre supplementiert und totalisiert und sättigt so die überdeterminierende Sphäre selbst. Bei Marx wird der Wert einer Ware als die sozial notwendige Quantität abstrakter Arbeit definiert, die für seine Produktion erforderlich ist; aber diese Quantität wird nur dann bestimmt, wenn die Ware auf dem Markt „realisiert“ wird, d.h. in der Zirkulationssphäre, und dann nur durch die Vermittlung der generellen Profitrate (die, als Element der Zirkulation, selbst eine verwandelte Form ist, deren Konstitution von demselben Wert abhängt, den sie nachträglich fixiert.) Unser Fall ist einfacher: Der „kommunistische Totalitarismus“ bestimmt retroaktiv die Form bestimmter historischer Prozesse (sie nimmt ihnen ihren politischen und konflikthaften Charakter) und ihre Inhalte (Repression und unterwürfige Resignation). Er totalisiert sie somit in einer historischen „Vergangenheit“, die in der „Gegenwart“ durch die Unmöglichkeit artikuliert wird, die Verbindung zwischen den beiden zu denken. Er bestimmt, wie die „Gegenwart“ durch die „Vergangenheit“ überdeterminiert werden soll.
4. Er erlegt der überdeterminierten Sphäre seine eigene Formulierung der Überdeterminierung als systemische Beschränkung auf. Bei Marx regiert der Wettbewerb zwischen einzelnen Kapitalsmengen sie als äußerliches Zwangsgesetz, er diszipliniert sie dahingehend, im Interesse der gesamten kapitalistischen Klasse zu agieren und kapitalistische Verhältnisse zu reproduzieren und teilt die Gesamtsumme des Mehrwerts, der proportional zum Input notwendiger Arbeit produziert wird, in Aliquoten der beteiligten Kapitalsmengen. In unserem Fall zwingt uns eine transformierte Präsentation vergangener Herrschaftsverhältnisse die gegenwärtigen Herrschaftsverhältnisse als notwendige auf und diszipliniert sowohl die Herrschenden und die Beherrschten in ihren jeweiligen Rollen.
Kulturalisierung als Mechanismus der Zerstörung der politischen Sphäre
Wir könnten jetzt damit beginnen, ein Konzept der Übersetzung als eines Übertragungsmechanismus zu entwerfen, das in der Produktion einer verwandelten Form besteht. Wir könnten eine solche Übersetzung schließlich als „kulturelle“ bezeichnen, da sie in der Tat mit ideologischen Mechanismen zu tun hat. Ein solcher Begriff wäre jedoch irreführend. Obwohl die moderne autonome kulturelle Sphäre als „jenseits“ der politischen Kämpfe etabliert wurde und als grundsätzlich apolitisch; obwohl das Vergessen der soziopolitischen Mechanismen ihrer Entstehung immer eines ihrer konstitutiven Momente darstellte, und obwohl ihre Produktion selbst immer ein Manöver im historischen Aufstieg ihrer neuen Klassen war und die Grundlage eines neuen Klassenkompromisses (Breznik), definierte sich Kultur nichtsdestotrotz immer in Opposition zur existierenden politischen Sphäre – während Kulturalisierung jetzt ein Mechanismus der Zerstörung der politischen Sphäre ist.
1 koiné: griechische Sprache im Zeitalter des Hellenismus, die durch Einebnung von Dialektunterschieden entstand (AdÜ)
Literatur
Bachtin, Michail 1985: Probleme der Poetik Dostoevskijs [1929/1963], Frankfurt / Berlin / Wien
Bhabha, Homi K. 2000: Die Verortung der Kultur, Tübingen
Breznik, Maja 2005: „La borsa e la cultura“, In: Metis. Ricerche di soziologia, psicologia e anthropologia della comunicazione, Vol. 12, no. 1 / 2005, Padova
Butler, Judith et al. 2000: Contingency, Hegemony, Universality, London / New York
Dumarsais [César Chesnau, sieur du Marsais] 1988: Des tropes ou des différents sens [1730], Paris
Goethe, Johann W. 1961: Der West-östliche Divan. Noten und Abhandlung zu besserem Verständnis des West-östliches Divans [1819], München
Lloyd, David 1987: Nationalism and Minor Literature, Berkeley etc.
Mamardashvili, Merab K. 1970: „Prevrashchennye formy“, unter: http://www.philosophy. ru/library/mmk/forms.ht ml
Marx, Karl 1964: Das Kapital III, MEW 25, Berlin
Schleiermacher, Friedrich 1977: „Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens“ [1813], Transl. in: Lefevere, André: Translating Literature: The German Tradition, Amsterdam
Taylor, Charles 1994: „The Politics of recognition“, In: Amy Gutmann, ed.: Multiculturalism, Princeton
Volosinov, Valentin N. 1975: Marxismus und Sprachphilosophie, Berlin
Rastko Mocnik ist Philosoph und lehrt an der Universität Ljubljana.