Wenn die Parodie Realität wird ... Der Studiengebührenboykott an der HfbK Hamburg

In jenem Winter legte auch die so genannte Dohnanyi-Kommission ihre folgenreichen Empfehlungen vor: Die Strukturreform für Hamburgs Hochschulen 2003-2012, die einen massiven Abbau der Bereiche Architektur, Kunst, Musik und Geistes-, sowie Sozialwissenschaften als Ziel nennt, ist unter engagierter Mitarbeit der Unternehmensberater McKinsey & Company entstanden.

Der Winter 2002/03 war eine militante Zeit in Hamburg. Der rechtskonservative Senat aus CDU und Schill-Partei vertrieb die Bauwagenkommune Bambule gewaltsam aus der Stadt. Mehrere tausend Polizisten waren mit gepanzerten Fahrzeugen im gesamten Stadtgebiet im Einsatz, wochenlang kreisten Hubschrauber über der Stadt, denn Bambule hatte viele SympathisantInnen in der Hamburger Bevölkerung. Es war ein Szenario der Einschüchterung und Militarisierung des städtischen Raums: Ein offener Krieg gegen alternative Lebensentwürfe.

In jenem Winter legte auch die so genannte Dohnanyi-Kommission ihre folgenreichen Empfehlungen vor: Die Strukturreform für Hamburgs Hochschulen 2003-2012, die einen massiven Abbau der Bereiche Architektur, Kunst, Musik und Geistes-, sowie Sozialwissenschaften als Ziel nennt, ist unter engagierter Mitarbeit der Unternehmensberater McKinsey & Company entstanden. Als Begründung der „Umverteilung“ zugunsten der Natur- und Ingenieurswissenschaften wurden die „zu erwartenden gesellschaftlichen Bedarfe im Jahr 2012“ angeführt, welchen wiederum die „wirtschaftlichen Strukturentwicklungen zu Grunde [liegen] – mit allen ihren Unsicherheiten.“ Eine Projektion wurde zum folgenreichen Sachzwang, die Unschärfen in den Prognosen wurden zu Determinanten für den staatlichen Rückzug aus der Bildungsfinanzierung und die Unternehmensberatung zur Prophetin der Wissensgesellschaft: „Der zweite Grund für die Einführung von Bachelor- und Master- Studiengängen liegt in den veränderten Anforderungen, die eine Wissensgesellschaft an die Qualifikation der Beschäftigten stellt.“

Gegen diese Maßsetzungen – und insbesondere gegen Studiengebühren von 500 Euro pro Semester – fanden in den folgenden Jahren große Demonstrationen statt. Während sich die Dohnanyi-Kommission darüber im Klaren war, „dass die von ihr empfohlenen Reformschritte eine Reihe schmerzhafter Entscheidungen notwendig machen werden, denen sich auch beharrliche Opposition und Interessen entgegenstellen werden“, war vielen Studierenden noch nicht bewusst, dass ziviler Widerstand gegen dieses Programm bedeuten würde, auf Anweisung des Unipräsidenten von Hundertschaften der Hamburger Polizei vom Campus geprügelt zu werden.

Künstlerische Protestformen

Die häufigen Polizeiübergriffe gegen demonstrierende Studierende hatten Konsequenzen für die Formen des Protests. So gab es an der HfbK künstlerische Interventionen gegen den ideologisch gefärbten Umbau der Kunsthochschule. Die Aktionen beschäftigten sich unter anderem mit der Kommerzialisierung des künstlerischen Diskurses und kritisierten die Kunsthochschule als „Zulieferer für den Kunstmarkt“. So inszenierten Studierende 2004 während der Jahresausstellung eine manisch aufgeladene Kunstauktion. 2005 gab es einen „Evaluierungsbogen“ im Design des Ausstellungsflyers, zusammen mit einem bedruckten Kugelschreiber HFBK – Ready for a creative future:

„Künstlerische Exzellenzen fallen nicht vom Baum. In Zeiten, da eine effiziente Lehre gefragt ist, gilt unser Streben einem flexiblen, den aktuellen Erfordernissen genau angepassten Lehrangebot. Helfen Sie uns, Defizite ausfindig zu machen und geben Sie Ihre persönliche Einschätzung zu diesem Thema ab!
Die Ausstellung in Ihrer Gesamtheit betrachtet, welchen Lehrinhalt halten sie für nicht ausreichend vermittelt?

a) Kreativität (z.B. neue Themen)
b) Technik (z.B. der richtige Pinselschwung)
c) Theorie (z.B. kunstgeschichtliche Referenzen).“

Betrachten wir diese Aktionen und vergleichen wir die damals noch als Provokation wahrgenommene Überaffirmation mit der heutigen Situation, muss man sagen: Die Parodie ist Realität geworden. Damals gab es empörte Studierende, die den Evaluierungsbogen für authentisch hielten und den Präsidenten Martin Köttering zur Rede stellten. Dieser wiederum wurde dabei beobachtet, wie er hastig herumliegende Bögen einsammelte und fieberhaft nach den Hostessen suchte, die die Bögen verteilten. Bewies sich in diesem Bild die Hilflosigkeit des Präsidenten angesichts kritischer Kunst, so zeigte und zeigt sich jene der Institutionen gegenüber alternativen Lebensentwürfen in der Härte der Repression.

Das militärische Vorgehen gegen Bambule und die Unterdrückung studentischer Proteste mit Polizeigewalt wird in der Regulation des Kunstdiskurses fortgesetzt. So werden Kunstaktionen verhindert, die über assimilierbare Institutionskritik hinausgehen. Ein Beispiel aus dem letzten Jahr ist die Verhinderung eines künstlerischen Eingriffs an der HfbK, bei der ein privater Wachdienst engagiert werden sollte, während der Nacht des Wissens in der HfbK zu patrouillieren. Das Zynische ist, dass als Repressionsmaßnahme gegen die Proteste später tatsächlich ein privater Wachdienst vom Präsidium eingesetzt wurde.

Die direkte Anbindung der Presse- und Kommunikationsabteilung an das Präsidium lässt nur ein bestimmtes Bild der HfbK nach Innen und Außen zu. Die Öffentlichkeit soll ein einheitliches, attraktives Bild von der Hochschule erhalten. An der Hamburger Universität ist das Präsidium noch einen Schritt weiter gegangen. Damit die Universität „einheitlich nach außen auftritt“, gibt es einen Maulkorberlass, der es den ProfessorInnen verbietet, zu politisch diskutierten Fragen Stellung zu nehmen, „ohne sich mit der Pressestelle abzustimmen“. Auch zum Entzug von Lehraufträgen ist es hier gekommen. Für die ProfessorInnen an der HfbK gilt: Wer sich positiv zum Boykott äußert, dem droht ein Disziplinarverfahren.

Aktion Boykott

Der Studiengebührenboykott im Sommersemester 2007 war einerseits eine langfristig geplante Aktion der aktiven Studierendengruppen. Andererseits muss auch die oben geschilderte Lage bedacht werden, die einen Boykott als letztes mögliches Mittel erscheinen ließ, innerhalb eines zivilen Rahmens Widerstand gegen die Reformen zu leisten. Effektive studentische Mitbestimmungsmöglichkeiten waren im Zuge der Reformen abgeschafft worden. In einer ersten Vollversammlung wurde der Präsident der Hochschule von Studierenden aufgefordert, seine Position gegenüber den BoykotteurInnen offen zu legen. Das Gesetz zwinge ihn zu exmatrikulieren, lautete seine Antwort.

An den anderen Hochschulen war das von den Studierenden selbst gesetzte Quorum knapp verfehlt worden. Die HfbK-BoykotteurInnen konnten sich deshalb keiner hamburgweiten Aktion anschließen. Diese missliche Lage konnte in Teilen durch die Solidarität kompensiert werden, die den Boykottierenden überregional zuteil wurde sowie durch die mediale Aufmerksamkeit, die den Druck auf die Hochschulleitung und die Wissenschaftsbehörde verstärkte. Die Darstellung der HfbK als „gallisches Dorf“ durchbrach zeitweilig die offizialistische Hülle und setzte ein bis in den aktuellen Boykott 2.0 hineinreichendes Politisierungspotential unter den Studierenden frei. Die traditionelle Jahresausstellung wurde in 2007 offensiv in Frage gestellt. Für die HfbK bedeutete dies eine neue Qualität der Proteste. Zwar konnte sich nicht die ganze Studierendenschaft überzeugen lassen, die Ausstellung zu boykottieren, jedoch stand dieses „Event“ ganz im Zeichen der Verweigerung. Mahnbescheide wurden aufgehängt oder wurden zu Papierfliegern, die Eröffnungsrede des Präsidenten wurde ins Freie verlagert, BesucherInnen mussten eine Solidaritätserklärung unterzeichnen. Diese visuellen Ergebnisse fanden auch dankbaren Widerhall in den Medien.

Die von der Hochschulleitung auf allen Kanälen signalisierte „Gesprächsbereitschaft“ bestand letztlich lediglich in dem Angebot, über die Verwendung der Gebühren zu verhandeln. Dies war ein Hohn für die Studierenden, denn ein studentisches Mitbestimmungsrecht bei der Verwendung war ohnehin gesetzlich vorgesehen. Während die Hochschule mit einer Verzögerungstaktik die Zahlungsfrist weiter hinausschob, vergingen die Semesterferien. Eine kleine Gruppe arbeitete in einem autonomen Trimester kontinuierlich an Perspektiven und Analysen, viele hatten jedoch Widerspruchs- und Klagefristen ungenutzt verstreichen lassen. Die Zahl der aktiven BoykotteurInnen sank gegen Ende der Schonfrist und der Hochschulpräsident verkündete im Norddeutschen Rundfunk, nachdem noch 150 von ursprünglich 300 Boykotteuren von der Exmatrikulation bedroht waren, dass „die Gefahr eines massiven Aderlasses für seine Hochschule“ grundsätzlich gebannt sei.

In dieser zynischen Erklärung offenbart sich eine Haltung, die den Verlust kritischer Studierender nicht nur billigend hinnimmt, sondern darin auch einen wünschenswerten Effekt sieht. Der Deutsche Kulturrat, der bundesweite Dachverband aller Kulturträger, äußerte sich zu diesem Thema besorgt: „Der Umgang des Hamburger Wissenschaftssenators Dräger mit den Studierenden an der Hochschule für bildende Künste Hamburg ist ein Künstlervertreibungsprogramm“. Harte Worte von einer doch recht bürgerlichen Institution.

Die systematische Instrumentalisierung der Kunstlandschaft

Als ein nächtliches Protestmalen, das die gesamten Flure des Hochschulgebäudes einbezog, zu Strafanzeigen führte, offenbarte sich deutlich die Doppelmoral des Präsidiums, bestehend aus dem Kurator Martin Köttering, der Kunstwissenschaftlerin Hanne Loreck und dem Bühnenbildner Raimund Bauer: Zunächst war man davon ausgegangen, dass die vermeintlichen „Anstifter“ des Boykotts für die Wandmalerein verantwortlich gemacht werden konnten. Vor der Presse sprach der Präsident betroffen von Vandalismus und behauptete einen Schaden in fünfstelliger Höhe. Nachdem allerdings bewiesen war, dass bislang unauffällige MalerInnen hinter der Aktion steckten, wurde von beabsichtigter Polizeibewachung auf privaten Sicherheitsservice umgestellt, die Anzeigen zurückgenommen und der Staatsschutz wieder abbestellt. Die „immense“ Sachbeschädigung konnte übrigens von Studierenden innerhalb eines Wochenendes problemlos rückgängig gemacht werden. Politisch aktive Studierende von den Hochschulen zu vertreiben und politisches Engagement an den Hochschulen zu verunmöglichen, mag als Nebenwirkung des Bolognaprozesses gelten. Im Falle der Hamburger Kunsthochschule ist ein weiterer Faktor entscheidend: Gentrifizierungsprojekte, wie die Wachsende Stadt, die Internationale Bauausstellung 2006-2013 und das Talentstadt-Programm sowie die Aufwertung der privatisierten HafenCity setzen auf die Bebrütung von Stadtteilen durch „creative people“. Die HfbK soll dieses Personal bereitstellen. Eine kritische Diskussion einer solchen Instrumentalisierung ist unerwünscht.

Halten wir fest, dass die Einen kommen sollen, die Integrierbaren, Unkritischen, die Atmosphäre Schaffenden sicherlich, die Unbequemen aber vertrieben werden sollen, wie vor fünf Jahren Bambule, die Bauwagenkommune.

Bianca Hein studiert Kunst, Theorie und Geschichte an der HfbK Hamburg. Im Sommer 2007 war sie Mitorganisatorin des Autonomen Trimesters. Zur Zeit arbeitet sie an einer unabhängigen Publikation an der HfbK.

Frank Wörler ist Autor und Filmemacher. Er studiert Kunst und Philosophie an der HfbK Hamburg. Zur Zeit arbeitet er an Filmprojekten zu Bildungsthemen.