AktivistInnen im Visier
Im Kontext einer allgemeinen Militarisierung des Alltagslebens, einer beispiellosen Ausweitung der offiziellen Überwachung und einer Aushöhlung von grundlegenden zivilen und demokratischen Rechten, gibt es eine deutliche internationale Tendenz, die etablierten Formen von Dissens und Protest zu kriminalisieren und zivilen Ungehorsam und direkte Aktion als „Terrorismus“ neu zu kategorisieren.
Nach sechseinhalb Jahren im US-geführten „Krieg gegen den Terror“ sind dessen verhängnisvollste Wirkungen insbesondere auf die Bevölkerungen des Mittleren Ostens gut bekannt. Weniger sichtbar ist aber jener Angriff, der gleichzeitig im Namen eines weltweiten Ausnahmezustands gegen progressive soziale Bewegungen geführt wird. Im Kontext einer allgemeinen Militarisierung des Alltagslebens, einer beispiellosen Ausweitung der offiziellen Überwachung und einer Aushöhlung von grundlegenden zivilen und demokratischen Rechten, gibt es eine deutliche internationale Tendenz, die etablierten Formen von Dissens und Protest zu kriminalisieren und zivilen Ungehorsam und direkte Aktion als „Terrorismus“ neu zu kategorisieren.
„Krieg gegen den Terror“ nach außen ...
Der „Krieg gegen den Terror“, eine Neuerung in der globalen Anwendung von repressiver Staatsmacht, normalisiert und globalisiert Aspekte des staatlichen Ausnahmezustands bzw. Notstands, darunter vor allem die Macht, die Existenz eines absoluten und untragbaren Feindes zu proklamieren. Nach den Schreckenstaten des 11. September 2001 hat der US-Präsident weder die US-Verfassung außer Kraft gesetzt noch eine Ausgangssperre verhängt. Aber er hat den Ausnahmezustand und den Notstand als Sprechakte vollzogen – einschließlich der klassischen Wiederaufnahme der Freund-Feind-Unterscheidung: „Wer nicht mit uns ist, ist mit den Terroristen.“ Der Beweis dafür findet sich im Arsenal der Machterweiterungen, die in der Gesetzgebung vom USA Patriot Act (US-Vaterlandsgesetz) von 2001 bis zum Military Commissions Act (Militärversorgungs- gesetz) von 2006 geltend gemacht wurden sowie in vergleichbaren Gesetzen, die von Staaten auf der ganzen Welt übernommen wurden. Gleichzeitig sollten die BürgerInnen die neuen staatlichen Ermächtigungen nicht als zeitweilige Unterbrechung der Normalität, sondern als die Ankunft einer neuen Normalität anerkennen: „Geht einkaufen!“, rief der US-Präsident 2001 den AmerikanerInnen zu.
Die neuen Machtbefugnisse wurden schnell in die Tat umgesetzt. Staatliche Sicherheitsagenturen und private Unternehmen haben gemeinsam am Aufbau eines weltweiten Netzwerkes von inoffiziellen Eingreiftruppen und „rendition“ planes, Stützpunkten, Durchgangslagern und geheimen Gefängnissen gearbeitet. Von Guantánamo, Abu Ghraib und Bagram über Marokko, Syrien und Ägypten bis hin zu Polen, Rumänien und anderen immer noch unbekannten Orten hat dieses Netzwerk die aktive Zusammenarbeit zahlreicher Staaten mit ihren korporativen und paramilitärischen Bevollmächtigten und die Komplizenschaft vieler weiterer herbeigeführt. Unter den hunderten von Opfern befinden sich, wie inzwischen wohlbekannt ist, nicht wenige Unschuldige.
Da der Druck, der US-Führung zu folgen, real und konstant ist, ist es notwendig, zu verstehen, wie die Notfallsermächtigungen in den Vereinigten Staaten interpretiert werden: Ein Staat ruft durch die Aktivierung eines Notstands die Gesetzgebung an, um sich selbst von dieser Gesetzgebung auszunehmen. Von allen Notstandsgesetzen, die de jure oder de facto von der Bush-Regierung geltend gemacht wurden, ist das für die Rechtsstaatlichkeit selbst am meisten schädigende die Einschränkung des habeas corpus, des Rechts eines Verhafteten, formal angeklagt oder aber schnell freigelassen zu werden. Die neue Kategorie von unlawful enemy combatants, die angeblich nicht unter den Schutz der Genfer Konventionen fallen, steht für einen Rückfall in willkürliche Machtausübung und einen rechtlichen Schwebezustand. Jenen, denen es nicht erlaubt wird, ihren Anklägern gegenüber zu treten oder ein Verfahren vor einem unabhängigen Richter einzufordern, werden die Voraussetzungen der liberalen Rechtsprechung schlicht verweigert.
... und nach innen
Diese auf einen äußeren Feind gerichteten Schritte wurden von regelrechten Machtdemonstrationen in den USA selbst begleitet. Es ist vor allem diese Anwendung der neuen Notfallsermächtigungen nach Innen, die den Verdacht nährt, dass der „Krieg gegen den Terror“ zusätzlich zu Al-Qaeda und anderen Netzwerken von Anfang an auch die Bewegung der Bewegungen im Blick gehabt hat: Seit dem 11. September 2001 hat es eine deutliche Steigerung von repressiven Maßnahmen gegenüber Anti-Irakkriegs-DemonstrantInnen gegeben; Pfeffersprays, Elektroschockpistolen und Gummigeschosse wurden gegen Protestierende eingesetzt, am brutalsten im April 2003 in Oakland und im November desselben Jahres in Miami. Die nationalen Überwachungsprogramme – in der Folge von Watergate und anderen Missbrauchsfällen in den frühen 1970ern verboten – wurden in neuer Form reaktiviert. Wie 2005 durchsickerte, beobachtete die verschwiegene Counterintelligence Field Activity Agency (CIFA) des Pentagon Anti-Kriegs-Demos in den USA und legte Akten über Friedensgruppen, einschließlich der Quäker, an.
Und zuletzt sind die USA mehr denn je dazu entschlossen, Sachbeschädigungen als Terrorismus zu behandeln. In den Vereinigten Staaten werden direkte Aktionen, bei denen es zu Sachbeschädigungen kommt, meist mit Umweltschutz- oder Tierrechtsgruppen, wie der Earth Liberation Front (ELF), oder mit anarchistischen und autonomen Gruppen in Verbindung gebracht. Während die Angriffe der letzteren auf Firmeneigentum in städtischen Zentren weitgehend symbolisch sind, zielen die Aktionen der Umweltschutzgruppen viel systematischer auf die wirtschaftlichen Profite der Konzerne ab. Das FBI behauptet, dass die ELF gemeinsam mit der verbündeten Animal Liberation Front (ALF) seit 1996 mehr als 43 Millionen US-Dollar Sachschaden verursacht haben.[1] Aus diesem Grund führten ELF/ALF sogar die FBI-Liste für innere terroristische Bedrohungen an, obwohl die ELF Gewalt gegen Personen eindeutig abgelehnt. Im Vergleich dazu hat Gewalt von rechten und fremdenfeindlichen Milizen in den Vereinigten Staaten eine ganz andere Form, Motivation und Größenordenordnung. Der Angriff 1995 auf das Murrah Regierungsgebäude in Oklahoma Stadt tötete beispielsweise 169 Personen, darunter viele Kinder und verletzte an die 500 weitere.
2005 startete das FBI mit Green Scare eine Razzia gegen die ELF. Verhaftete AktivistInnen wurden für Brandstiftungen mit drakonisch verschärften Strafen bedroht. Eine Brandstiftung, bei der niemand verletzt wird, zieht üblicherweise eine Verurteilung von weniger als vier Jahren nach sich; durch die verschärfte Verurteilung kann das Strafmaß auf über 20 Jahre erhöht werden.[2] Einem an zwei Brandstiftungen beteiligten Aktivisten wurde eine lebenslängliche Strafe plus 1150 Jahren angedroht.[3] Angesichts solcher Aussichten wurden viele AktivistInnen zu InformantInnen, die Zellen der ELF sind inzwischen weitgehend zerschlagen.
Ein Indiz dafür, dass dieser Trend einer fortdauernden politischen Tendenz entspricht, ist ein Gesetzesentwurf von 2007, der Violent Radicalization and Homegrown Terrorism Prevention Act. Dieser Entwurf, der im Oktober 2007 das Repräsentantenhaus mit 400 zu 6 Stimmen passierte, ist derzeit auf seinem Weg durch den Senat. Sollte er Gesetz werden, würden eine nationale Beratungskommission und eine neue Denkfabrik eingerichtet – ein „Exzellenzzentrum“ mit Sitz an einer Universität, an dem Gelehrte der Abteilung für Heimatschutz (Department of Homeland Security) arbeiten. Die Begriffsbestimmungen des Entwurfs lassen viel Spielraum. „Hausgemachter Terrorismus“ sei „die Anwendung, geplante oder angedrohte Anwendung von Zwang oder Gewalt durch eine Gruppe oder eine natürliche Person, die in den Vereinigten Staaten oder einer Besitzung der Vereinigten Staaten geboren, aufgewachsen, ansässig oder vorrangig tätig ist, mit dem Ziel, die Regierung der Vereinigten Staaten, die Zivilbevölkerung der Vereinigten Staaten oder jegliche Teile davon, zur Erlangung von politischen oder sozialen Zielen einzuschüchtern oder zu nötigen.“[4] „Gewaltsame Radikalisierung“ sei „der Prozess der Übernahme oder Verbreitung eines extremistischen Glaubenssystems zum Zweck der Ermöglichung von auf Ideologie gegründeter Gewalt zur Herbeiführung von politischem, religiösem oder sozialem Wandel.“ Mit anderen Worten: Jede Demonstration oder jeder Akt von zivilem Ungehorsam kann als „Terrorismus“ klassifiziert werden.
2005 veröffentlichte eine Fachabteilung der RAND Corporation einen Bericht zu „Terrorismustrends“. Die RAND Corporation wurde 1946 als gemeinsames Projekt der US-Luftwaffe und der Douglas Aircraft Company gegründet. 1948 wurde sie zu einer „unabhängigen“ Denkfabrik, die die staatliche US-Politik seither in verschiedenen sicherheitsrelevanten Bereichen beeinflusst hat. Der RAND-Bericht identifiziert drei innere terroristische Bedrohungen in den Vereinigten Staaten: AnarchistInnen, rechtsgerichtete ExtremistInnen und UmweltschutzaktivistInnen. In einer entlarvenden Gleichsetzung werden alle drei mit der „Antiglobalisierungs“-Bewegung in Verbindung gebracht: „Die sich aus der Antiglobalisierungsbewegung (AG) entwickelnden Normen scheinen einen radikalen inneren Zusammenhang zu schaffen, um die Militanz der äußeren Rechten mit jener zu verschmelzen, die von den zielgerichteteren extremistischen Umweltanliegen ausgeht.“[5] Sicherlich vermeidet der RAND-Bericht jede plumpe Identifizierung von „Antiglobalismus“ und „Terrorismus“. Er begnügt sich damit, die Existenz von Übereinstimmungen zu behaupten, aus denen tatsächliche Bedrohungen entwickelt werden können.
Kampf gegen den Klassenkampf
AktivistInnen werden möglicherweise nicht als Terroristen eingestuft, bevor sie nicht die Grenze zur Sachbeschädigung überschreiten oder zu Formen der direkten Aktion, die etwa als „Einschüchterung“ interpretiert werden können. (Denk zweimal nach, bevor du deine Faust hebst oder einen Spruch auf einer Demo in den Vereinigten Staaten schreist.) Aber die Tatsache, dass die Bewegung der Bewegungen als „der Kontext“ identifiziert wird, von dem aus terroristische Bedrohungen erwartet werden, genügt, um Ängste bezüglich der zusätzlichen Agenden des „Kriegs gegen den Terror“ zu bestätigen. Die Vereinigten Staaten sind darauf vorbereitet, jeden Versuch einer Wiederbelebung von Klassenkämpfen oder antikapitalistischen sozialen Kämpfen ins Visier zu nehmen. Das ist vielleicht keine große Überraschung – aber in seinen Auswirkungen auf soziale Bewegungen in den Vereinigten Staaten – Besorgnis erregend. Europa ist den Vereinigten Staaten nicht einheitlich in diese Richtung gefolgt. Es lässt sich sogar auf neuere kleine Erfolge in Deutschland verweisen, wo das Verfassungsgericht Versuche zurückgewiesen hat, die militante Gruppe (mg), die im Verdacht steht, eine Anzahl von Lastwägen und Fahrzeugen der Bundeswehr angezündet zu haben, als terroristische Vereinigung einzustufen. Aber dennoch sollten sich AktivistInnen – auch außerhalb der Vereinigten Staaten – bewusst sein über die Richtung, in die sich der globale Hegemon bewegt.
1 Zeugenaussage von James F. Jarboe, Chef der Abteilung für inneren Terrorismus im FBI vor dem Komitee für Haushaltsressourcen am 12. Februar 2002; online auf: Jarboe
2 Michael Donnelly: Green Sabotage as ‚Terrorism’, in: Counterpunch, Mai 26/27, online auf: counterpunch
3 Facing Seven Years in Jail. Environmental Activist Daniel McGowan Speaks Out About the Earth Liberation Front, the Green Scare and the Government’s Treatment of Activists as ‚Terrorists’,“ in: Democracy Now!, 11. Jänner 2007, online auf: McGowan
4 Der gesamte Text ist in der US-Kongressbibliothek online nachzulesen: Text
5 PETER CHALK, BRUCE HOFFMAN, ROBERT REVILLE, ANNA-BRITT KASUPSKI (2005): Trends in Terrorism: Threats to the United States and the Future of the Terrorism Risk Insurance Act, Santa Monica, CA RAND Corporation, S. 39.
Gene Ray Kritiker und Theoretiker, lebt in Berlin. Er ist Mitglied des Radical Culture Research Collective (RCRC).
Übersetzung: Tom Waibel