Arbeitslosenversicherung, alles klar?
An sich könnte es relativ einfach sein: Ein transparentes Handeln des AMS respektive der Ministerien für Soziales und Wirtschaft und ein unabhängiges Instanzensystem bei Fehlern – und die BewohnerInnen des Landes wären in der Lage, ihre Ansprüche zu prüfen und für vernünftige Änderungen im System einzutreten.
(1) An sich könnte es relativ einfach sein: Ein transparentes Handeln des AMS respektive der Ministerien für Soziales und Wirtschaft und ein unabhängiges Instanzensystem bei Fehlern – und die BewohnerInnen des Landes wären in der Lage, ihre Ansprüche zu prüfen und für vernünftige Änderungen im System einzutreten. Klassisch bürgerliches Rechtsverständnis sozusagen. Dummerweise interagiert ein solches in der Realität mit Interessenslagen an Achsen gesellschaftlicher Machtverhältnisse – und in Bezug auf soziale Absicherung im Besonderen mit der gesellschaftlichen Verteilung von Reichtum. Ein zugehöriges Dilemma ist die grundsätzliche Einschätzung menschlicher Fähigkeiten: Während die einen die Fähigkeit zur Selbstorganisation eines glücklichen Lebens an ein funktionierendes Erwerbsleben gekoppelt sehen, verbinden andere selbiges mit erfolgreicher – sozusagen autonomer – Einkommenssicherung. Soziale Absicherung bleibt dann je nach Sichtweise eine Überbrückungshilfe in unglücklichen Zeiten oder ein grundsätzliches Missverständnis (bzw. Almosen, denn irgendwie müssen ja auch die Armen friedlich bleiben). Soziale Absicherung als Tool zum selbstbestimmten Leben durch eine Existenzsicherung für alle? Zumindest bürgerrechtliche Standards bezüglich Information und unabhängigem Rechtsweg?
(2) Die soziale Lage von KünstlerInnen führt seit Beginn sozialstaatlicher Verrechtlichung ein relatives Nischendasein: Zum einen gibt’s im Schnitt immer zuwenig Einkommen und zum anderen spezielle sozialversicherungs- und arbeitsrechtliche Regelungen – in Anerkennung der Tatsache, dass künstlerische Berufe (besser: Arbeitssituationen?) mit allgemeinen Standardregeln nicht zu erfassen sind. Der Abbau sozialer Sicherungssysteme der vergangenen Jahrzehnte bringt konsequenterweise zuerst jene in die Bredouille, die schon zuvor nur bedingt abgesichert waren – umso mehr, als die Arbeitsbedingungen von Kunstschaffenden (insbesondere wenig Einkommen kombiniert mit wenig sozialer Absicherung) in den vergangenen Jahren als Vorlage zur Einsparung von Lohnkosten in großen Teilen der Arbeitswelt dienen mussten; und Sonderregelungen immer aufs Neue gegenüber allgemein notwendigen Maßnahmen und Forderungen abgewogen werden müssen. Immerhin ist es aber gelungen, die soziale Lage von KünstlerInnen zum Thema der Regierungspolitik zu machen, – was von anderen aktuellen kulturpolitischen Fragen kaum behauptet werden kann ...
(3) Die politische Geschichte des BMUKK nach Ablösung der schwarzblauorangen Regierung bezüglich sozialer Lage von KünstlerInnen geht im Moment so: Part I: Sofortmaßnahmen. Novelle des KünstlerInnensozialversicherungsfondsgesetzes (KSVFG). Part II: Untersuchung des Status Quo: Studie zur sozialen Lage von KünstlerInnen in Österreich. Part III (jetzt): Evaluierung und Diskussion: Interministerielle Arbeitsgruppe (IMAG) und öffentliche Konferenz. Part IV (Zukunft): Umsetzung geeigneter Maßnahmen.
Diese so genannte „Erfolgsgeschichte“ hat im Grunde genommen nur zwei Haken: zum einen der zeitliche Ablauf (es ist nicht einzusehen, warum es immer große Pausen zwischen den Parts gibt) und zum anderen die inhaltliche Konsequenz: Die KSVFG-Novelle ist und war nicht die einzige unmittelbare Baustelle, – vor allem aber ist nach der Novelle vor der Novelle (um nur ein Beispiel zu bringen: Die Forderungen nach Sofortmaßnahmen des Kulturrat Österreich zum KSVFG „können“ unverändert aufrechterhalten werden).
(4) Derzeit tagt also die interministerielle Arbeitsgruppe (aus Einladung des BMUKK; mit VertreterInnen von BMUKK, Sozial- (BMASK), Frauen-, Gesundheits- und Wirtschaftsministerium; VertreterInnen von AMS, SVA, SozialpartnerInnen und tatsächlich: InteressenvertreterInnen). Die Einbindung von letzteren – also uns – erfolgte gegen den ursprünglichen BMUKK-Plan nach einer Kombination von Intervention und dem Engagement eines eingebundenen Sektionsleiters im BMASK, Walter Pöltner; und es liegt der Verdacht nahe, dass der Charakter der IMAGs insbesondere durch diese Einbindung eine grundsätzliche Änderung erfahren hat: Bis dato verteilen sich die Gespräche inhaltlich relativ ausgewogen auf Information durch InteressenvertreterInnen zur Situation von KünstlerInnen und auf das Einfordern von Information durch dieselben ... Themenbezogen haben sich bislang drei große Blöcke konstituiert: Sozialversicherung (Regelung für gemischte Einkommensverhältnisse konträr zum zweigliedrigen Sozialversicherungssystem), Arbeitsrecht (Schauspielgesetz) und Arbeitslosenversicherung. Außen vor sind die Bereiche Subventionen (mangels monetären Interesses des BMUKK) und UrheberInnenrecht (mangels Position auf Seiten der InteressenvertreterInnen respektive wegen inhaltlicher Unzuständigkeitserklärungen durch die österreichische Politik).
Verhandlungsgegenstand Arbeitslosenversicherung
Ausgangslage Spätherbst 2008: Drohende Konsequenzen aus einer Bundesrichtlinie des AMS (u. a. die ausgelagerte KünstlerInnenbetreuung in Wien „Team 4“ betreffend) und der mit 1.1.09 in Geltung tretenden Teile der letzten großen AlVG-Novelle brachten sowohl KünstlerInnen als auch ihre Interessenvertretungen zum Handeln. Erwerbslose arbeitslosengeldbeziehende KünstlerInnen waren 2004 die letzten, die noch innerhalb des AMS eine berufsspezifische Betreuung vorfanden. Im Zuge der allgemeinen Standardisierung (nach dem Muster: „alles wie die am schlechtesten vorhandene Variante“) wurde die berufsspezifische Betreuung aber immerhin nicht abgeschafft, sondern ausgelagert – und findet seither durch den Verein „Team 4 KünstlerInnenservice“ statt, vertraglich als so genannte Bundesbetreuungseinrichtung (BBE) an das AMS Wien gekoppelt. In der – mittlerweile vorletzten – AMS-Richtlinie für BBE wurde nun für alle BBE der Kategorie 2 (von 3) festgelegt, dass eine Betreuung maximal ein Jahr dauern darf (gültig seit 1.2.2008 – in der Konsequenz wirksam ab Februar 2009). Eine Rückkehr sollte nur möglich sein, wenn eine Person lange genug angestellt war, um einen neuen Antrag auf Arbeitslosengeld ausfüllen zu müssen (63 Tage).
Das Team 4 hat nun einen (wenn auch nur beratenden) Beirat, in dem auch InteressenvertreterInnen sitzen (eine der wenigen Konsequenzen aus der Besetzung einer AMS-Bezirksstelle gegen die Auslagerung der KünstlerInnenbetreuung 2004) – der angesichts der drohenden Krise vorübergehend mit prominenter Besetzung (u. a. AMS-Chef Buchinger) tagte. Als konkretes Ergebnis gab es ein kleines Zugeständnis: Im Team 4 sollte auch verbleiben dürfen, wer in drei aufeinander folgenden Monaten vorübergehend, aber mit jeweils mehr als geringfügigem Verdienst tätig ist.
Sozusagen gleichzeitig wurde die freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige aktuell – mit potenziell heftigen Konsequenzen für jene, die ihren Arbeitslosenanspruch durch unselbstständige Arbeit erworben hatten, aber parallel auch selbstständig arbeiten. Bedingt durch äußerst vage Formulierungen im neuen Gesetz war die konkrete Praxis des AMS allerdings so ziemlich unvorhersagbar. Die Praxis, wie sie Wolfgang Kiffel (AMS Wien) in einem Infovortrag Mitte März 2009 vorstellte, ergab folgendes: Eine aufrechte (oder eine bis vor kurzem aufrechte) SVA-Pflichtversicherung kollidiert vollkommen mit ALG-Ansprüchen aus unselbstständiger Arbeit: entweder ohne ALG-Anspruch weiterarbeiten oder Arbeitslosengeld beziehen (können) – mit unbefristetem Verzicht sowohl auf selbstständiges Arbeiten als auch auf Tätigkeiten im zuvor SVA-pflichtversicherten Beruf. Damit war die Katastrophe perfekt.
Sichtbar wurde aber auch eine Kehrtwende in der AMS-Praxis: Wurde bisher honoriert, wenn erwerbslose ArbeitslosengeldbezieherInnen neben dem AMS-Bezug arbeiten gingen (im Team 4 war es bis dahin notwendig, einen zwar kleinen aber regelmäßigen Verdienst zum Verbleib in der BBE nachzuweisen), galt dies für Selbstständige und solche, die auch selbstständig tätig sind, nun nicht mehr: Arbeiten nur mehr geblockt – während dem Bezug (eher) nicht. Fatal an solchen Veränderungen ist natürlich wie immer die fehlende Information ...
Aktivitäten der Interessenvertretungen
In der Folge startete zum einen die interministerielle Arbeitsgruppe, zum anderen eine Serie von Aktivitäten der InteressenvertreterInnen – insbesondere koordiniert im Kulturrat Österreich. Vorneweg: Zwischenergebnisse gibt es, Resultate noch nicht.
Eine Diskussionsveranstaltung des Kulturrats im Mai brachte zwar nicht das gewünschte Resultat (Stellungnahmen von PolitikerInnen der Regierungsparteien zur Arbeitslosengesetzgebung), immerhin aber eine erste öffentliche Präsentation der Zusammensetzung und Zielsetzung der interministeriellen Arbeitsgruppe durch Günter Lackenbucher (BMUKK). Als zweites wurde in der Folge die SPÖ insofern aktiv, als AMS und BMASK grundlegende Differenzen in der jeweiligen Gesetzesauslegung (a) erkannten und (b) zu lösen versuchten: Seitens des BMASK erging Anfang Mai 2009 eine Durchführungsweisung an das AMS – u. a. den Umgang mit Arbeitsverhältnissen quer zur zweigeteilten Sozialversicherungsrealität betreffend. Bekannt wurde diese Weisung aber erst Anfang Juni – und die daraus abgeleitete Praxis des AMS ist noch unbestätigt, läuft aber in etwa auf folgendes hinaus: Eine absolute Arbeitslosigkeit als Voraussetzung zum Bezug eines Arbeitslosengeldes für davor der SVA-Pflichtversicherung Unterliegende braucht es nur noch für die Dauer eines Monats. Selbstständige Zuverdienste sind danach möglich, solange die Jahresgeringfügigkeitsgrenze nicht überschritten wird. Wer während dem Bezug von Arbeitslosengeld auf selbstständige Tätigkeiten verzichtet, kann vor und nach dem Bezug ohne Einkommensgrenzen bezüglich AMS-Rückforderungen selbstständig tätig sein –, solange nicht nachgewiesen werden kann, dass die selbstständige Arbeit nur unterbrochen wurde. Details dazu auf www.kulturrat.at.
Deutlich wird einmal mehr, dass im System der Arbeitslosenversicherung vor allem eines fehlt: Information. Das ist mittlerweile immerhin soweit oben angekommen, dass es von Ministerin Schmied in Worte gefasst wird – von Bringschuld ist die Rede allerdings noch nur im BMASK. Wie sich aktuell herausstellt, ist die Praxis aber erst in Ansätzen vorhanden: Nur durch Zufall kam heraus, dass die oben behandelte BBE-Richtlinie schon seit 1.2.2009 in einer neuen Fassung gilt (beschlossen nach Ende der Team 4 Beirat Verhandlungen –, ohne dass die anstehende Änderung auch nur angekündigt worden wäre). Und die aktuell im Zuge des so genannten „Arbeitsmarktpaket 2“ de facto beschlussreife Änderung des AlVG ist noch nicht einmal Inhalt der IMAG … Notwendig wäre zuverlässige Information aber auf allen Ebenen: zwischen AMS und BMASK; zu Möglichkeiten des Anspruchs sowie den jeweils aktuell gültigen Regeln bezüglich Arbeitslosengeld; zu Durchführungsweisungen, Richtlinien, AMS-Anweisungen; oder auch zu Möglichkeiten des Einspruchs gegen AMS-Bescheide/ Maßnahmen. Also eine transparente Behörde mit rechtsstaatlichem Rahmen.
Damit würde auch eine grundlegende Crux des AMS sichtbar: Nicht vorhandene Arbeit kann nicht vermittelt werden –, und das allenthalben großgeschriebene „in Beschäftigung halten“ verfolgt offenbar andere Zielsetzungen.
To be continued ...
Erwerbslosen-Initiativen (Auswahl):
Absageservice
AMSand
arbeitslosensprecherin.at
arbeitslosennetz
Autonome Amsand Frauen
Chefduzen!
so ned
... zum alten Eisen?
Weitere Informationen:
Sabine Kock: Prekäre Freiheiten - Arbeit im freien Theaterbereich in Österreich. Wien 2009.
PDF Download
State of the Art – Materialien (hg. Kulturrat Österreich). Dezember 2008.
Materialien
Clemens Christl arbeitet für den Kulturrat Österreich