ArtScience unrealized. Ein Beitrag zur Berufssoziologie

Einer eher konservativen Auffassung von Berufen und Berufungen zufolge sind für jeden Beruf bestimmte Talente nötig. KünstlerInnen etwa sollten kreativ sein, WissenschaftlerInnen einen analytischen Verstand besitzen und PolitikerInnen Überzeugungskraft und rhetorische Begabung. Auch bestimmte Charaktereigenschaften sollten der Berufswahl entsprechen - Freude am Schaffen von Neuem, Wissensdrang, Interesse an der Entwicklung einer Gesellschaft etwa in einer positiven Sichtweise.

Einer eher konservativen Auffassung von Berufen und Berufungen zufolge sind für jeden Beruf bestimmte Talente nötig. KünstlerInnen etwa sollten kreativ sein, WissenschaftlerInnen einen analytischen Verstand besitzen und PolitikerInnen Überzeugungskraft und rhetorische Begabung. Auch bestimmte Charaktereigenschaften sollten der Berufswahl entsprechen - Freude am Schaffen von Neuem, Wissensdrang, Interesse an der Entwicklung einer Gesellschaft etwa in einer positiven Sichtweise. Das Bedürfnis zur Selbstdarstellung, zu intellektuellen Spielchen um ihrer selbst willen oder der Wille zur Macht in einer etwas kritischeren Betrachtung.

Nun wissen wir natürlich alle, dass diese Zuschreibungen immer teilweise Legende waren und heute weniger denn je zutreffen. Inter- und Transdisziplinarität sind die Begriffe, die unser Verständnis von der Welt beschreiben. PhysikerInnen entwerfen kreative, eventuell sogar plausible, keineswegs aber beweisbare Modelle unserer Welt, KünstlerInnen schreiben sich ihre eigene Theorie, InformatikerInnen verdeutlichen ihr Verständnis der Welt in Performances, demokratietheoretische Fragen werden im Zuge von Kunstausstellungen erörtert. Kunst und Wissenschaft finden an unterschiedlichen Punkten Schnittmengen ihres Handelns, weiten die Grenzlinien ihrer Disziplinen zu Grenzräumen (Gerald Raunig), die produktive Konflikte ermöglichen, kommen mit unterschiedlichen Mitteln zu ähnlichen Ergebnissen oder auch mit ähnlichen Mitteln zu unterschiedlichen Ergebnissen oder arbeiten überhaupt in einer Art zusammen, die es schwer macht, Differenzen zu erkennen.

Die jeweiligen Berufsfelder mit ihrem je spezifischen Kanon fördern diese Grenzüberschreitungen kaum. Zwar sind Inter- und Transdisziplinarität durchaus Mainstream-Schlagworte in Wissenschaft wie Kunst, doch gehen die Bekenntnisse zu dieser Form des Arbeitens über Eröffnungsreden bei Vernissagen und Konferenzen kaum je hinaus. Öffentliche Förderungen sind nicht nur nach der Zuschreibung zu Wissenschaft oder Kunst aus getrennten Töpfen zu beziehen, sondern werden zumeist auch noch nach einer strengen Spartentrennung je nach Art der Wissenschaft oder Kunst vergeben. Wissenschaftliche Karrieren werden nach wie vor nach Veröffentlichungen in einigen wenigen, angesehenen Zeitschriften des jeweiligen Faches beurteilt, denen jegliche Abweichung vom Mainstream der eigenen Disziplin suspekt ist. Institutionen, innerhalb derer KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen ihr Geld verdienen können, unterliegen Leistungskriterien, die wenig Platz zum Spielen mit neuen Ideen lassen. Sodass sich zusammenfassend sagen lässt, dass die Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft ein anerkanntermaßen spannendes und fruchtbares Unternehmen ist, das sich KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen allerdings leisten können müssen, da es nicht finanziell ausgestattet wird. Dies reduziert den Kreis möglicher KandidatInnen für eine solche Kooperation auf ErbInnen, karenzierte LehrerInnen und Personen mit einer festen, am besten pragmatisierten Stellung ohne besondere spezifische Anforderungen. Abgesehen davon, dass dieser Kreis im Bereich der KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen relativ klein ist, erscheinen auch die Auswahlkriterien nicht wirklich optimal.

Hier nun kommt unsere dritte Berufsgruppe ins Spiel, die PolitikerInnen. "Kulturpolitik heißt ermöglichen", sagte irgendein Kulturpolitiker irgendwann zum ersten Mal und seither haben es viele andere KulturpolitikerInnen wiederholt. Wenn also die Kooperation von KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen etwas Positives ist und wenn sie aus welchen Gründen auch immer nicht stattfinden kann, so wäre es nach dieser Definition von Kulturpolitik deren Aufgabe, sie zu ermöglichen.

"Kulturpolitik heißt Repräsentieren." Dies ist kein Zitat, wohl aber eine empirisch belegbare Beschreibung dessen, was KulturpolitikerInnen mit einem wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit bezwecken. Denn Politik hat, wie bereits erwähnt, unter anderem mit dem Willen zur Macht zu tun. In einer Demokratie lässt sich dieser Wille nur dann umsetzen, wenn der/die PolitikerIn (wieder)gewählt wird. Dies wiederum wird dadurch erreicht, dass eine Mehrzahl der WählerInnen erstens mitbekommt, welche Art von Politik der/die PolitikerIn macht und dies zweitens gut findet. Während nun das Interesse des Wahlvolkes etwa an Fragen der Sozial- und Wirtschaftspolitik aufgrund ihrer Auswirkungen auf das persönliche Leben groß ist, spielt Kulturpolitik hier nur eine untergeordnete Rolle. Interesse an Kulturpolitik muss erzeugt werden - am besten in Kombination mit Interesse und Aufmerksamkeit für den/ die betreffende/n KulturpolitikerIn.

Der erste Chef der Chefsache Kunst, Viktor Klima, hatte wohl genau dieses Doppelziel im Auge, als er die Idee eines "ArtScience-Centers" aufbrachte, das als weithin sichtbarer "Viktor-Klima-Tower" auf der ehemals für die Expo 95 errichteten Platte vor der UNO-City stehen sollte. Doch private InvestorInnen bauten schneller und höher, als dies die öffentliche Hand schaffte - und da außerdem kurze Zeit später die öffentliche Hand nicht mehr die von Viktor Klima war und überhaupt der starke Arm der SPÖ aus der Bundespolitik verschwand, entschwand auch die Idee eines protzigen ArtScience-Centers aus der Bundespolitik.

Doch als einige Jahre später die SPÖ die absolute Mehrheit in der Bundeshauptstadt erlangte - sei es aufgrund eigener politischer Verdienste oder aufgrund des vorteilhaften Vergleichs einer zaghaften und unentschiedenen Stadtpolitik mit einer desaströsen Bundespolitik - kam das ArtScience-Center über den frischgebackenen Kulturstadtrat und ehemaligen obersten Bundeskunstverwalter, Andreas Mailath-Pokorny, wieder ins Spiel. Unklar war (und blieb) zwar, was dieses ArtScience-Center sein sollte, was es leisten sollte, wem es wozu hilfreich sein sollte, klar aber war zumindest am Beginn der Amtszeit Mailath-Pokornys, dass es gegründet werden sollte. Denn schließlich braucht ein Politiker, der neu in seinem Amt ist, Leitprojekte, die deutlich machen, dass er sich von seinem Vorgänger unterscheidet, dass der Amtswechsel Sinn macht.
Eine zweite wesentliche Veränderung zu der - immerhin ganz erfolgreichen - Kulturpolitik seines konservativ-liberalen Vorgängers Peter Marboe bestand darin, die Grünen in einige der kulturpolitischen Projekte der SPÖ miteinzubeziehen - machtpolitisch gesehen übrigens ein kluger Schachzug, um einer in diesem Feld eher gefährlichen Oppositionspartei durch die Übertragung von Verantwortung ohne echte Macht (insbesondere über die Zuteilung finanzieller Mittel) die Zähne zu ziehen. Wiederum war eines dieser Projekte das ArtScience-Center.

Für jemanden in den Wirrnissen der österreichischen Politik Unkundigen könnte sich aus dem bisher gesagten der Eindruck ergeben, dass das ArtScience-Center mittlerweile - immerhin mehr als zwei Jahre nach der Amtsübernahme von Mailath-Pokorny - gegründet sein oder mindestens kurz vor der Gründung stehen müsste. Statt dessen sind Inhalte wie auch Form des ArtScience-Centers nach wie vor völlig unklar - und insbesondere wurde nach wie vor nicht festgelegt, ob und in welcher Höhe eine Finanzierung von welcher Stelle vorgesehen ist. Kurz gesagt: Über die letzten Jahre wurde bei diversen Veranstaltungen aus zahlreichen berufenen Mündern bestätigt, dass ArtScience wichtig ist - doch von der Konkretisierung dieser Idee ist die Stadt noch immer so weit entfernt wie zu Beginn der Amtszeit Mailath-Pokorny.

Dabei sollte nicht unterstellt werden, dass in den letzten Jahren nichts geschehen ist. Das Gegenteil ist der Fall: Die ArtScience-Agenden wurden dem Wissenschaftszentrum Wien übertragen, das sehr engagiert mögliche Inhalte entwickelte. Internationale KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen wurden zu Workshops eingeladen (und auch durchaus großzügig bezahlt). Schließlich fand noch eine Informationsveranstaltung für BeamtInnen der Stadt Wien statt, bei der diesen die Ideen von ArtScience näher gebracht werden sollten. Wie weit dies gelungen ist, lässt sich allerdings kaum abschätzen. Die Fragen, die anlässlich dieser Veranstaltung im Anschluss an die Referate gestellt wurden, bezogen sich auf Probleme, mit denen das Publikum vertrauter war als mit den neuen Formen der Interdisziplinarität - was wird das ArtScience-Center kosten und wer wird das bezahlen? Leider war zu diesem Zeitpunkt niemand mehr anwesend, der diese Fragen hätte beantworten können - Stadtrat Mailath-Pokorny hatte wegen dringender anderweitiger Verpflichtungen schon gehen müssen.

Wenig rosige Aussichten also für das künftige transdisziplinäre Werken von Kunst und Wissenschaft. Schuld daran ist wohl eine andere Art der Transdisziplinarität: Nicht nur die engen Grenzen kreativen künstlerischen Schaffens und analytischen wissenschaftlichen Forschens brechen derzeit auf, sondern auch das Berufsbild der PolitikerInnen ändert sich und öffnet seine Grenzen zu anderen Berufen - wie etwa dem des/der ManagerIn. Die Idee, dass Politik sich an einer bestimmten Vorstellung von Gesellschaft orientiert und nach Mitteln zur Erreichung dieser Vorstellung sucht, wird abgelöst durch den/die PolitikerIn als VerwalterIn einer möglichst geringen politischen Regulierung des ansonsten freien Marktes. Wobei sich "gering" hier in erster Linie auf den Einsatz finanzieller Mittel bezieht. Folgerichtig wird Franz Morak als der erste österreichische Kulturpolitiker in die Geschichte eingehen, der darauf stolz ist, sein eigenes Budget reduziert zu haben. Folgerichtig ist es aber auch für Andreas Mailath-Pokorny erfolgsträchtiger, weiterhin in einigermaßen regelmäßigen Abständen Veranstaltungen zu eröffnen, in denen die geniale Idee von ArtScience abgefeiert wird, als einmalig eine Investition zu tätigen, die die Umsetzung dieser Idee ermöglichen würde.
Denn selbstverständlich ändern sich durch die neue Transdisziplinarität nicht alle beruflichen Spezifika. Kunst hat noch immer mehr mit Kreativität zu tun als Wissenschaft und Wissenschaft mehr mit Analyse als Kunst. Und Kulturpolitik bedeutet noch immer Repräsentieren. Sodass sich im neo-politischen Slang der Milchmädchenrechnungen zusammenfassen lässt: Repräsentieren plus Staatsausgaben reduzieren ergibt ein ArtScience-Center, das auf der Ebene der Rhetorik verbleibt.


Monika Mokre ist Vorsitzende von FOKUS und arbeitet an der Akademie der Wissenschaften.