Boochkultur - Eine Buchkultur unter vielen

Ohne Zustimmung der jeweiligen AutorInnen, Verlage oder Verwertungsgesellschaften und ohne sich in seinem Verhalten an länderspezifischen Rechtssystemen zu orientieren, wurden sowohl freigewordene als auch verwaiste und urheberrechtlich immer noch geschützte Werke aus US-amerikanischen und europäischen Bibliotheksbeständen gescannt und für weitere Geschäftspläne – zunächst einmal – aufbereitet.

„Die Google Buchsuche soll Ihnen helfen, Bücher zu entdecken und zu erfahren, wo Sie sie kaufen oder ausleihen können. Sie sollen sie nicht von Anfang bis Ende lesen. Dies ist vergleichbar mit dem Herumschmökern in einem Buchladen – allerdings mit dem besonderen Google Touch.“[1] Mit diesen Worten werden BenutzerInnen der Google Buchsuche außerhalb der USA vertröstet, wenn sich ihre Suchanfrage auf Texte bezieht, die nicht aus dem englischsprachigen Raum stammen – das wird wohl noch länger so bleiben.

Ausgangspunkt
Zuerst hat die bildende Kunst das World Wide Web und das Internet Mitte der 1990er Jahre als Spielwiese für die Reflexion von Konzepten wie Originalität, Autorschaft und Kunstmarkt entdeckt – das Ansinnen, Grenzen aufzuweichen, war auf individueller Ebene teils recht erfolgreich, wenn im größeren Maßstab jedoch ohne breitenwirksamen Nachhall. Die Musik gewöhnt sich jetzt gerade erst langsam an das freie Zirkulieren von Werken. Angestachelt von neuen Geschäftsfeldern, die aus Googles Digitalisierungsoffensive lukriert werden können, diskutiert nun auch die Literatur ihre Präsenz im Netz. Auf rund sieben bis zehn Millionen Bücher soll es Google in den vergangenen fünf Jahren bereits gebracht haben. Mit der Unterstützung renommierter Bibliotheken auf der ganzen Welt – in Europa etwa die Oxford Library oder die Bayerische Staatsbibliothek – wurden seit 2004 Bücher aus über einhundert Ländern und in über einhundert Sprachen digitalisiert. Das im Akkord vom Spezialisten für Suche im Internet gescannte Textmaterial soll über das online frei zugängliche Angebot der Google Buchsuche sowohl in Auszügen als auch in Volltextversionen auffindbar, indexierbar, durchsuchbar – und letztlich lesbar – gemacht werden. Selbst definiertes Ziel dabei: das Wissen der Welt neu zu organisieren und eine „digitale Weltbibliothek von Alexandria“ aufzubauen.

Sammelklage
Das klingt nach einem verfolgenswerten Ziel, hätten die Verantwortlichen die Rechnung nicht ohne den Wirt, sprich das Konto der AutorInnen und sonstigen RechteinhaberInnen der Texte gemacht: Problematisch ist, dass sich der Suchgigant, dessen Geschäftsmodell in erster Linie auf Kooperationspartnerschaften basiert, mit seiner Vorgehensweise wissentlich über den weltweit stark divergierenden Schutz geistigen Eigentums einfach hinweggesetzt hat. Ohne Zustimmung der jeweiligen AutorInnen, Verlage oder Verwertungsgesellschaften und ohne sich in seinem Verhalten an länderspezifischen Rechtssystemen zu orientieren, wurden sowohl freigewordene als auch verwaiste und urheberrechtlich immer noch geschützte Werke aus US-amerikanischen und europäischen Bibliotheksbeständen gescannt und für weitere Geschäftspläne – zunächst einmal – aufbereitet. Aus diesem Vorgehen resultierte bereits im September 2005 eine Sammelklage, in der sich US-amerikanische AutorInnen und VerlegerInnenverbände gegen den Internetgroßkonzern zu wehren versuchten. Nach zwei Jahre dauernden Verhandlungen und nur wenig Aussicht auf Erfolg gegen den Globalplayer im Internetbusiness reichten KlägerInnen und Geklagte gemeinsam einen Vergleichsvorschlag über alle bereits gescannten Bücher beim New Yorker Gericht ein.

Vergleichsvorschlag
Dieses so genannte Google Book Settlement[2] sah schließlich Ausgleichszahlungen in der Höhe von 125 Millionen US-Dollar für die Nutzungsrechte der digitalisierten Werke vor. Weiters wurde vereinbart, dass Google die AutorInnen und VerlegerInnen zu 63 Prozent an etwaigen Einnahmen bei der Vermarktung der literarischen Texte im Netz beteiligt. Die Geschäftspläne von Google schließen neben der Online-Buchsuche auch Book-on-Demand- und E-Book-Angebote ein, sowie die Möglichkeit zum freien Download und sonstige nicht näher definierte werbewirtschaftliche Verwertungen. Nach heftigen Protesten – insbesondere von europäischer Seite und vom deutschsprachigen Raum, der weltweit den zweitstärksten Verlagsmarkt stellt – wurde dieser erste Vergleichsvorschlag aufgeschoben und schließlich im Herbst dieses Jahres zurückgenommen. Der Widerstand, der also von Europa in Form einer schlagkräftigen Achse aus AutorInnen und Buchhandelsorganisationen, Verlagen und Verwertungsgesellschaften ausging, konnte schließlich bewirken, dass das Settlement sich ausschließlich auf beim US-Copyright-Büro registrierte Bücher oder auf Bücher aus den USA, Kanada, Australien und Großbritannien – also auf den englischsprachigen Buchproduktionsraum – beschränkt.

Vorwürfe
Diese zwischenzeitliche Lösung, die im Februar 2010 endgültig formuliert werden wird, lässt nun Befürchtungen stärker werden, die vielsprachige europäische Literatur- und Buchkultur sperre sich aus dem internationalen – vornehmlich englischsprachigen – Kontext aus und verschließe sich gegenüber den Möglichkeiten einer „digitalen Weltbibliothek“. Von europäischer Seite wird ein öffentlich-rechtlicher Lösungsansatz forciert. Gerhard Ruiss, Leiter und Sprecher der österreichischen IG Autorinnen Autoren in einem Gespräch[3] über das Google Book Settlement: „Der Staat hat am längsten und meisten in die Publizistik eines Landes investiert, und man kann davon ausgehen, dass er die nötige Sorgfalt im Umgang mit Literatur mitbringt. Es muss Strukturen der Aufbereitung und der Kommunikation geben.“ Die Kritik am Vergleich wurde in Österreich vom Zusammenschlusses des Hauptverbandes des österreichischen Buchhandels, derAutorInnenvertretung und der Verwertungsgesellschaft Literar-Mechana in einem mehrseitigen Papier[4] formuliert und reicht weit: Abgesehen davon, dass Google seinen „technischen Startvorteil“ durch bewusstes Nicht-Einbeziehen von AutorInnen und VerlegerInnen „moralisch verspielt“ habe, wird dem Internet-Platzhirsch vorgeworfen, dass AutorInnen keine Möglichkeit haben, ihre Rechte individuell mit einem Vertragspartner zu regeln: Als AutorIn könne man lediglich dem Geschäftsmodell eines US-amerikanischen Unternehmens beitreten und die Nutzungsbedingungen der angebotenen Dienstleistungen in voller Bandbreite akzeptieren.

Öffentlichkeit
Neben weiteren Einwänden wie bspw., dass Google durch den Vergleich zukünftig die Möglichkeit hätte, urheberrechtlich geschützte Werke zu nutzen, solange der/die jeweilige RechteinhaberIn diese Nutzung nicht untersagt, kreisen die Hauptkritikpunkte um Themen wie die weltweite Verwertung der Texte, den unlauteren Wettbewerb, der Google eine Sonderstellung unter Internet-Suchmaschinen einräumt, die daraus resultierende Monopolisierung der Weltkulturgeschichte und schließlich die Reduktion des Marktes auf eine einzige Weltverwertungsagentur. Betroffen von Googles Digitalisierungsmaßnahmen sind inÖsterreich mehr als 17.000 verstorbene und lebende AutorInnen. Viele der Argumente gegen den Vergleich konzentrieren sich auf den Verlust an redaktioneller, programmatischer und somit qualitativer Arbeit mit Literatur, wie sie dem Verlagswesen zugeschrieben wird: „Es gibt die Phantasie des reinen Nutzwertes eines Textes, darüber hinaus gibt es aber einen Wert, der mit Nutzen im engeren Sinne gar nichts zu tun hat“, so Gerhard Ruiss, der sich zwar nicht gegen mehr Öffentlichkeit für österreichische AutorInnen im Internet ausspricht, jedoch eine adäquate Öffentlichkeit und Kontextierungsmöglichkeiten fordert: „Auffindbarzu sein im Netz bedeutet noch keine Veröffentlichung im eigentlich Sinn. Das reine Erscheinen des Buchs bedeutet nichts, das reine Auffinden des Buchs auch nicht. Hat man Online-Veröffentlichungen als publizistisches Konzept, kann das funktionieren. Wer aus der Nische kommt, wird in der Nische bleiben. Das Netz hilft niemandem in die Erstwahrnehmung.“

Initiativen
Die Vorwürfe der Buchbranche lassen sich mit einer technikzentrierten Kritik an Google als automatisiertem Umschlagplatz für Literatur zusammenfassen. Walter Grond, Betreiber der Europäischen Literaturplattform Readme.cc entgegnet[5] diesen Argumenten mit der Forderung nach mehr privaten Initiativen: „Bei aller Problematik einer vergoogelten Welt: Ich sehe nicht, dass die Leser vor dreißig Jahren, bewaffnet mit Lexika und Feuilletons, intelligenter und tiefsinniger mit Literatur umgegangen wären. Wir müssen zu verstehen lernen, dass auch Google nichts Unvermeidliches ist. Es ist ein gutes Angebot – unter vielen. Es gilt, Plattformen zu gründen, die sowohl die Vorteile eines technischen Umschlagplatzes nützen, als auch auf redaktionelle Arbeit nicht verzichten, mithin die literarische Expertise für unverzichtbar halten.“ Auf die Frage, wem mit fortschreitender Digitalisierung noch zu trauen sei, antwortet der vom Settlement selbst betroffene Schriftsteller: „Vertrauenerweckend kann nur eine kontinuierlich und sorgsam entwickelte literarische Kultur im Internet sein.“ Der Ansatz, den das länder- und sprachenübergreifende Buchportal in diesem Zusammenhang verfolgt, ist nach eigener Angabe ein Verhältnis zwischen AutorInnen und LeserInnen, das sich nicht als eines zwischen unantastbarem Genie und schweigsamem Verehrer gebärt, sondern im Austausch über die Rezeption von Literatur passiert. Ein Weg dabei führt von Buchempfehlungen zum wirklichen Text, also zum haptischen Buch. Der andere Weg, den Initiativen wie Readme.cc einschlagen, ist jener hin zum elektronischen Text: 2010 baut die Plattform einen Medienserver auf, um AutorInnen und literarischen Verlagen die Produktion und den Vertrieb von E-Books zu ermöglichen.

Was vergleichsweise kleine Initiativen wie Readme.cc durch die geplante Verbindung von Online-Universum und Offline-Welt konkret vorexerzieren, könnte mit einem verstärkten Blick auf alternative Lizenzvergabesysteme und auf die Selbstverwaltung der Rechte durch AutorInnen zu einer Verbindung von Literatur, Technik und ihrem Gebrauch – also einer globalen Buchkultur – beitragen. „Wer diese Kultur begreifen möchte, sollte nicht über technische und rechtliche Bedingungen nachdenken, sondern diese Kulturen selbst einer genaueren Beobachtung unterziehen. Die neuen Technologien können ihren Wert ja nicht als solche haben, als technisch gebotene Möglichkeit, sondern gewinnen ihn erst aus entsprechenden Verwendungsformen.“[6] Hoffentlich ist dieser Zug noch nicht abgefahren, denn in Kürze – so heißt es – werde der Suchgigant mit Firmensitz in Kalifornien eine Reise antreten, um Gespräche mit europäischen RechteinhaberInnen aufzunehmen – allerdings mit dem besonderen Google- Touch.

1 Auszug aus dem Text, der am 23.11.2009 bei einer Google Buchsuche nach folgendem Titel angezeigt wurde: Vorkoeper, Ute et al. (2006): Cornelia Sollfrank. net.art generator: Programmierte Verführung, Verlag für moderne Kunst: Nürnberg.
2 Informationsseite zum Google Book Settlement.
3 Ruiss, Gerhard (2009): „Das Netz ist ein Verstärker der Starken“, Der Standard Printausgabe, 23.11.2009.
4 Die gemeinsame Stellungnahme kann unter www.buecher.at (> Brancheninfos > Google Book Settlement > Stellungnahme) heruntergeladen werden.
5 Grond, Walter (2009): „Andere Form der Entlohnung geistiger Güter“, Der Standard Printausgabe, 23.11.2009.
6 Hartmann, Frank (2009): „Digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit“, Telepolis, 05.11.2009.

Franz Thalmair ist Mitbegründer von CONT3XT.NET, er lebt und arbeitet in Wien