Den unauffälligen Weg gehen

Bereits im Vorfeld der Preisverleihung berichteten zwei österreichische Tageszeitungen davon, dass eine Gruppe nominiert sei, die für „Sprengstoff“ sorgen könnte bzw. titelte eine von ihnen: „Kein Menschenrechtspreis für Saualm-Aktivisten“ .

Die Jury des Kärntner Menschenrechtspreis ist wieder kein politisches Wagnis eingegangen. 

Jedes Jahr im Dezember vergibt der Landeshauptmann von Kärnten (Kärnten/Koroška könnte es eigentlich heißen, würde die Zweisprachigkeit tatsächlich eine Selbstverständlichkeit sein) den Kärntner Menschenrechtspreis. Die Preisträger_innen werden von einer Jury, in der die Kärntner Kontaktperson von Amnesty International (AI) den Vorsitz innehat, bestimmt. Vorschläge für die Nominierungen können von allen eingebracht werden. Die Juryentscheidung im Dezember 2012 löste erstmals Diskussionen darüber aus, inwieweit die Jury den Erwartungen des Landeshauptmannes entgegengekommen ist, anstatt ein mutiges Signal für Zivilcourage und menschenrechtliches Engagement zu setzen. Und es drängt sich die Frage auf, ob sich die Interessen von AI angesichts einer solchen Entscheidung noch ausreichend widerspiegeln.

Bereits im Vorfeld der Preisverleihung berichteten zwei österreichische Tageszeitungen davon, dass eine Gruppe nominiert sei, die für „Sprengstoff“ sorgen könnte bzw. titelte eine von ihnen: „Kein Menschenrechtspreis für Saualm-Aktivisten“ [1] und meinte damit, dass sich die Juryvorsitzende nicht „getraute“, den nominierten Pfarrer und einen Vertreter des Pfarrgemeinderats aus der Gemeinde Wölfnitz, die sich für die Schließung der 2008 vom damaligen und später tödlich verunglückten Landeshauptmann auf Biegen und Brechen erschaffenen „Sonderanstalt“ für Flüchtlinge auf der Saualm eingesetzt hatten, auszuzeichnen, weil diese den „Zorn des Landeshauptmannes“ auf sich gezogen hätten.

Im Rahmen der Preisverleihung ging die Juryvorsitzende auf die Kritikpunkte ein und versuchte, diese zu zerstreuen. Betont wurde die Unabhängigkeit der Jury und vor allem, dass sich ihre Vertreter_innen nicht verstecken müssten. Nun, die Jury setzt sich seit Jahren unverändert aus sechs stimmberechtigten Mitgliedern plus einem Mitglied ohne Stimmrecht zusammen. Mit der Organisation und Abwicklung ist das Volksgruppenbüro betraut. Mit je einer Stimme sind SPÖ, ÖVP, FPK, die Evangelische Kirche, die Katholische Kirche und AI vertreten, und ohne Stimmrecht nimmt die Altkatholische Kirche teil.

Entscheidungen hinter verschlossenen Türen

Nicht dabei – obwohl im Kärntner Landtag seit Jahren vertreten – sind die Grünen und Vertreter_innen maßgeblicher Glaubensgemeinschaften wie zum Beispiel des Islam und des Judentums. Warum die Altkatholische Kirche kein Stimmrecht innehat, ist nicht nachvollziehbar. Warum die slowenische Volksgruppe nicht schon längst in der Jury mit Stimmrecht vertreten ist, ebenso wenig. Die Jurybeschlüsse über die Preisträger_innen erfolgen einstimmig, so wird es jedenfalls der Öffentlichkeit mitgeteilt, über Verlauf der Sitzung und Ergebnisfindung wird Stillschweigen vereinbart, ebenso darüber, wer nominiert wurde (bzw. erfährt man das nur teilweise). Alles in allem also eine wenig bis gar nicht transparente Vorgehensweise. Um die Unabhängigkeit der Jury zu legitimieren, scheint man vor allem um die Teilnahme von Amnesty International bemüht zu sein. Ob das angesichts einer unvollständigen Zusammensetzung und oben angeführter Modalitäten ausreicht – an dieser Stelle wäre durchaus ein Fragezeichen zu setzen.

Bereits in den Vorjahren wurden, obwohl es sich vom Anspruch und Titel her um einen „Menschenrechtspreis“ handelt, vielfach Personen für ihr (ohne Zweifel verdientes) soziales Engagement vorgeschlagen und ausgezeichnet oder auch eher kulturell orientierte Projekte – wie im Dezember 2012 das sehr schön gestaltete Buch „Colours of Carinthia“, in dem zugewanderte Menschen porträtiert werden, das aber im Grunde in einem kulturellen Bereich zu verorten wäre. Seltenere Male scheinen Menschen, die sich um die politische Dimension von Menschenrechten verdient gemacht oder sich für die Einhaltung bzw. Durchsetzung von Menschenrechten eingesetzt haben, als Nominierte auf. Vielleicht liegt es daran, dass in Kärnten nicht jedes Jahr explizite menschenrechtliche Aktivitäten wahrnehmbar für die Öffentlichkeit stattfinden bzw. verborgen bleiben, oder – wie es die Juryvorsitzende in ihrer Rede nannte – „im Stillen" stattfinden.

Im Jahr 2012 konnte jedoch die Bürger_inneninitiative gegen die „Sonderanstalt“ auf eine beachtliche menschenrechtliche Leistung verweisen, indem es ihr gelang, die Missstände auf der Saualm erneut zu benennen, Anrainer in der dörflichen Umgebung und Aktivist_innen aller Altersgruppen in der Landeshauptstadt dafür zu sensibilisieren, Demonstrationen zu organisieren und in Zusammenarbeit mit den Medien unüberhör- und sehbar für die Schließung der Flüchtlingsunterkunft „Saualm“ einzutreten. Einen ebenso wichtigen Beitrag leisteten die beiden Köchinnen, die davon berichteten, dass abgelaufene und zum Teil verdorbene Lebensmittel auf Geheiß der Betreiberin der Sonderunterbringung Saualm verkocht werden mussten, und auch der Pfarrer und der Pfarrgemeinderat wurden für das Benennen der Missstände mehrmals für die Auszeichnung vorgeschlagen. In den Jahren davor wären zum Beispiel auch das Aktionskomitee für mehr Menschlichkeit und Toleranz in Kärnten, eine Plattform bestehend aus Initiativen, Organisationen und Privatpersonen, die Flüchtlinge und asylsuchende Menschen unterstützt oder auch die Initiative des Vereins ASPIS Tschetschenen – Europäer wie wir, die sich unter anderem um die Wiederherstellung des Ansehens der tschetschenischen Flüchtlinge bemüht, welches der verunglückte Landeshauptmann in einer hetzerischen Kampagne nachhaltig ramponiert hatte, für eine Auszeichnung in Frage gekommen.

Menschenrechtsarbeit = Sozialarbeit?

Doch wieder einmal wählte die Jury den unauffälligeren Weg und entschied sich einstimmig (?) für zwei sozial engagierte und verdienstvolle Frauen aus den Reihen der Katholischen Frauenbewegung und der Diakonie. Der Öffentlichkeit wird damit vermittelt, dass Menschenrechtsarbeit und Sozialarbeit ident seien. In den Festreden wurde diese Gleichsetzung gleichermaßen zementiert und unter großem Wohlwollen und beipflichtenden Worten der Zufriedenheit des Landeshauptmannes zelebriert. Tatsächlich ist es jedoch völlig unerheblich, ob sich der Landeshauptmann in die Entscheidungsfindung eingemischt hat oder nicht. Jede Lai_in in Kärnten weiß nach mehr als zehn Jahren FPÖ-BZÖ-FPK-Politik, dass der Landeshauptmann eine Auszeichnung an die „Saualmaktivist_innen“ niemals gut geheißen, sondern den Preis für die beiden Frauen befürwortet hätte. Die getroffene Entscheidung der Jury trägt somit – mit oder ohne Einmischung des LH – zur Festigung und Erfüllung seiner Wünsche und damit zur Fortsetzung seiner Politik bei!

Diese Aspekte wurden in den beiden Printmedien und in den darauf folgenden Diskussionen angesprochen und thematisiert. Nicht zuletzt stimmt es bedenklich, dass die Juryvorsitzende im Zuge der Preisverleihung in ihrer Eröffnungsrede im Spiegelsaal der Kärntner Landesregierung, um die Entscheidung zu rechtfertigen, die Zeitungsartikel als unrichtig und schlecht recherchiert darstellte. Dies vor dem Hintergrund und in Kenntnis darüber, dass seit der FPÖ-BZÖ-FPK-Ära, ausgehend von diesem Haus, kritische Journalist_innen mit Klagen und Drohungen zugeschüttet und verleumdet werden. Hundert anwesenden Menschen wurde damit in versucht pointierter Weise einmal mehr das Bild vermittelt, welches die Landespolitik so sehr aufrechtzuerhalten suchte, dass nämlich Journalist_innen ohnehin alles erfinden würden und unglaubwürdig seien. Die ungeteilte Zustimmung und der Dank des Landeshauptmannes „für die klaren Worte" der Juryvorsitzenden folgte umgehend, die Einladung, die beiden Preise erstmals gemeinsam zu überreichen, ebenso.

Der breitest mögliche Konsens stärkt nur den Status Quo

Das Bemühen der Juryvorsitzenden, die Unabhängigkeit von AI und den erhaltenen Friedensnobelpreis 1977 hervorzuheben, wäre nicht notwendig gewesen, denn die hohe Reputation von AI stand nie zur Diskussion. Was zur Diskussion steht oder stehen sollte, ist der Verzicht der Jury darauf, die Zivilgesellschaft zu stärken, der Verzicht der Jury bewusstseinsbildend und politisch bildend zu wirken und die Gründe, warum sich die Jury für den breitest möglichen Konsens entscheidet bzw. entschieden hat und damit zur Stärkung der bisher im Land betriebenen Politik – bewusst oder unbewusst – beigetragen hat.

Mag sein, dass die Ursachen dafür bereits in der Zusammensetzung und in den Modalitäten der Jury liegen, mag sein, dass die Jurymitglieder_innen Befürchtungen hegen (dann wäre es interessant zu erfahren, welche es sind), mag sein, dass es persönliche Gründe gibt. In jedem Fall ist die Position und Funktion, die eine Vertreterin von AI in diesem Gremium unter diesen Gegebenheiten einnimmt, respektive einnehmen kann, zu hinterfragen. Zudem nützen die besten menschenrechtlichen Kompetenzen, über die die Jurymitglieder zweifelsohne verfügen, nichts, wenn sie nicht sichtbar in Erscheinung treten (können). Bleibt zu hoffen, dass sich angesichts der eklatanten und an Eindeutigkeit nicht mehr zu überbietenden Wahlniederlage der FPK auch der Blick für couragiertes zivilgesellschaftliches Engagement wieder schärfen und der Einsatz für Menschen und ihre Rechte von der obersten Stelle des Landes mit großer Selbstverständlichkeit gewürdigt werden möge.

Angelika Hödl, Obfrau IG KIKK, Geschäftsführerin des zwei- und mehrsprachigen Freien Radio AGORA 105,5 in Kärnten, ehrenamtlich tätig im Aktionskomitee für mehr Menschlichkeit und Toleranz in Kärnten

[1] DER STANDARD, 7./8./9.12.2012