Der neue Feudalismus
<div class="ig-wysiwyg" id="parent-fieldname-text"> <p><b>Kunst, Kultur und Bildung im digitalen Informationszeitalter</b><br /> <br /> <br /> In Österreich herrscht trügerische Gelassenheit. Vorerst noch. Denn weltweit mehren sich kritische Stimmen, die eindringlich vor neuen großen Gefahrenpotentialen für die modernen Informations- und Wissensgesellschaften warnen. Manche sprechen sogar von einem "Copyright-Krieg", der Freiheit und Demokratie in ihren Grundfesten
Kunst, Kultur und Bildung im digitalen Informationszeitalter
In Österreich herrscht trügerische Gelassenheit. Vorerst noch. Denn weltweit mehren sich kritische Stimmen, die eindringlich vor neuen großen Gefahrenpotentialen für die modernen Informations- und Wissensgesellschaften warnen. Manche sprechen sogar von einem "Copyright-Krieg", der Freiheit und Demokratie in ihren Grundfesten erschüttert. Was steckt dahinter?
Früher bestimmten materielle Besitzverhältnisse die Strukturen der Macht. Wer über Land verfügte, herrschte mit Hegemonialgewalt auch über Kunst, Kultur und Bildung. Dies galt dann auch umso mehr für die Macht über die Mittel der industriellen Massenproduktion. Heute stützen sich Ökonomien in zunehmendem Maße auf die Herstellung und den Austausch von immateriellen Gütern. Noch nie war es möglich, Informationen sowie Kultur- und Wissensinhalte so kostengünstig zu vervielfältigen und schnell zu verbreiten, wie im digitalen Zeitalter. Umso absurder erscheint es, dass eine plurale und demokratische Nutzung dieser Errungenschaften gegenwärtig mit aller Gewalt unterbunden werden soll. Der Begriff "Intellectual Property" steht inzwischen als Chiffre für einen dramatischen Raubzug im digitalen Zeitalter.
Tatsache ist, dass der Vormarsch der IP-Lobby in internationale Rechtssysteme ungebrochen anhält und die Grundlagen der Informationsgesellschaft immer mehr in privates Eigentum überträgt. Hier hat sich an den ökonomischen Machtprinzipien auch nichts geändert. Denn wer über Information und Wissen in Form von Datenmaterial verfügt, sichert sich Reichtum, Symbolhoheit und politische Einflussmöglichkeiten. Längst schon werden diese wesentlichen Rohstoffe der öffentlichen Sphäre in höchst beunruhigendem Ausmaß vorenthalten. "Niemals in unserer Geschichte befanden sich mehr Kontrollrechte in den Händen so weniger Menschen. Die Kriminalisierung der freien Verbreitung von Information und Kulturgütern hat selbst bereits Formen von organisierter Kriminalität angenommen", erklärte dazu der US-amerikanische Rechtsgelehrte Eben Moglen im Rahmen der Konferenz Open Cultures, die von Public Netbase 2003 veranstaltet wurde.
Die Wiener Netzkultur-Institution beschäftigt sich seit langem in zahlreichen Projekten und Ausstellungen mit den kulturellen und sozialen Implikationen der neuen Kommunikationstechnologien. Es steht dabei nicht zuletzt die Frage im Mittelpunkt, wie die gesellschaftliche Relevanz einer emanzipatorischen Nutzung der Neuen Medien zum Tragen kommen kann. Waren es in den 1990er Jahren vorwiegend Forderungen nach Zugängen zum Netz sowie nach Ermöglichung unabhängiger und diversifizierter Kommunikationskanäle, so stehen gegenwärtig Probleme an, die eine massive Bedrohung für ein offenes und freies Informations- und Mediensystem bedeuten.
Wem gehört also die Kultur der Zukunft? Wirtschaftliche Interessen der Copyright-Konzerne sowie die Hochkonjunktur einer Sicherheitsindustrie nehmen allmählich die Gestalt eines neuen Feudalismus an, dem pluralistischer Content und Meinungsvielfalt sukzessive zum Opfer fallen. Selbst wer mit Hilfe von offenen technologischen Standards unabhängige Netzinfrastrukturen und Interaktionsplattformen errichten und betreiben will, muss mit juristischen Repressionen rechnen. Österreich ist in dieser Hinsicht keine Insel der Seligen.
Es ist somit auch hierzulande hoch an der Zeit, endlich darüber nachzudenken, wie die Voraussetzungen einer "semiotischen Demokratie" zu verwirklichen sind. Deren Idee geht von der Prämisse aus, dass die Quellen kulturellen Ausdrucks - hier vor allem Texte, Bilder und Musik - nicht einzelnen Segmenten der Gesellschaft oder globalen Eliten vorbehalten bleiben dürfen. Dies würde eine digitale Kluft mit enormer sozialer Sprengkraft nach sich ziehen.
Wenn der Zugang zur Ikonographie des Alltagslebens, zu Elementen der Populärkultur sowie zu Kultur- und Wissensinhalten ganz allgemein durch neue IP- und Copyright-Restriktionen in Frage gestellt wird, nimmt insbesondere die kulturelle Praxis abseits der Content-Industrie großen Schaden. Von einem freien kulturellen Austausch könnte angesichts einer von Konzerninteressen dominierten Informationsindustrie gar nicht mehr die Rede sein.
In diesem Sinne muss der Zugang zu den Ressourcen der Informationsgesellschaft geöffnet werden, um die Grundlagen einer Wissensallmende zu sichern. Offene Copyright-Standards und die Entwicklung von Open Source-Content gelten längst als zentrale Anliegen der Wissensgesellschaft. Dazu ein Beispiel für eine freiere und bessere Handhabung des Urheberrechts: Creative Commons. Diese internationale Non Profit-Organisation hat sich einen gemeinschaftlicheren Umgang mit geistigem Eigentum auf die Fahnen geschrieben. Zu diesem Zwecke stellt sie Kreativen verschiedene von der Open Source-Bewegung beeinflusste Urheberrechtslizenzen zur Verfügung. Ziel der Lizenzen ist es, nicht mehr in jedem Falle alle Rechte vorzubehalten, sondern gezielt einzelne Nutzungsrechte einzuräumen.
Als prominenter Vertreter hat Brasiliens Kulturminister Gilberto Gil in seinem Land mit einem Referat für Digital Policy sichergestellt, dass die technologische Revolution auch auf Regierungsebene als ein sozio-kulturelles Phänomen verstanden wird. Eine bedeutsame Einschätzung mit beachtlicher Tragweite. Denn im Hinblick auf eine nachhaltige Demokratisierung der Informationslandschaften sind gerade auch Bodenreformen für urbane Wohlstandsgesellschaften Voraussetzung für eine sozial gerechte Informationsökonomie. Anstelle einer neuen Klassengesellschaft, neuen Formen der Pauperisierung und einer kognitiven Massenverelendung bedarf es ernsthaften Problembewusstseins und klarer politischer Zielsetzungen in Wirtschafts-, Kultur- und Bildungsfragen – vor allem auch in Österreich.
"Kommunikation muss frei sein - wer sich nur einen Schritt von diesem Grundsatz entfernt, macht schon einen Schritt in Richtung Zensur!" Warnende Worte des irischen Wissenschafters und Freenet-Gründers Ian Clarke standen zu Beginn der internationalen Konferenz Free Bitflows von Public Netbase, die im Juni 2004 Strategien für einen uneingeschränkten Informationsaustausch im Kontext einer unabhängigen Kulturproduktion diskutierte. An deren Ende stand einmal mehr die Schlussfolgerung, dass sich mit der Frage des freien Flusses der Information eine entscheidende politische Dimension verbindet. Neue und unabhängige Inhalte lassen sich demnach gegenüber einer Maschinerie des Mainstream und der Massenunterhaltung nur etablieren, wenn alle Menschen Kultur frei schaffen und teilen können.
Zuerst erschienen in: Free Content. Free People. Eine Kampagne der Österreichischen HochschülerInnenschaft
Konrad Becker ist Direktor, Martin Wassermair Geschäftsführer der Medien- und Netzkulturplattform Public Netbase