Grundeinkommen. Bedingungslose Befreiung oder bewusste Befriedung?
Auf Armutsbekämpfung und -prävention konzentriert sich auch die österreichische Diskussion von Grundeinkommen und Grundsicherung. Im Zentrum der öffentlichen Debatte steht das von Sozialminister Erwin Buchinger lancierte Modell bedarfsorientierter Grundsicherung.
„Atypisierung“ und Prekarisierung von Beschäftigung und anhaltende Massenarbeitslosigkeit bringen erhöhte individuelle Risiken und zunehmende biografische Instabilitäten mit sich. Das bestehende Sozialsystem bietet immer weniger Sicherheit: Leistungskürzungen tragen hierzu ebenso bei wie fehlende oder bloß partielle soziale Absicherung prekärer Arbeitsverhältnisse. Die Abkehr vom Wohlfahrtsstaat und die „Krise“ der Erwerbsarbeitsgesellschaft gehen Hand in Hand. Sie charakterisieren jene neoliberalen Transformationsprozesse, die auch in Österreich individuelle „Selbstverantwortung“ und „unternehmerische Initiative“ zu erzwingen trachten – und führen immer öfter zu Armut und sozialer Ausgrenzung.
Über eine Million Menschen gelten in Österreich als armutsgefährdet. Zuletzt waren 12,3 % der Männer und 14 % der Frauen von Armut bedroht, etwa 7 % der österreichischen Bevölkerung leben in Armut, rund die Hälfte davon trotz Erwerbstätigkeit.
Bedarfsorientierte Grundsicherung
Auf Armutsbekämpfung und -prävention konzentriert sich entsprechend auch die österreichische Diskussion von Grundeinkommen und Grundsicherung. Im Zentrum der öffentlichen Debatte steht das von Sozialminister Erwin Buchinger lancierte Modell bedarfsorientierter Grundsicherung. Dieses sieht die bundesweite Vereinheitlichung der Sozialhilfe in Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes vor, der 2007 auf 726.- Euro (14 mal pro Jahr) erhöht wurde. Gleichzeitig soll dieser als Mindeststandard bei Arbeitslosengeld und Notstandshilfe gelten. Recht auf dauernden Aufenthalt und Arbeitswilligkeit bilden hierbei zentrale Zugangsvoraussetzungen. Sofern erwerbsfähig, sollen SozialhilfeempfängerInnen möglichst in den Arbeitsmarkt integriert werden. Für die Zuerkennung von Sozialhilfe ist darüber hinaus eine Bedarfsprüfung beabsichtigt, die primär die Verwertung eigenen Vermögens vorsieht. Ein Mindestlohn von 1000.- Euro soll die Einführung eines solchen Grundsicherungsmodells begleiten.
Grundsicherung – Grundeinkommen
Die aktuellen Vorschläge beziehen sich demnach auf bedingte Gewährung eines Existenzminimums, sie unterscheiden sich wesentlich von Grundeinkommensmodellen. Grundsicherung zielt im Allgemeinen auf verbesserte Inklusion möglichst aller Erwerbsfähigen in das bestehende Beschäftigungs- und Sozialsystem. Sie richtet sich vorrangig auf den „Sonderfall“ misslungener Arbeitsmarkt-Integration, Erwerbsarbeit und -einkommen bleiben gegenüber Sozialtransfers vorrangig. Grundsicherung bedeutet die Festlegung von Mindeststandards im Bereich erwerbsabhängiger Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Pension, Grundeinkommen hingegen die regelmäßige, an Staatsbürgerschaft oder dauernden Aufenthalt gebundene Auszahlung eines Fixbetrages ohne Gegenleistung. Grundeinkommenskonzepte gehen in der Regel von einem garantierten, personenbezogenen und bedingungslosen Transfer in Existenz sichernder Höhe aus. Sie streben nach einer Neugestaltung von Arbeit, Einkommen und sozialer Sicherung. Nicht Erwerbsarbeit, sondern materielle Sicherheit steht hier im Vordergrund.
Einkommen ohne Arbeit?
Grundeinkommen richtet sich somit gegen den Zwang zu Erwerbsarbeit und stellt einen Schritt zu individueller Autonomie dar, indem es Selbstbestimmung über Erwerbstätigkeit ermöglicht. Es zielt auf Entkoppelung von Arbeit und Einkommen, zentrale Determinanten menschlicher Existenz, die individuelle Lebenschancen, Handlungsoptionen, Identitäten, Selbstentwürfe und Fremdbilder wesentlich bestimmen. Auf der Verknüpfung von Arbeit und Einkommen und den damit verbundenen Differenzierungen, Hierarchien, Zwängen, Disziplinierungs- und Formierungsprozessen beruht die Funktionsweise von Kapitalismus. Arbeit und Einkommen stellen demnach zentrale Reproduktionsmechanismen und Repräsentationsweisen von Macht dar, die sich in deren Ungleich- verteilung manifestiert. Vorrangig Frauen zugeschriebene, als Liebesdienst definierte Arbeit im „Privaten“ etwa – wie Hausarbeit, Kinderbetreuung, Krankenpflege – wird nicht entlohnt, Anerkennung als Arbeit auf Erwerbsarbeit begrenzt.
Ein Grundeinkommen könnte zu verbreiterter Anerkennung von Tätigkeiten als Arbeit führen. Erwerbsarbeit würde im Verhältnis zu Versorgungsarbeit im Privatbereich ebenso wie zu anderen Formen gesellschaftlich notwendiger Arbeit, wie sie gegenwärtig vielfach ehrenamtlich etwa im Kontext von NGOs, Bürgerinitiativen oder Vereinen erbracht wird, relativiert. Nicht-marktorientierte Tätigkeiten und Formen des Wirtschaftens könnten damit aufgewertet werden, sich eigenständig entwickeln und letztlich zu einer Neudefinition des Leistungsbegriffs führen.
Auswirkungen auf das Arbeitsangebot vor allem in Niedriglohnbereichen, auf den informellen Sektor, Lohnniveau oder Arbeitszeit hängen weitgehend von der konkreten Gestaltung eines Grundeinkommens und dessen Rahmenbedingungen ab. Diese müssten sicherstellen, dass ein Grundeinkommen weder zu Lohndumping, noch zur Subventionierung für Unternehmen führt. Zentral scheinen hierbei begleitende Mindeststundenlöhne sowie Schwellenregelungen, die die Aufnahme von Erwerbsarbeit finanziell lukrativ machen. Unternehmen wären gezwungen, besonders unattraktive Arbeit weit besser zu bezahlen. Löhne müssten letztlich dem mit ihnen verbundenen Arbeitsleid entsprechen.
Weg zur Gleichstellung der Geschlechter
Wenn es durch Verknüpfung mit gleichstellungspolitischen Maßnahmen gelingt, geschlechtsspezifische Einkommensdifferenzen am Arbeitsmarkt zu verringern und die traditionelle Zuweisung unbezahlter Reproduktionsarbeit aufzuweichen, könnte ein Grundeinkommen auch zu Geschlechtergleichstellung beitragen. Voraussetzung hierfür bildet die Aufrechterhaltung eines breiten Angebots öffentlicher Versorgungsleistungen etwa in den Bereichen Pflege, Gesundheit oder Kinderbetreuung, da deren Einschränkung stets in vorrangig Frauen zugewiesener Mehrarbeit im „Privaten“ resultiert. Ohne entsprechende gleichstellungspolitische Einbindung besteht die Gefahr, dass die Einführung eines Grundeinkommens zu verstärkter Marginalisierung und Verdrängung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt führt und damit deren Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe einschränkt.
Armut – Arbeitslosigkeit
Emanzipatorische Komponenten von Grundeinkommen spielen in aktuellen Auseinandersetzungen eine weit geringere Rolle als in den 1980er Jahren, als vor allem dessen Potenzial zur Befreiung von Lohnarbeit im Vordergrund stand. Der gegenwärtige Diskurs hingegen fokussiert auf Armut und Armutsgefährdung, die mit Hilfe von Grundeinkommen – wie auch Grundsicherung – verringert werden sollen, um letztlich ein Mindestmaß an sozialer Kohäsion angesichts zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung zu gewährleisten. Die wirtschaftliche Situation von stark armutsgefährdeten Gruppen wie allein lebenden, insbesondere älteren Frauen oder MigrantInnen könnte damit unmittelbar verbessert, Wege aus ökonomisch fundierten persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen eröffnet werden. Gleichzeitig lässt ein Grundeinkommen Ursachen sozialer Ungleichheiten unangetastet und verdeckt damit gesellschaftliche Bruchlinien. Es kann folglich auch als Instrument der Befriedung und Entschärfung gesellschaftlichen Konfliktpotenzials gedeutet werden.
Ähnliches im Kontext von Erwerbslosigkeit: Grundeinkommen lässt sich als Akzeptanz und Legitimation des Verzichts auf Vollbeschäftigungspolitik interpretieren, kann aber auch materielle Problematiken anhaltender Arbeitslosigkeit mindern – und damit zur Stabilisierung von Kaufkraft in Phasen konjunktureller Einbrüche beitragen, indem es Einkommen, und damit Nachfrage, Produktion und Beschäftigung sicherstellt.
Revolutionärer Reformgeist?
Im Gegensatz zu Grundsicherung eröffnet Grundeinkommen Perspektiven auf einen Systemwechsel im Bereich von Arbeit und sozialer Sicherung. Dieser kann, sofern ein Grundeinkommen bestehende Sozialleistungen nicht ergänzt, sondern ersetzt, in einen radikalen Rückbau des öffentlichen Sektors münden. Schon in den 1960er Jahren hatte etwa der Ökonom Milton Friedman, neoliberaler Vordenker, ein Grundeinkommen mit dem Ziel, Staatseinfluss und -apparat auf ein Minimum zu reduzieren, gefordert. Nur eingebettet in einen entsprechenden wohlfahrtsstaatlichen Rahmen kann das emanzipatorische Potenzial eines Grundeinkommens jedoch realisiert werden. Dem aber stehen herrschende Machtverhältnisse, wie sie sich im „Reformgeist“ der „Modernisierung“ manifestieren, entgegen. Die Wahrscheinlichkeit einer adäquaten Umsetzung eines Grundeinkommens, die über eine spezifische Form der Grundsicherung hinausgeht, scheint daher überaus gering, das Argument mangelnder Finanzierbarkeit dabei nur vorgeschoben. Finanzierbarkeit ist letztlich vor allem eine Frage des politischen Willens – und damit Ausdruck gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse.
Normative Kraft des Faktischen
An Untersuchungen der Voraussetzungen für die Durchsetzung eines garantierten Grundeinkommens, aber auch an Bezügen zur empirischen Gerechtigkeitsforschung – und damit zu Akzeptanzbedingungen in der Gesellschaft – fehlt es bis dato weitgehend. Im Allgemeinen herrscht in Österreich nur geringe generelle Umverteilungsbereitschaft, Zustimmung zur Idee einer Mindestsicherung wird an Differenzierungen etwa nach Familienstand oder Arbeitsbereitschaft gekoppelt, wie sie im bestehenden Sozialsystem vorliegen. In sozialpolitische Institutionen eingebaute Gerechtigkeitsprinzipien prägen schließlich Vorstellungen von sozialpolitisch Möglichem, Wünschenswertem und Akzeptablem: „Aus den Wechselwirkungen von institutionalisierten Gerechtigkeitsprinzipien und empirischen Gerechtigkeitsvorstellungen ergibt sich für die Institutionen der Systeme sozialer Sicherung ein hohes Potenzial an Selbstlegitimation: Der sozialpolitische Status Quo generiert bei Politik und Publikum sozialpolitische Gerechtigkeitsvorstellungen, die affirmativ auf ihn zurückwirken.“ (Vobruba 2005)
Nicht zuletzt deshalb bedarf die Debatte um ein Grundeinkommen umfassender demokratischer Öffentlichkeit, Auseinandersetzung und schließlich Entscheidung über zukünftige Modelle von Arbeit, Einkommen und sozialer Sicherung, die den Blick auf gesellschaftliche, politökonomische und letztlich individuelle Transformationspotenziale richten, gesellschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten jenseits vermeintlicher ökonomischer Sachzwänge erwägen und grundlegende Fragen etwa nach Geld oder Zeit, Abhängigkeit oder Selbstbestimmung neu stellen.
Literatur
Vobruba, Georg (2005): "Gute Gründe reichen nicht. Zur neuen Diskussion eines garantierten Grundeinkommens." In: Kommune II/2005.
Gabriele Michalitsch ist Ökonomin und Politikwissenschaftlerin, lehrt am Institut für Institutionelle und heterodoxe Ökonomie an der WU Wien.