Im Schatten des Bergisel

<p>Bert Brecht zu zitieren, macht sich immer gut, selbst wenn Werke und Worte des kanonisierten Literaten in den letzten Jahren (im deutschen Sprachraum) etwas weniger zum geflügelten Zitatenschatz zu gehören scheinen. Aber Brecht zu zitieren kann auch, Kanonisierung hin oder her, nach wie vor ausdrucksstark sein, selbst wenn es sich um eine Textpassage handelt, die für bestimmte Kontexte die einzig brauchbare Passage von Brecht ist: „Der Rundfunk ist aus einem

Bert Brecht zu zitieren, macht sich immer gut, selbst wenn Werke und Worte des kanonisierten Literaten in den letzten Jahren (im deutschen Sprachraum) etwas weniger zum geflügelten Zitatenschatz zu gehören scheinen. Aber Brecht zu zitieren kann auch, Kanonisierung hin oder her, nach wie vor ausdrucksstark sein, selbst wenn es sich um eine Textpassage handelt, die für bestimmte Kontexte die einzig brauchbare Passage von Brecht ist: „Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheueres Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur zu hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern in Beziehung zu setzen. Deshalb sind die Bestrebungen des Rundfunks, öffentlichen Angelegenheiten auch wirklich den Charakter der Öffentlichkeit zu verleihen, absolut positiv.“

Ein Teil dieses Zitats von 1932 steht als Motto auf einem Grundsatzpapier des Innsbrucker Radios Freirad 105.9 und es drückt über ein grundsätzliches Bekenntnis zum Verständnis von Radio und Radiomachen hinaus, vor allem eine Beziehung aus, ein kulturelles Feld, in dem sich das Freie Radio bewegt. Denn Brechts „Radiotheorie“, die aus wenigen Manuskriptseiten und ein paar Ideen zu dem in den 1920ern entstandenen neuen Medium besteht, hat 50 Jahre nach ihrer Niederschrift mit ihrer visionären Kraft die bundesdeutsche Radiobewegung der 1980er Jahre beflügelt. Und diese deutsche Welle hat ideell und konzeptionell auch zum österreichischen Aufbruch – mit den PiratInnenradios ab 1987 und den „Legalisierungsbestrebungen für Freie Radios ab 1993“ (Wolfgang Hirner) – entscheidend beigetragen. Brechts wortspielreiche Idee von Kommunikation steht also Pate für eine politisch-kulturelle Community.

Welche Freiheit?

Dass hier zunächst und vor allem von Radio die Rede ist, wenn es um Tirols Freie Medien gehen soll, ist nahe liegend. Denn die Radioszene prägt das Freie Medienfeld in Tirol, auch wenn sie vor allem um ein Medium, um Freirad eben, kreist. Dabei ist zunächst zu klären, worin diese Freiheit besteht, im Selbstverständnis jener, die sich danach bezeichnen. „Frei“ meint bei Freirad, orientiert an der Charta der Freien Radios Österreichs, mehrerlei: Erstens wird inhaltlich damit der Anspruch verbunden, freie Meinungsäußerung zu fördern, dabei aber nicht der Beliebigkeit das Wort zu reden, sondern sich deutlich abzugrenzen von rassistischen, sexistischen, Gewalt verherrlichenden und demokratiefeindlichen Inhalten, die im Freirad-Programm „keinen Platz haben“.

„Offener Zugang“, ein weiteres – partizipatives – Prinzip, meint demnach, wie Geschäftsführer Markus Schennach betont, Zugang für alle, die sich an diesen Grundsätzen orientieren. Wobei – einem Modell von Gegenöffentlichkeit folgend – das Mikrofon vor allem „marginalisierten“, also in der sonstigen Medienlandschaft unterrepräsentierten Gruppen zur Verfügung stehen soll. Und drittens meint „frei“ werbefrei: Kommerzielle Werbung wird von Österreichs Freien Radios abgelehnt, in der Überzeugung, dass sich bezahlte Produktwerbung auf das Radio-Produkt auswirkt – direkt durch entstehende Abhängigkeiten oder indirekt durch mehr oder weniger bewusste Rücksichtnahmen. Die Freien Radios sehen sich als dritte Säule in der Rundfunklandschaft neben öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen Betreibern.

In 14 Sprachen

Letzteres Selbstverständnis (werbefrei), das vor allem im deutschen Sprachraum Verbreitung fand, ist in Europas Freier Radio- und Medienszene keine Selbstverständlichkeit, wie der Blick nach Italien zeigt. Die dort in der Folge der 68er Bewegung entstanden Freien Radios (Radio Popolare, Radio Sherwood...) oder Zeitungen (il manifesto) verbinden ihre Unabhängigkeit mit den Eigentumsverhältnissen: Die Medien gehören durchweg Genossenschaften (der Arbeitenden und auch HörerInnen, LeserInnen). Zum Bonmot für die italienische Szene wurde die Reaktion des linken manifesto, als Fiat wegen der Berichterstattung einmal die Werbung stornierte: „Wir fahren jetzt mit Honda weiter“.

Dort wie hier erleichtert bzw. ermöglicht aber auch öffentliches Geld, also staatlicher Zuschuss die Radioarbeit und das regelmäßige Senden. Freirad, das in der Nachfolge der Tiroler PriratInnen von Radiator im Jahr 1998 mit Ereignisradio („Radiotage“) begann und seit dem Sommer 2002 mit Lizenz kontinuierlich auf 105.9MHz sendet, finanziert sich vor allem aus öffentlichen Subventionen. Zu sieben Prozent tragen Mitgliedsbeiträge zum knappen Budget bei. Stadt (Innsbruck), Land und Bund finanzieren gemeinsam lediglich 46 Arbeitsstunden, die für die Betreuung von mittlerweile rund 400 RadiomacherInnen und gut 100 regelmäßigen Sendungen, viele im Wochenrhythmus, reichen müssen. Der Verband der Freien Radios in Österreich bemüht sich seit Jahren um eine gesetzliche Verankerung als dritter Rundfunksäule, damit auch um einen gesetzlichen Anspruch auf öffentlicher Förderung von Bundesseite. Freirad-Geschäftsführer Schennach schlägt in einem Diskussionspapier zur Förderung durch das Land vor, dass ein Teil der ORF-Gebühren für die Finanzierung nichtkommerzieller Medien verwendet werden soll. Bereits jetzt stehe die als Rundfunkgebühr eingehobene Summe nicht zur Gänze dem ORF zur Verfügung, in Tirol werde damit etwa die Kulturförderabgabe eingehoben, Einnahmen in der Höhe von 6, 75 Millionen Euro (2007), die im Kulturbudget verbucht sind. Schennach schlägt vor, dass aus diesem Topf nichtkommerzielle Medien finanziert werden sollen, da diese „mit ihrem Programm einen öffentlich-rechtlichen Auftrag erfüllen“.

Wie auch immer dieser Auftrag verstanden und letztlich politisch definiert wird: Allein die sprachliche Vielfalt des Freirad-Programms in 14 Sprachen – das ist ein fremdsprachiger Anteil von 30 Prozent, etwa auch in Chinesisch und Tschetschenisch – ist gesellschafts-, kultur- und bildungspolitisch äußerst bemerkenswert, zumal für ein Lokalradio mit technischer Reichweite von 140.000 HörerInnen. Soziale Breite des Programms und Spezifik zeigt sich beispielhaft an regelmäßigen Sendungen der „Verrückten Köpfe“, des seit Jahren um demokratische Fußballkultur bemühten Fanclubs von Wacker Innsbruck, an Sendungen von Menschen mit geistiger Behinderung des „Tafie“, des Tiroler Arbeitskreises für Integrative Erziehung, oder an einem Programm von jenen, deren Aufenthalt in Österreich meist nur vorübergehend ist – Flüchtlingen aus dem Innsbrucker Flüchtlingsheim Reichenau, die sich im Radio engagieren im Wissen, dass sie kaum Chancen haben auf Asyl.

Innsbrucks Freies Radio hat den Anspruch, Qualitätsstandards zu verbessern, organisiert Radioseminare und unterstützt technisch, rechtlich und journalistisch den Neustart anderer Freier Radios in Tirol. Konkrete Bestrebungen gibt es in St. Johann, kurz vor dem Sendestart (im Herbst 2009) steht Radio Inzing, ein Radio einer besonderen Community: Im Ort nahe Innsbruck im oberen Inntal, das auf eine lange Tradition des kritischen Volkstheaters zurückblickt, will sich nicht eine „Szene“ zu Wort melden, sondern eine in der Dorfgemeinschaft verankerte Gruppe von RadiomacherInnen, die auch den Bürgermeister hinter sich weiß: Hier startet wohl Österreichs erstes Dorfradio.

Widerständige Pflänzchen im Printgarten

Mit initiiert hat das Innsbrucker Radio eine neue Zeitschrift, die die Kulturlandschaft Tirols ab Oktober 2009 bereichern soll. Mole, was wohl je nach Blickwinkel und Geschmack als Saucenmischung der mexikanischen Küche oder Wellenbrecher vor Bootsanlegestellen gelesen werden kann, wird maßgeblich vom Dachverband der Tiroler Kulturinitiativen TKI, der plattform mobiler kulturinitiativen p.m.k. oder auch der Galerie St. Barbara mitgetragen. Der Untertitel „Zeitschrift für kulturelle Nahversorgung“ verdeutlicht die Absicht, in Tirol (viermal jährlich) zu einer kulturpolitischen Debatte beizutragen, ein Medium für ästhetische Beiträge in Wort und Bild wie eine Plattform für Auseinandersetzung zu sein – ein Anspruch des Einspruchs, der allein haptisch und optisch unterstrichen wird durch Zeitungspapier und Berliner Format (das derzeit vom Lokalmatador Tiroler Tageszeitung verwendet wird, bis zur angekündigten Umstellung der TT auf Kleinformat im Herbst). Damit wird sich die Mole, die auf Publizistikförderung, Verkauf, Inserate und vor allem auf Subventionen hofft und sich auch als journalistisches Medium versteht, vom ästhetischen Leader der Tiroler Kulturmedien, dem vom Land Tirol finanzierten, in aufwändigem Design sich präsentierenden und um überregionale Präsenz bemühten Quart. Heft für Kultur Tirol unterscheiden.

Aus Tirols „Gegenöffentlichkeit“ nicht mehr wegzudenken scheint ein Printprodukt, das das Zehnjährige grad stolz geschafft hat: Die Straßenzeitung 20er, zu Schilling-Zeiten getauft, und trotz Euro am Gründungsnamen festhaltend, gehört in der breiten Palette der Wohnungslosenblätter zu jenen mit journalistischen Ansprüchen. Das Konzept des Blattes, das vermehrt von MigrantInnen verkauft wird, hat sich mit den redaktionellen Wechseln anfangs ein wenig, in den letzten Jahren stärker verändert. Der 20er, der keine öffentliche Förderung erhält, sehr wohl aber Werbeeinahmen hat, ist weder Boulevard mit Anspruch wie der Wiener Augustin noch Info-Illustrierte wie etwa die Baseler Surprise, sondern ein kritisches Monatsheft mit starkem Tirol- und Innsbruck-Bezug. Im ersten Jahrfünft präsentierte das Blatt in monatlichen Themenschwerpunkten Texte mit originellem Zugang und immer wieder hoher Qualität: Bei „Heimat“ etwa galt der Blick auch Fahrenden, bei „Tiere“ dem Verschwinden von Tamagotchi, „Sicherheit“ wurde als Ideologie diskutiert, ein Vogerl illustrierte das Titelblatt zu „Glück“. Der 20er ist später vom Heft-Schwerpunkt abgerückt, ist im Themenmix stärker der monatlichen Aktualität verpflichtet, hat die Unterhaltungselemente ausgebaut, ohne dabei die Recherche zu vernachlässigen.

Anmerkung

Der vorliegende Artikel ist Teil einer Kulturrisse-Serie zur freien Medienszene in den österreichischen Bundesländern. Bislang erschienen Texte zu Oberösterreich (KR 4/07), Vorarlberg (KR 1/08) und Salzburg (KR 3/08).

Benedikt Sauer Literaturwissenschafter, lebt in Innsbruck, arbeitet als Publizist und Freier Journalist (u. a. für die Rai-Bozen), als Kolumnist (für die Tiroler Tageszeitung) und Lehrbeauftragter für Medienkunde der Universität Innsbruck.