LINKS!
<p>Es ist ein interessantes Unterfangen, über die Linke in einem EU-Staat zu schreiben, der von KommunistInnen und durch ihren Kampf während des Zweiten Weltkrieges begründet wurde. Denn es bedeutet, über die Linke in einem Staat zu schreiben, der durch den Volkswillen und aus dem Bedürfnis der Menschen entstanden ist und nicht durch den Willen der Mächtigen; in einem Staat, der von unten gewachsen ist – wie die Pilze oder das Gras. Diese zwei Charakteristika, die
Es ist ein interessantes Unterfangen, über die Linke in einem EU-Staat zu schreiben, der von KommunistInnen und durch ihren Kampf während des Zweiten Weltkrieges begründet wurde. Denn es bedeutet, über die Linke in einem Staat zu schreiben, der durch den Volkswillen und aus dem Bedürfnis der Menschen entstanden ist und nicht durch den Willen der Mächtigen; in einem Staat, der von unten gewachsen ist – wie die Pilze oder das Gras. Diese zwei Charakteristika, die kommunistische Grundlage des Staates und die Verbindung mit den jugoslawischen „Brudervölkern“ während des Kampfes für eine nationale und eine soziale Emanzipation sowie gegen den Faschismus während des zweiten Weltkriegs, waren auch die Zielscheiben der direkten Angriffe der Rechten nach dem Untergang des Sozialismus und Jugoslawiens. Es sind die rechten Kräfte, die als Nachfolgerinnen der besiegten historischen Kräfte der faschistischen Kollaboration und der Kirche einzuordnen sind. Zu dieser „besiegten“ Rechten kam die neue Rechte des Kapitals in Gestalt der zum Liberalismus konvertierten KommunistInnen hinzu. Die neue Rechte besteht aus den Schichten, die sich schnell bereicherten und in deren Händen sich die (damalige) Regierung befand.
Der Aufbau der rechten Agenda beinhaltete das klassisch historische Repertoire wirtschaftspolitischer Aktionen wie die Schaffung eines inneren Feindes (Izbrisani – der Gelöschten[1]), die Privatisierung des Volksvermögens (mit Elementen des Raubs), die Rehabilitierung der Kollaboration mit dem Faschismus, die Rückgabe der zentralen kultureller Position an die Kirche und die Schaffung eines Außenfeindes (Grenzstreit mit Kroatien).
Die Politik der EU und die Neukonstituierung der Linken
Dieses Repertoire, obwohl archaisch und in vielen Punkten nicht im Einklang mit den „europäischen Werten“ (z.B. der Herrschaft des Rechts), wurde von den europäischen PolitikerInnen, die über den Beitritt Sloweniens entschieden, legitimiert. Besonders evident ist dies bei der Frage der „Gelöschten“, mit der Slowenien eine massive Menschenrechtsverletzung auf der Basis ethnischer Unterscheidung beging. Für die EU stellte dies damals (ebenso wie auch später) kein Hindernis dar. Auch dann nicht, als diese geheime Operation der ersten rechten Regierung Sloweniens nach dem Zerfall Jugoslawiens schon längst kein Geheimnis mehr war. Die heuchlerische Politik der EU gegenüber der Frage der „Gelöschten“ (die auch als administrativer Genozid der JugoslawInnen bezeichnet wurde) kam 15 Jahre später in sehr deutlicher Weise zum Ausdruck, als das EU-Parlament gezwungen war, diese anzuhören. Es tat dies allerdings ohne den ausdrücklichen Wunsch und die Befugnis, das Problem zu lösen. Vielmehr wurde Alojz Peterle, Präsident jener Regierung, die die administrative Löschung durchführte und späterer Abgeordneter Sloweniens im EU Parlament, damals in der Umfrage einer Brüsseler Zeitung zum „Europäer des Jahres“ gekürt. Das Wissen um diese Scheinheiligkeit der EU gegenüber den „Gelöschten“ hilft uns aber, die berühmte Resolution des Europäischen Rates vom 25.01.2006, in der die Opfer des Faschismus und des Kommunismus gleichgesetzt werden, zu verstehen. Als Ziel dieser Resolution kann die Rehabilitierung des Faschismus[2] bezeichnet werden.
Unter diesen Umständen musste sich die von ihren Wurzeln abgeschnittene slowenische Linke schnell und auf neuen Grundlagen konstituieren. Es mussten Antworten auf die schwierigen Fragen gefunden werden, vor die sie diese neue Situation stellte. Die Teile der Linken, die nicht zum rechten Liberalismus (oder sogar Konservativismus) konvertierten, formierten sich in folgenden Gruppen: 1. der parlamentarischen Linken (SozialdemokratInnen, Demokratische Partei der PensionistInnen), 2. den Gewerkschaften, 3. der Vereinigung der PartisanInnen aus dem zweiten Weltkrieg (NOB), 4. der philosophischintellektuellen Linken und 4. den linken Bewegungen. Schon auf den ersten Blick erscheint ein breites Spektrum linker Stellungen, die auch ohne die schwere Artillerie des Marxismus-Leninismus mächtig erscheinen. Die letzten drei der genannten Gruppen sind wegen ihres spezifischen Charakters von besonderem Interesse für diesen Text. Aber der Reihe nach:
Die parlamentarische Linke
Die SozialdemokratInnen sind die Partei der Kontinuität. Sie verabschiedeten sich, den neuen Umständen entsprechend, von ihren revolutionären Idealen und traten in die Reihe der demokratischen Parteien ein. Antonio Negri bezeichnet diese Haltung in seinem Buch „Porcelanska radionica“[3] als gut gemeinte „Lüge“. Negris Gründe für eine gut gemeinte Lüge (oder „zweifache Wahrheit“) sind ethischer Natur (weil die „Ethik wichtiger ist als die Logik“). In seinem Vorhaben der Erfindung einer neuen Sprache der Linken will Negri die GenossInnen, von denen er gelernt hat, die „ehrlichen MarxistInnen-LeninistInnen“, nicht verschwinden lassen.
Unter den heutigen SozialdemokratInnen in Slowenien haben viele der zum alten Kader Gehörenden ihre Arbeit mit dem alten Enthusiasmus und der alten Intensität fortgesetzt. Die sozialdemokratische Partei wurde 1992 gegründet und durchschritt mehrere Phasen: vom knappen Verfehlen des Einzugs ins Parlament über eine zweifache Beteiligung an der Regierungskoalition und die Rolle der größten Oppositionspartei bis zur heutigen Position als Machtträgerin in einer Koalition mit zwei liberalen Parteien und der demokratischen Partei der PensionistInnen. Ihr Beitrag zum Kampf für die Rechte der ArbeiterInnen, für soziale Sicherheit und die Menschenrechte ist zweifellos groß.
Die Gewerkschaften In Slowenien gibt es 39 registrierte Gewerkschaftsbünde und -vereinigungen. Der größte unter ihnen, der „Bund der freien Gewerkschaften“ (ZSS) hat 300.000 Mitglieder (das sind 15% der Bevölkerung in Slowenien). Die Gewerkschaften sind sehr gut organisiert und repräsentieren eine starke Macht der ArbeiterInnen in Kampf um ihre Rechte. Während mehrerer Generalstreiks wurde diese Kraft auch öffentlich demonstriert. So lieferten sie den Regierungen den Beweis, dass diese ohne die Beachtung der ArbeiterInnenrechte nicht regieren können. Von manchen wird die Meinung vertreten, dass die Gewerkschaften in Slowenien, die in der Tradition der jugoslawischen Selbstverwaltung stehen, zu den einflussreichsten in Europa zählen.
Der Bund der PartisanInnen
Der Bund der Vereinigungen der KämpferInnen für die Werte des Volksbefreiungskrieges (ZZV-NOB) – wie der Bund der PartisanInnen aus dem Zweiten Weltkrieg 2002 umbenannt wurde – hat die Mitgliedschaft auch auf die KämpferInnen für die Werte des antifaschistischen Kampfes ausgedehnt und wächst jährlich um ca. 500 neue Mitglieder. Die Mitgliedschaft erfolgt über die 850 Ortsvereinigungen, die in 63 regionalen Vereinigungen organisiert sind. Finanziert wird der Bund aus dem Staatsbudget, durch Spenden und Mitgliedsbeiträge. Ich erwähnte eingangs die einmalige staatsgründende und emanzipatorische Bedeutung des antifaschistischen Kampfes für Slowenien. Mit einer Reihe von Aktionen, Versammlungen, Vorträgen, TV-Auftritte, Artikeln und Deklarationen war der ZZB-NOV praktisch als einziger wirklich aktiv im Kampf gegen die Versuche der Rehabilitierung faschistischer Kollaboration im zweiten Weltkrieg durch die Rechte. Als Antwort auf die permanente Aktualisierung des Themas der Liquidation von faschistischen KollaborateurInnen nach 1945 organisierte der ZZB-NOV Mitte April 2009 ein Treffen von PartisanInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Bei diesem betonte der Präsident des ZZB-NOV, Janez Stanovnik, dass die damaligen Liquidationen eine Rechtsgrundlage (der damaligen Zeit) durch die Nichterteilung des Status als Kriegsgefangene hatten – die Briten lieferten die KollaborateurInnen im Name der Alliierten mit Zügen aus Österreich zur Liquidation an die Tito-PartisanInnen aus – nicht als Gefangene sondern als entwaffnete Feinde –, und auch wegen der Überzeugung der damaligen antifaschistischen Allianz, Churchill, Roosevelt und Stalin, dass es nicht genüge, den Faschismus zu besiegen, sondern ihn zu vernichten.
Die philosophisch-intellektuelle Linke
Die Universität in Ljubljana war die Wiege eines beachtenswerten linken politischen Denkens. Dieses manifestiert sich in diversen politischen Versammlungen, philosophischen Bibliotheken, Vorträgen usw. In Verbindung mit der Praxis gibt es auch Kontroversen: Der berühmte – wie er sich selbst nennt – marxistische Philosoph Slavoj Žižek gilt als der Partei des Kapitals nahe, der liberalen Partei der konvertierten KommunistInnen, die bis jetzt am längsten Slowenien regierte. Žižek war auch deren Präsidentschaftskandidat. Von vielen wird sein politisches Engagement als Affirmation des Kapitalismus verstanden. In Erinnerung geblieben ist er auch durch seine Befürwortung des Beitritts Sloweniens zur NATO – und zwar im Namen der stabilen bürgerlichen Gesellschaft, von der er jetzt behauptet, uninteressant zu sein.
Linke Bewegungen
Die außerparlamentarischen linken Bewegungen sind ein neues Phänomen der linken politischen Praxis in Slowenien und sind außerhalb der traditionellen Linken entstanden. Inspiriert sind sie vom italienischen autonomen Marxismus, von der zapatistischen Bewegung, diversen anarchistischen Praxen, der Globalisierungskritik und der Widerstandsphilosophie von Antonio Negri. Die größte und am besten organisierte Gruppe ist die zapatistische Dostje!, das slowenische Pendant zu ¡Ya Basta!. Im Rahmen dieser Gruppe erfolgte die politische Organisierung und Aktivierung der Gruppe der „Gelöschten“. Dank internationaler aktivistischer Netzwerke konnten die „Gelöschten“ auch innerhalb der EU sichtbar werden. Gemeinsam mit ihnen engagieren sich die linken Bewegungen in migrationspolitischen Themen und in der verlassenen Fabrik „Rog“ wurde ein Sozialzentrum geschaffen, das sich mit einem breiten Spektrum von Problemen befasst.
Die Annullierung der Entscheidung einer souveränen Regierung wie im Fall der „Gelöschten“ ist eine der interessantesten Fakten in den Aktivitäten der postsozialistischen Linken in Slowenien. Wichtig ist, dass es sich dabei um ein Zusammenwirken der parlamentarischen Linken, der linken Bewegungen und der internationalen Linken handelte. Die historische Bedeutung liegt darin, dass dies wahrscheinlich die erste Negation der nationalen Souveränität ist, die unter dem Druck und den Aktionen einer außerparlamentarischen Bewegung zustande kam. Die zwei wichtigsten Fragen sind: Ist die Annullierung ein Resultat der Veränderung der Bedeutung staatlicher Souveränität in der globalen Gesellschaft, oder ist sie ein Ergebnis der sehr spezifischer Situation der slowenischen Linken? Oder vielleicht ein Resultat beider Faktoren? Egal, wie die Antworten ausfallen werden, der „Sieg“ der „Gelöschten“ in Slowenien ist ein unzweifelhafter Beweis für die Bedeutung der politischen Aktionen, die aus der Peripherie der Gesellschaft kommen.
Anmerkungen
1 Für eine Gruppe von 25.671 JugoslawInnen (unter ihnen ca. 5.300 Kinder) wurde das Recht auf Daueraufenthalt in Slowenien mit einer geheimen Entscheidung der rechten Regierung unter Janez Peterle am 26.02.1992 „gelöscht“. Damit wurden ihnen alle bürgerlichen Rechte (soziale Rechte, Versicherung, Dokumente, Schule) und ihr Eigentum genommen. Viele der „Gelöschten“ wurden daraufhin in Polizeirazzien als Personen ohne Dokumente verhaftet, geschlagen und ausgewiesen. Manche wurden ins Kriegsgebiet des ehemaligen gemeinsamen Staates ausgeliefert. Bekannt ist der Fall von Dragomir Petronić, eines Serben aus Bosnien, der von der slowenischen Polizei nach Kroatien deportiert wurde. Die kroatische Polizei deportierte ihn weiter zu kroatischen Einheiten in Bosnien, wo er gefoltert und ermordet wurde. Im März 2009 wurden den „Gelöschten“ unter der Regierung des Sozialdemokraten Boris Pahor alle Rechte zurückgegeben.
2 In einem Interview vom 21.03.2009 für die slowenische Gratiszeitung Žurnal verglich der österreichische Diplomat Valentin Inzko, gegenwärtig hoher Repräsentant in Bosnien, die Liquidation der Kollaborateure mit dem deutschen Holocaust!!! Damit hat er sich nicht nur undiplomatisch in die Innenangelegenheiten Sloweniens eingemischt, sondern auch sehr direkt die EU-Position geäußert, eines Staatenbündnis das den 9.Mai als Tag des Sieges gegen den Faschismus feiert. Vgl. Artikel (Zugriff am: 23.06.2009).
3 Antonio Negri (2008): The Porcelan Workshop. For a New Grammar of Politics. Los Angeles.
Sozialdemokraten
Bund der Freien GewerkschaftenZSSS
Vereinigung der Kämpfer für die Werte des VolksbefreiungskriegesZZB-NOB
Dimitar Anakiev ist unabhängige Filmemacher. Lebt seit 1987 in Slowenien. 1992 wurde er Opfer von „administrativen ethnischen Säuberungen in Slowenien“ Website.
Übersetzung: Ljubomir Bratić