The Machine that goes „Bing”

Bei den Einwanderungsverfahren von Familienangehörigen kommen genetische Verwandtschaftsgutachten zum Einsatz, doch das Instrumentarium entpuppt sich als purer Machtapparat mit Show-Effekt.

Im legendären Hospital-Sketch von Monty Python aus dem Film Meaning of Life weisen zwei Ärzte im Kreißsaal die Krankenschwester an, mehr Geräte herein zu bringen, weil es ihnen darin zu leer vorkommt. Und einer von ihnen (John Cleese) verlangt nach der „Machine that goes ,Bing’“, die auf keinen Fall fehlen darf. Ich glaube nun, dass dieser magische Apparat und seine Notwendigkeit viel mit dem zu tun haben, warum heute genetische Verwandtschaftsgutachten in der Zuwanderungspolitik als so nützlich angesehen werden, obwohl sie letztendlich keinen tatsächlichen Zweck erfüllen.

Die meisten Formen der Zuwanderung nach Europa werden inzwischen derart restriktiv gehandhabt, dass man viele von ihnen quasi als abgeschafft betrachten muss – so etwa die legale Arbeitsmigration (mit Ausnahme von sogenannten Schlüsselarbeitskräften). Dadurch steigt die Bedeutung der Möglichkeit, über Familiennachzüge nach Europa zu gelangen. Sie bildet heute die Basis für fast die Hälfte aller Einreisebewilligungen. Doch nicht nur vorgeschriebene Wohnungsgrößen, Einkommensmindestgrenzen und bestandene Sprachtests verringern die Zahl jener, die anspruchsberechtigt wären. Wer als Familienmitglied in einem Europäischen Land eine Aufenthaltserlaubnis bekommen möchte, muss scheinbar auch die „Echtheit“ dieser Verwandtschaft nachweisen können.

Zu diesem Zweck etablieren sich seit den 1990er-Jahren DNA-basierte Elternschaftstests als Instrumentarium nationaler Einwanderungspolitiken. Die beteiligten Personen stehen quasi unter dem Generalverdacht, sich die Privilegien jener „natürlichen Keimzelle der Gesellschaft“ unrechtmäßig erschleichen zu wollen. Argumentiert wird, mit dem Einsatz von DNA-Tests bekämpfe man sowohl illegale Adoptionen, Kinderhandel als auch Scheinehen; und es gehe auch darum jene Vaterschaftsanerkennungen herauszufiltern, die lediglich dazu dienen könnten, dem vermeintlichen Vater die Einreise zu ermöglich.

In diesem Sinne verordnete 2005 ein Amtsgericht in Kempen (Deutschland), dass bei einem Ehepaar und dessen Kind, auch gegen deren Willen, ein genetisches Gutachten erstellt werden sollte. Denn die Ausländerbehörde hatte den Verdacht, dass die Ehe nur zum Zweck der Einreise geschlossen worden sein könnte und dass die Mutter ihren Ehemann womöglich nur deshalb als Vater des Kindes angegeben habe. Noch bevor es zur Durchführung der Zwangsentnahme einer DNA-Probe kommen konnte, wurde das Urteil angefochten und in der nächsten Instanz als „logisch schwer defizitär“ aufgehoben. Denn juristisch stand der Mann schon allein durch die aufrechte Ehe zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes bereits unumstößlich als Vater fest, ganz gleichgültig wer der genetische Erzeuger auch sein mochte.

Die Diskrepanz zwischen geltendem Recht und der alltäglichen Praxis

Wie regelmäßig Familienmitgliedern die Zusammenführung mit ihren Angehörigen aufgrund von fehlenden DNA-Gutachten verwehrt wird, lässt sich allerdings nicht mit Sicherheit sagen, denn die Ministerien erheben diesbezüglich keine Daten, die dann quantitativ ausgewertet werden könnten. Doch die Liste der Fallvignetten wird länger und länger. 2007 gab ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde in Frankfurt bei einer Verhandlung vor Gericht an, dass es für Familien aus bestimmten Ländern schlichtweg unmöglich war, ohne genetischen Attests eine Einreisebewilligung zu bekommen.

In Deutschland versuchte man 2009, dieser Diskrepanz zwischen geltendem Recht und der alltäglichen Praxis der Behörden durch eine „allgemeine Verwaltungsvorschrift“ entgegenzuwirken. Denn laut Gesetz sind die pauschale Verdächtigung und gewohnheitsmäßigen Überprüfungen der Familien definitiv verboten. Seither legt diese Verwaltungsvorschrift fest, wie die Ämter den kurzen Text des Aufenthaltsgesetzes zum „Grundsatz des Familiennachzugs“ zu interpretieren haben. Demnach sollen jene Antragstellenden, die ihre Identität oder ihren Personenstand (also ihr Verwandtschaftsverhältnis) nicht ausreichend durch glaubhafte Dokumente belegen können, darauf hingewiesen werden, dass sie „die Möglichkeit [haben], mittels eines freiwilligen DNS-Abstammungsgutachtens die Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung nachzuweisen“.

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Doch damit ist das Dilemma noch lange nicht gelöst, denn der Dreh- und Angelpunkt des ganzen Verfahrens ist das Prinzip der freien Beweiswürdigung, wie es für die Kontinentaleuropäische Rechtsprechung maßgeblich ist. Es besagt nichts anderes, als dass es letztlich im Ermessen der zuständigen Amtsperson liegt, ob sie in einem Fall zur Überzeugung gelangt, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt oder nicht; ob also die eingereichten Schriftstücke, Aussagen, Dokumente und Gutachten ausreichen, um alle Zweifel an den Identitäten und den Verwandtschaftsverhältnissen zu beseitigen – oder eben nicht. Kein noch so triftiger Beweis kann der verantwortlichen Person die Entscheidung abnehmen, denn noch immer liegt es an ihr, abzuwägen, ob sie diesen Beweisen Glauben schenken möchte. Die Gefahr eines solchen Rechtssystems liegt auf der Hand, denn die Menschen über die entschieden wird, sind dem_ der Beamt_in dadurch streng genommen auf Gedeih und Verderben ausgeliefert. Auf der anderen Seite verhindert es aber zugleich systematischen Missbrauch, denn so können Ämter und Gerichte nicht einfach von Regierungen zum Vollstreckungsinstrument von Gesetzestexten gemacht werden (wie es etwa unter den Nazis der Fall war). Gewaltenteilung ist hier das Stichwort. Rein rechtlich ist es also gar nicht möglich, DNA-Tests zur verbindlichen Voraussetzung zu machen. Doch vieles deutet darauf hin, dass der Alltag anders aussieht. Dokumente aus über 40 Ländern werden von den Ausländerbehörden pauschal als unglaubwürdig abgetan. Wer also nicht alles versucht, um die Behörden von der Glaubhaftigkeit der eigenen Angabe zu überzeugen, koste es was es wolle, pokert hoch.

Biologismus oder Lügendetektor?

Einige Sozialwissenschafter_innen nehmen deshalb an, dass es durch den Einsatz von DNA-Gutachten einen neuen Trend in der Zuwanderungspolitik gibt, hin zu einem biologistischen Familienverständnis bei Migrant_innen, während für Inländer_innen weiterhin soziale Beziehungsgefüge hochgehalten würden. Was sie dabei allerdings übersehen, ist, dass es ebenso starke Entwicklungen gibt, institutionalisierte Blut-und-Boden-Mentalitäten abzubauen. So ist es erst zwölf Jahre her, dass Deutschland begann, sich von seinem Prinzip des ius sanguinis zu verabschieden, jenem „Recht des Blutes“, demzufolge die Deutsche Staatsbürger_innenschaft nur jenen gebührt, von denen mindestens ein Elternteil bereits Deutsche_r war, und ebenso dessen Eltern, usw. Dadurch erlangten innerhalb der ersten zehn Jahre 400.000 Kinder von Immigrant_innen automatisch den deutschen Bürger_innen-Status und der Anteil an Neugeborenen ohne deutsche Bürger_innen-Rechte sank von zuvor durchschnittlich 13 Prozent auf 5,3 Prozent. Außerdem ist mir in drei Jahren intensiver Forschung kein einziges Beispiel bekannt geworden, in dem ein ablehnender Bescheid damit argumentiert hätte, dass zwischen den Familienmitgliedern keine genetische Verwandtschaft bestanden hätte. Im Gegenteil, es gibt Fälle in denen von einer genetischen Überprüfung einzelner Verwandtschaftsverhältnisse Abstand genommen wurde, etwa weil die Eltern einräumten, dass ein Kind nur von einem von ihnen abstamme.

Was also mithilfe der DNA-Gutachten abgeklärt wird, ist letztlich gar nicht so sehr, ob die beteiligten Familienmitglieder miteinander in einem genetischen Vater-Mutter-Kind-Verhältnis stehen, sondern vielmehr, ob die von ihnen gemachten Angaben den Tatsachen entsprechen. Kurz: Es wird geprüft, ob diesbezüglich gelogen wurde. Laut der europäischen Rechtsvorschrift (2003/86/EG) dürfen die einzelnen Staaten Familienzusammenführungen ablehnen „wenn feststeht, dass falsche oder irreführende Angaben gemacht wurden, ge- oder verfälschte Dokumente verwendet wurden, auf andere Weise eine Täuschung verübt wurde“.

Soziale Selektion

Ein weiterer Diskriminierungs-Faktor waren anfänglich auch sicherlich die Kosten für die DNA-Gutachten, doch die sind in den letzten Jahren zudem erheblich gesunken. Zwar ist der Betrag, der je nach Labor und Familiengröße zwischen mehreren hundert und einigen tausend Euro schwanken kann, gerade für Menschen aus armen Ländern eine erhebliche Belastung, doch in der Gesamtsumme, die eine solche Immigration ausmacht, schlagen schon die Reisekosten deutlich stärker zu Buche.

Wer also glaubt, Familiennachzug sei eine Option, die auch den unterprivilegierten Menschen zur Verfügung stünde, täuscht sich. DNA-Tests sind vielmehr nur eine zusätzliche Schikane in einer ganzen Reihe von Behinderungen. Zusammen bewirken sie eine effektive Selektion von Armut. Daraus machte man in 2007 in Frankreich auch gar kein Geheimnis, als die Regierung, trotz heftiger Proteste, ein Gesetz einführte, dass im Rahmen von Familienzusammenführungen die Überprüfung der genetischen Verwandtschaft von Müttern mit ihren Kindern vorschreibt. Es war Teil jener Maßnahmen, durch die Sarkozy beabsichtigte, sein Wahlversprechen in die Tat umzusetzen: die Zahl der Einwanderer_innen aus den unteren Schichten zu halbieren. Andere Maßnahmen, um die Anzahl der Neuanträge von Familienangehörigen zu senken, betrafen etwa die Vorgabe, wie lange eine Ehe im Vorfeld bereits bestanden haben musste: waren es 2006 noch zwölf Monate gewesen, musste eine Ehe von nun an bereits vor mindestens 18 Monaten geschlossen worden sein, bevor ein Antrag gestellt werden durfte.

Das zirkuläre Ziel der Souveränität

Michel Foucault hatte festgestellt, dass sich schon im 18. Jahrhundert die Machtposition des Souveräns nicht dadurch legitimieren konnte, dass sie eben jene Instanz sei, der es vorbehalten bleibt die Gesetze zu erlassen. Sie muss sich darüber hinaus auch ein Ziel setzen, dass sie mit ihren Interventionen verfolgt, etwa das „Gemeinwohl“. Erreicht sei das Gemeinwohl aber dann, „wenn die Untertanen alle und zuverlässig den Gesetzen gehorchen“, so Foucault. Ganz ähnlich verhält es sich nun, wenn sich die EU und ihre Staaten das Wohl der Familie auf die Fahnen schreiben, das angeblich wichtiger sei als die staatliche Souveränität. Gleichzeitig aber ist es eben jene staatliche Souveränität, die (seit sie die Kirche diesbezüglich entmachtet hat) angerufen wird, wenn es darum geht, Ehen zu schließen und zu wieder scheiden, oder Elternschaften an- oder abzuerkennen. Der Staat erschafft Verwandtschaftsverhältnisse und wacht über sie – und er legitimiert sich über diese Wächter_innen-Funktion. Die Rechnung lautet also: ohne Staat keine Familie, aber auch: ohne Familie keine staatliche Souveränität.

Die Überprüfung der Verwandtschaft mittels technischer Verfahren ist und bleibt ein Grenzregime, in dem sich der Staat letzten Endes selbst erschafft. Die Apparaturen, die in diesem Zusammenhang in Betrieb genommen werden, erfüllen den selben Zweck wie der ganze medizinische Hokuspokus im Krankenhaus-Szenario von Monty Pythons: Es geht schlicht darum vergessen zu machen, dass es eben nicht die Ärzte sind, die das „Wunder der Geburt“ bewerkstelligen – es verhält sich genau anders herum.

Weiterführende Literatur (eine Auswahl):

Foucault, Michel (2006 [1978]): Sicherheit, Territorium, Bevölkerung – Geschichte der Gouvernementalität 1, Suhrkamp, Frankfurt a. M.

Guggenheimer, Jacob (2013): „,Wo man mit Blut die Grenze schrieb ...’ – Philosophisch-ethische Überlegungen zur Anwendung von DNA-Analysen bei Familienzusammenführungen“, in: Geisen, Thomas/Studer, Tobias/Yildiz, Erol (Hg.): Migration, Familie und Gesellschaft: Beiträge zu Theorie, Kultur und Politik, VS Verlag Wiesbaden. (Erscheinungstermin: 18.07.2013)

Guggenheimer, Jacob (2014): „Beschützter Staatsfeind Familie – ethische Implikationen von DNA-Tests“, ARSP – Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Heft 2, 2014. (im Erscheinen)

Heinemann, Torsten & Lemke, Thomas (1/2012): „Verdächtige Familien – DNA-Abstammungsgutachten in Einwanderungsverfahren“; in: Forschung Aktuell:  (20.03.2012)

Lemke, Thomas & Rödel, Malaika (2011): „Die Nutzung von DNA-Tests in Einwanderungsverfahren: das Beispiel Deutschland“; in: Kehr, Janina/Niewöhner, Jörg/Vailly, Joëlle (Hg.), Leben in Gesellschaft. Biomedizin – Politik – Sozialwissenschaften, Transcript Verlag, Bielefeld.

Murdock, Tera Rica (2008): „Whose Child Is This?: Genetic Analysis and Family Reunification Immigration in France“; in: Vanderbilt Journal of Transnational Law, Vol. 41, Vanderbilt University, School of Law.

Weiß, Martin (2011): „Strange DNA“; in: Genomics, Society and Policy, Vol.7 pp.1-19, (20.02.2012)