Mauerblümchen Moraks Kampf gegen den österreichischen Film

Hätten Sie 's gewusst was eine Diagonale ist?
Hätten Sie 's gewusst?
Die Diagonale ist...
1) ... das größte Festival des österreichischen Films.
2) ... das größte österreichische Filmfestival.
3)... das Österreichfestival für den größten Film.


Sie waren sich nicht sicher? Das macht nichts, auch der Staatsekretär für Kunst Franz Morak hat ein Problem mit der Definition, und überhaupt wird sich ja in Zukunft einiges verändern, was dieses Festival des österreichischen Films betrifft. Die Neubesetzung in der Intendanz durch Tillmann Fuchs und Miroljub Vuckovic sind ein erster Schritt.

Anfang März dieses Jahres ist Entscheidungsträger Morak mit spontanen Umgestaltungsvorstellungen in die letzte Vorbereitungsphase (zwei Wochen vor der Eröffnung) des Festivals hinein geplatzt. Neue personelle Führung und eine inhaltliche Neuorientierung sollen Veränderung in das international renommierte Festival bringen.

Verzögern und Tot-Stellen

Bereits im Juni letzten Jahres hatte die bisherige Intendantin Christine Dollhofer - nach Bekanntgabe des Ausscheidens von Co-Intendant Constantin Wulff aus privaten Gründen - ihre Bereitschaft signalisiert, die Diagonale weiterführen zu wollen. Der Beirat des Festivals unterstützte Dollhofers Fortsetzungsangebot vollauf und empfahl (so der formale Ablauf) dem Staatssekretär eine Verlängerung ihre Vertrags. Nur aus dem Büro Morak war - trotz wiederholter Nachfrage - neun Monate lang außer terminlichen Vertröstungen nichts zu hören. Als Dollhofer Anfang März 2003 schließlich ein Ultimatum stellte, weil es ihr unmöglich erschien, ein Festival dieser Größenordnung in einem allmählich derart kurzen Zeitraum vernünftig zu planen, folgte postwendend die Neuausschreibung ihrer Position. Morak erklärte, es hätte sich durch die Kündigung Wulffs im letzten Sommer (!) eine neue Situation ergeben, die er zum Anlass der Neuausschreibung genommen habe. Weil er die Regierungsbildung noch habe abwarten wollen, sei eine frühere Antwort nicht möglich gewesen.

Mit dem Programm der Diagonale, die sich mehrmals des politischen Aktivismus der Filmszene angenommen und diesen unter anderem im regierungskritischen Programm "Die Kunst der Stunde ist Widerstand" präsentiert hatte, habe die Neuausschreibung laut Staatssekretär aber nichts zu tun: "Ich war selber Künstler", betont Morak, "und habe regierungskritische Lieder gemacht und regierungskritische Texte für den ORF verfasst." Und das sei schließlich auch "die Aufgabe der Künstler". Und außerdem: "Ich habe Dollhofer/Wulff zweimal verlängert. Das nur nebenbei." Dass dies, entgegen sonstigen Gepflogenheiten im Kunst- und Kulturbereich, jeweils nur um ein Jahr geschehen ist, verschweigt er.

Verfügen statt Initiieren

Trotzdem bringt Morak - in untrüglicher Unkenntnis des Veranstaltungsprogramms, das in diesem Jahr eine Retrospektive des jugoslawischen Filmemachers Zelimir Zilnik, die Präsentation von insgesamt 26 sudosteuropäischen (Co-)Produktionen sowie der Festivals "finále plzen - Festival of Czech Films" und "Portoroz - Festival of Slovenian Film" beinhaltete - sicherheitshalber auch gleich inhaltliche Veränderungswünsche vor. Denn wegen der geografischen Lage ortet der Staatssekretär "eine große Chance" für Graz im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung.

"Es gibt eine Inflation an Filmfestivals in Europa und die Frage ist: wie positionieren wir das?" Ja, wie positioniert man ein Festival, dessen Aufgabe darin besteht, den österreichischen Film in allen seinen Ausformungen zu zeigen und Aktivitäten in diesem Bereich zu fördern? Man plant eine Schwerpunktverlagerung hin zum südosteuropäischen Film. So ist für alle ein bisschen etwas dabei, bei einem Filmfestival, das wohl "nach dem Modell des Bayrischen Filmpreises gestaltet werden soll, mit mehr Stars, mehr Glamour und einem großen Ball", so Dieter Pochlatko (Filmproduzent und Mitglied der Kommission zur Endauswahl der KandidatInnen für die Intendanz). Ein Festival also, bei dem sich Morak endlich wieder "sehen lassen kann" und dem er nicht - wie bei der Diagonale seit dem Jahr 2000 - wegen permanenten Terminkollisionen fernbleiben muss.

Mimose als Mauerblümchen

Die Diagonale genießt nicht nur breite Zustimmung in der Filmbranche selbst, sondern auch beim Publikum. In einer von Amour Fou Filmproduktion verfassten Petition an den Staatssekretär haben zahlreiche Filmschaffende und FilmfreundInnen die massive Kritik an Moraks Vorgehensweise unterstützt sowie ihre Solidarität mit und Zustimmung zu dem Festival und seiner Intendantin bekundet. Wenn evaluiert wird, kann also nur gefragt werden: was eigentlich? Um wirtschaftlich relevante Zahlen und Fakten kann es dabei nicht gehen, oder ist es so leicht zu übersehen, dass die Diagonale seit der Übernahme der Intendanz durch Dollhofer und Wulff die BesucherInnenzahlen von 12.500 auf 24.900 fast verdoppeln konnten?

Nicht einmal mehr die ParteikollegInnen wollen hinter Franz Morak und seinen Neuorientierungsphantasien stehen. Die MitsubventioniererInnen Land Steiermark und Stadt Graz haben sich in der aufgeregten Diskussion um Moraks Personalpolitik vehement für den Verbleib von Dollhofer ausgesprochen. Und wurden ebenso ignoriert. Während Landeshauptfrau Klasnic für einen Ausbau der Diagonale plädierte, empörte sich der ehemalige Grazer Kulturstadtrat Helmut Strobl über "Moraks Performance" auch sehr lapidar und ließ dem Parteifreund ausrichten, dass er ein "Trottel" sei.

Zuckerbrot und Peitsche

Bereits seit seinem Amtsantritt macht Morak den Filmschaffenden die Arbeit schwer. "Schwarzblau I" hatte sich im Regierungsprogramm 2000 ein "Schwerpunktprogramm für den österreichischen Film" verordnet. Seither werden den Filmschaffenden in Österreich zunehmend die Existenzgrundlagen entzogen und mit gelegentlichen Zuckerln Versuche gestartet, für gute Laune zu sorgen.

Nur ein Jahr nach dem Antritt Moraks als Kunststaatssekretär betrug der Bundesförderungsbeitrag an die Filmwirtschaft um 38% weniger als im Jahr zuvor und offenbarte das regierungsseitige Verständnis von "Schwerpunkt" im Zuge ihrer Einsparungspolitik. Besserungswillen demonstrierte Morak nach der parlamentarischen Enquete "Die Zukunft des österreichischen Films im europäischen Kontext" vom 3. Juli 2002. Herausgesprungen sind einmalige Sondersofortmaßnahmen: 2,12 Millionen Euro für das Österreichische Filminstitut (dem erwähnenswerter Weise zuvor das Jahresbudget um 1,2 Millionen Euro gekürzt worden war) und ein 100.000-Euro-Topf im Bundeskanzleramt (kurzerhand auf Kosten anderer Abteilungen errichtet) für zehn Stipendien zu kleinen Filmprojekten. Für mehr als einen kurzen Auftritt in Spendierhosen hat es nicht gereicht, denn dass Filmproduktionen außer Geld zum Beispiel auch relevante Präsentationsmöglichkeiten (apropos Diagonale) und weitere Formen an Strukturförderung - aber nicht die ersatzlose Streichung der Jahressubvention für die Filmcoop Austria, die unter anderem mit ihrem Gerätepool für autonome FilmemacherInnen essentielle Basisarbeit leistet - brauchen, wird offenbar nicht mitbedacht.

Gedacht wird vielmehr an finanzielle Ausstiegsszenarien, um kulturpolitische Verantwortung abzugeben. Die immer glorreiche Idee, die finanziellen Ausfälle des Bundes durch Filmförderprogramme der EU zu ersetzen, wird dabei ebenso wenig ausgelassen wie das gähnende Zitieren des Plans, Anreize für die Bereitstellung von privatem Risikokapital zu schaffen. Allein, zu merken ist von letzterem noch immer nichts, und so bleibt es auch nach wie vor auf der Forderungsliste des Dachverbandes der Filmschaffenden - jedoch parallel zu jener nach nachhaltiger Erhöhung der Bundesfördermittel, und nicht als Gegenvorschlag.

Beim Budget 2003 steigt der Film durch die Einrichtung des Fernsehfilmförderungsfonds in Summe als Gewinner aus. Auf eine Regelung der Mittelverteilung zwischen kommerziellen TV-Produktionen und künstlerisch anspruchsvollem Fernsehfilm wurde allerdings verzichtet. Anstatt die Erfahrung und Kompetenz des Österreichischen Filminstituts zu nutzen, wo über Förderungen eine mehrköpfige Jury entscheidet, obliegt hier die Entscheidungskompetenz einem alleinigen Verantwortlichen in der Rundfunk & Telekom Regulierungs-GmbH.

Projekt- statt Strukturförderung wird auch hier verankert. Die Tendenz, zugunsten von direkten Fördervergaben an Kunst- und Filmprojekte zunehmend auf die finanzielle Unterstützung von Strukturarbeit zu verzichten, um damit mögliche spätere Subventionsansprüche erst gar nicht aufkeimen zu lassen, ist ein Phänomen, das zunehmend zum Leitmotiv zeitgenössischer Kulturpolitik geworden ist. Das verhindert nicht nur unliebsame AnsucherInnen, sondern erleichtert auch die direkte inhaltliche Einflussnahme auf das Kunst- und Kulturgeschehen in Österreich, ohne den lästigen Umweg über Gremien oder Statuten(änderungen) nehmen zu müssen.

Export und Import

Der Ablauf der Ausschreibung und die Schlussrunde der BewerberInnen für die neue Diagonale-Leitung zeigen den Wunsch des Staatssekretärs, "Film nicht nur als Kunst, sondern auch als Wirtschaftsfaktor in diesem Land" zu betrachten, und diesen Gedanken mittels personeller Besetzung in die zukünftige Festivalgestaltung zu tragen. Die Entscheidung für Tillmann Fuchs, der sich bei der erwähnten parlamentarischen Enquete für "das Produkt österreichischer Film" als "Exportartikel" stark gemacht hatte und seinen Redebeitrag auch sonst für Plädoyers für erhöhte Zugänglichkeit zu "verschiedenen Kapitalmöglichkeiten", um den österreichischen Film international konkurrenzfähig zu machen, nutzte, erscheint aus Moraks Position goldrichtig. Als künstlerisches Pendant zu Fuchs fiel die Wahl auf Miroljub Vuckovic (Direktor des Belgrader Filminstitutes), der die von Morak bedungenen fundierten Kenntnisse des mittel- und osteuropäischen Filmschaffens einschließlich des Kulturraumes einbringen soll.

Mit der Entscheidung für dieses Männerduo schreibt Morak einen Weg der Distanzierung von FilmemacherInnen und KünstlerInnen in Österreich fort, den er selbst längst eingeschlagen hat. Ob Vuckovic es schafft, sich in kurzer Zeit nicht nur einen Überblick über die österreichische Filmszene zu verschaffen, sondern für diese auch zum integrativen Faktor zu werden, ist noch abzuwarten. Ebenso unklar ist, welche inhaltlichen und konzeptuellen Ambitionen Fuchs und Vuckovic mit der Diagonale umsetzen möchten. Die denkbar schlechteste Ausgangslage hat Morak den beiden Diagonale-Neulingen persönlich eingebrockt, indem er durch ausgrenzendes Agieren den Unmut der ins Festival Involvierten auf sich und seine hierarchiebetonten Entscheidungsprozesse gezogen hat.

Neu (und daher vielleicht noch ungewohnt) ist nur die zeitliche Verknüpfung von Morakschen Kampfansagen an die Kunst- und Kulturszene mit tagesaktuellen Kunst- und Kulturaktivitäten - wie nicht nur die Diagonale, sondern zuletzt auch die Wiener Festwochen bitter erfahren mussten.

Aber sind die Überraschungseffekte damit nun abgedeckt? Oder dürfen wir schon die Frage stellen: Welches Festival ist als nächstes dran?

1) Ars Electronica
2) Steirischer Herbst
3) Viennale


Claudia Slanar studiert, unterrichtet, archiviert und schreibt in Wien. Daniela Koweindl ist Damenoberbekleidungsmacherin und Studentin der Kunstgeschichte.