Schein oder nicht Schein

Irene Messinger: Schein oder nicht Schein. Konstruktion und Kriminalisierung von „Scheinehen“ in Geschichte und Gegenwart. Wien: Mandelbaum 2012

Das Buch von Irene Messinger basiert auf ihrer Doktorarbeit, die sie 2011 abgeschlossen hat. Die mehrfach ausgezeichnete und fließend lesbar geschriebene Dissertation wurde für das Buch ausführlich überarbeitet, die theoretischen Teile auf das Wesentliche gekürzt und durch Einblicke in die Geschichte ergänzt. Das besondere Verdienst des Buches ist es, die staatlichen Diskurse und Praktiken im Bereich der „Scheinehe“ anhand von vielfältigem Datenmaterial wie Gerichtsakten, behördeninternen Zeitschriften und ExpertInneninterviews mit staatlichen Akteuren kritisch zu analysieren. Dadurch werden die hegemoniale Konstruktion der verdächtigen Gruppen und das zugrunde liegende Verständnis der „normalen Ehe“ dargestellt sowie Formen der Kontrolle und Praktiken der Ermittlung durch die Fremdenpolizei nachgezeichnet. Für eine dynamische Analyse der Prozesse der staatlichen Konstruktion benutzt sie einerseits den diskursanalytischen Ansatz, und andererseits arbeitet sie aus einer feministischen Perspektive mit dem Ansatz der Intersektionalität, um die Herstellung der Achsen der Differenz entlang der Kategorien Geschlecht, Klasse, Ethnizität und Aufenthaltsstatus darzulegen sowie um ihre Überschneidungen und Gleichzeitigkeiten zu erfassen.

Der Autorin gelingt es, zu zeigen, wie die Diskurse der politischen Eliten und FunktionsträgerInnen im Bereich der Migrationspolitik ausschließende Ergebnisse hervorbringen. Dabei schenkt sie einer Vielzahl von Akteuren (Innen- und Justizministerium, Standesamt, Fremdenpolizei, Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörden sowie Bezirksgerichte) ihre Aufmerksamkeit und macht jeweils deren Funktion in der Konstruktion der „Scheinehe“ sichtbar, aber auch Kooperationen sowie Spannungsverhältnisse zwischen den einzelnen Institutionen. Sie zeigt, dass der staatlich-kontrollierende Blick auf bestimmte Personengruppen fokussiert und dies einerseits mit rassistischen Zuschreibungen verknüpft ist, andererseits bestimmte Geschlechterkonstellationen betrifft und klassenspezifische Merkmale aufweist. In einem nächsten Schritt zeigt die Autorin die Funktionalität der diskursiven Konstruktion zum einen über die Kontrollpraktiken der Fremdenpolizei, zum anderen über die Analyse der Gerichtsakte, und legt dar, gegen welche Personengruppen ein Verfahren geführt und wie geurteilt wird.

Das Buch ist aber nicht nur eine kritische Geschichtsschreibung und Analyse der politischen Eliten und FunktionsträgerInnen, sondern es werden auch subversive diskursive Strategien sowie Hinweise auf Praxen der Drittstaatsangehörigen dargestellt, um der Kontrolle zu entgehen. Bei der Definition der Ehe werden Bezüge zu queeren Interventionen dargelegt. In diesem Zusammenhang vermutet die Autorin auf traditionelle Ehevorstellungen basierende moralische Motive und argumentiert, warum die Gesetzgebung und die damit verbundene Praxis andere Ehemotive wie steuerliche Vorteile nicht kriminalisiert. Im Kontext des Migrationsmanagements, das durch die Herstellung unterschiedlicher Kategorien zwischen „gewollter“ und „nicht-gewollter“ Migration selektiv regulieren möchte, erlangt die Konstruktion der „Scheinehe“ ihre Bedeutung: Sie wirkt als Form des institutionalisierten Rassismus und ist einerseits im Kontext des Migrationsregimes zu analysieren. Andererseits sind hier Intersektionen der oben erwähnten Kategorien im Spiel. Der Autorin gelingt es auf 250 Seiten, diese Verknüpfungen und Interdependenzen glaubwürdig darzulegen.

Irene Messinger: Schein oder nicht Schein. Konstruktion und Kriminalisierung von „Scheinehen“ in Geschichte und Gegenwart. Wien: Mandelbaum 2012