VfGH: Ungleichbehandlung von Kunst- und Religionsfreiheit im Lockdown rechtswidrig

Ein kürzlich veröffentlichtes Urteil des Verfassungsgerichtshofs macht erneut deutlich, dass der Stellenwert von Kunst und Kultur von der Regierung regelmäßig verkannt wird. Entschädigungsansprüche für Kulturveranstalter:innen werden sich aus dieser höchstrichterlichen Entscheidung wohl nicht ableiten lassen – dennoch zeugt sie von einer bedauerlichen politischen Realität. 

Schloss vor geschlossenem Fenster

Im Konkreten sah die 5. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung von 22. November 2021 bis 11. Dezember 2021 einen bundesweiten Lockdown vor. Während das Betreten des Kundenbereichs von Kultureinrichtungen in diesem Zeitraum ausnahmslos untersagt war, hat die Regierung entschieden, die gemeinsame Religionsausübung komplett vom Anwendungsbereich der Verordnung auszunehmen. Damit war diese im Gegensatz zu kulturellen Veranstaltungen ohne Einschränkungen erlaubt. Begründet wurde diese Sonderstellung von Kultusministerin Susanne Raab damit, dass den Gläubigen in dieser herausfordernden Zeit Halt gegeben werden soll.

Diese Unterscheidung wurde nun vom Verfassungsgerichtshof für gesetzwidrig erklärt.

Zwar sah der VfGH im Betretungsverbot von Kultureinrichtungen an sich eine geeignete Maßnahme, um Menschenansammlungen zu vermeiden und beurteilte den damit einhergehenden Eingriff in die Kunstfreiheit als verhältnismäßig.

Nicht zulässig war in diesem Zusammenhang allerdings die pauschal formulierte Ausnahme für jegliche religiösen Zusammenkünfte, ohne Unterscheidung, in welcher Form diese stattfinden (ob es sich um Zusammenkünfte im Freien oder in geschlossenen Räumen, Gottesdienste oder sonstige Bräuche handle sowie unabhängig von der Zahl der Teilnehmenden).

Sowohl das Grundrecht der Kunst(vermittlungs-)freiheit (Art. 17a StGG) als auch jenes der freien Religionsausübung (Art. 9 EMRK) wird zu einem wesentlichen Teil in Anwesenheit anderer Menschen ausgeübt. Ein sachlicher Grund, der es rechtfertigen würde, zwischen kulturellen und religiösen Zusammenkünften zu unterscheiden, war laut VfGH nicht gegeben. Die Ungleichbehandlung von Kunst und Religion war somit rechtswidrig. 

Dass augenscheinlich fehlerhafte Verordnungen erst durch den Verfassungsgerichtshof aufgehoben werden müssen, ist bedauerlicher Weise immer öfter politische Realität. 

„Halt in einer herausfordernden Zeit“ haben neben den Kulturschaffenden selbst, auch alle anderen Menschen dringend gebraucht – ganz gleich, woran sie glauben.

Zum Spruch des VfGH in voller Länge:
https://www.vfgh.gv.at/medien/Covid_Kunst_Religion_Grundbeduerfnisse.php