VOLLTEXTKLAU: who carez? Online-Buch-Plattformen zwischen Marketing, Urheberrechtsdebatte und Kunstpraxis.

Seit Einführung der Volltextsuche von Amazon (2003) und der Google-Buchsuche (2004), wird das Recht auf freies Zirkulieren von geistigem Eigentum vermehrt diskutiert. Grund dafür ist der Ausbau lukrativer Geschäftsfelder unter dem Deckmantel von Marketing-Strategien, die das Verschwimmen der Urheberrechte von AutorInnen im Nirgendwo zwischen VerlegerInnen, Vertrieb und Großhandel begünstigen.

Das Internet ist ein reines Textmedium, behaupten manche LiteraturwissenschafterInnen. Der freie Zugang zu Textmaterial im Netz ist die Basis für Demokratie, behauptet die Free-Culture-Bewegung. Das Bereitstellen von Texten ist Marketing, behaupten die globalen InformationshändlerInnen.

Marketing

Seit Einführung der Volltextsuche von Amazon (2003) und der Google-Buchsuche (2004), wird das Recht auf freies Zirkulieren von geistigem Eigentum vermehrt diskutiert. Grund dafür ist der Ausbau lukrativer Geschäftsfelder unter dem Deckmantel von Marketing-Strategien, die das Verschwimmen der Urheberrechte von AutorInnen im Nirgendwo zwischen VerlegerInnen, Vertrieb und Großhandel begünstigen. Bei der Search-Inside-the-Book-Funktion des Online-Buchladens Amazon, auf den ersten Blick recht handzahm, werden ganze Textpassagen aus Büchern zum Stöbern angeboten und sollen zum Kauf animieren. Problematisch bei diesem – durchaus nützlichen – Kundenservice ist mitunter, dass kurze Texte zur Gänze aus Anthologien kopiert werden können und die neuen Nutzungsrechte für so gewonnenes Textmaterial nicht eindeutig geregelt sind. Ähnlich verhält sich die Diskussion um Googles-Buchsuche, die Plattform des ewig guten Such-Optimierens, der ganze Bibliotheksbestände im Akkord scannt und seine Informationshoheit unter dem Motto „Solange niemand was weiß, macht es auch keinen heiß!“ durch bewusste Urheberrechtsverletzungen hält. Neben Google und Amazon, an deren Image schon länger gekratzt wird, entstanden zuletzt ähnliche Digitalisierungsinitiativen wie etwa die Open Content Alliance oder regionale Varianten wie die deutsche Branchenplattform Volltextsuche-Online. Namhafte Partizipienten wie Yahoo!, das Microsoft Network oder Xerox mischen also genauso um das Recht auf das Urheberrecht mit wie große Universitäten und Verlagsverbände.

Urheberrecht

Es sind aber nicht die kommerziellen Info-Broker, die das aktuelle Verständnis um Urheberrechte ins Wanken gebracht haben, sondern die KonsumentInnen im Internet selbst. Mit dem Aufkommen zahlreicher Interaktions- und Publikationsformen wie etwa Peer-to-Peer-Technologien und Tauschplattformen wurden in den vergangenen 15 Jahren Maßnahmen getroffen, „die es dem Individuum erlauben, geistig-kreative und digitalisierte Güter als Ware in Umlauf zu bringen.“ (Nuss 2006: 235) Ursprünglich als warez, illegale Raubkopien von Software, gehandelt, haben sich heute UserInnen-basierte Varianten des Urheberrechtsschutzes entwickelt. Unter dem Schlagwort Copyleft versammeln sich Lizenzvergabesysteme für Software, Musik oder Texte, die zum Ziel haben, einen freien Informationsfluss durch Reglementierung von Seiten des/der eigentlichen Urhebers/in zu gewährleisten. Auf der Startseite der vom Juristen Lawrence Lessig 2001 gegründeten Creative Commons Organization wird beispielsweise mit „Share, reuse, and remix – legally“ geworben und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die Lizenz-Form für ProduzentInnen von geistigen Inhalten wie AutorInnen, WissenschafterInnen und KünstlerInnen eignet. Trotz aller Freiheiten handelt es sich dabei aber weiterhin um eine „extrem dicht verregelte Nutzungsform von einzelnen Privateigentumsrechten.“ (Nuss 2006: 230) Die eigentlichen BesitzerInnen der Urheberrechte verwalten diese auch und definieren ihre Nutzung selbstbestimmt, also auf dem umgekehrten Weg als bisher.

Kunstpraxis

Dass sich alternative Lizenzen mitunter sogar für den Buchhandel als wirtschaftlich praktikabel erweisen, zeigt die Veröffentlichung der Science-Fiction-Romane von Cory Doctorow unter einer Creative Commons Lizenz. Dass das Erstlingswerk des Mitbetreibers von boingboing.net mit dem Titel „Down and Out in the Magic Kingdom“ seit 2003 fast 700.000 mal online konsumiert wurde, tat den Verkaufszahlen der Printausgabe keinen Abbruch – die Erwartungen der Verleger wurden sogar übertroffen. Ein weniger positiv besetztes Beispiel, wie mit der künstlerischen Annäherung an das Raubkopieren von Daten wie Programmen, Filmen, Spielen (appz, moviez und gamez) von offizieller Seite her umgegangen wird, ist Sebastian Lütgerts Literatur-Archiv textz.com. Im Jahr 2004 wurde der Text-Kurator für die Veröffentlichung der beiden Schriften Theodoro W. Adornos „Jargon der Eigentlichkeit“ und „Fascism and Anti-semitic Propaganda“ von der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur auf Schadenersatz verklagt, da sie die Rechte an den Texten hält. Weniger schadvoll erging es im Herbst 2006 der österreichisch-italienischen Künstlergruppe rund um UBERMORGEN.COM. Gemeinsam mit Alessandro Ludovico, dem Herausgeber des Netzkultur-Magazins neural.it, und Paolo Cirio wurde unter dem Titel „Amazon Noir – The Big Book Crime“ der Buchhandelsriese ausgetrickst. Mittels einer speziellen Software, die tausende Suchanfragen an die Search-Inside-the-Book-Funktion stellte, konnten über Monate hinweg ganze Bücher in Einzelteilen heruntergeladen, rekonstruiert und über einschlägige Kommunikationsnetzwerke veröffentlicht werden. Laut eigenen Angaben, einigten sich die Medien/Kunst- Aktivisten über den Verkauf der Software mit Amazon auf eine nicht weiter definierte Summe.

Ob legal, illegal oder auf einer Metaebene, das Spiel mit Information und Urheberrecht im Internet ändert nichts an der Tatsache, dass bestehende Systeme gerade neu definiert werden (müssen).

Literatur
Nuss, Sabine (2006): Copyright & Copyriot. Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum im informationellen Kapitalismus. Münster

Links

MARKETING
Google Buchsuche Deutsch
Search Inside the Book
Open Content Alliance

URHEBERRECHT
Creative Commons
GNU's Not Unix!
Electronic Frontier Foundation

KUNSTPRAXIS
Cory Doctorow
A directory of wonderful things
The Big Book Crime

Franz Thalmair lebt und arbeitet (unter anderem für CONT3XT.NET) in Wien.

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