Vom Wiederholen und wieder holen

Die WienWoche als Plattform für Selbstrepräsentationen von Romni und Roma.

Mit den Projekten Unser Weg – Amaro Drom von Sasa Barbul und Roma Attack von Susita Fink, Simonida Selimovic und Sandra Selimovic nehmen sich Künstler_innen und Aktivist_innen eines breiten Feldes der Aushandlung und Positionierung von Romni und Roma in der österreichischen und europäischen Gesellschaft an. Entsprechend finden sie sich in verschiedenen Programmteilen des von 21. September bis 7. Oktober 2012 ausgetragenen Kulturprojekts WienWoche – unter den Rubriken „Geschichte neu schreiben“ (Unser Weg) und „Agieren“ (Roma Attack) – wieder, was der Breite des durch sie abgedeckten diskursiven Spektrums Rechnung trägt. Bereits die Titel der Projekte verraten ihre unterschiedlichen Foki: Unser Weg verweist auf Formen kollektiver Erinnerung und ist bestrebt, diskursive Auseinandersetzungen innerhalb der Roma-Community zu lancieren. Roma Attack konzentriert sich auf eine aktive Auseinandersetzung mit Stereotypen und Zuschreibungen, die von „außen“ an Roma und Romni herangetragen werden, um diesen durch Irritation, Umdeutung und Provokation – im öffentlichen Raum – zu begegnen.

Ins Bewusstsein rufen und weiter denken

Mit seiner Videoinstallation Unser Weg – Amaro Drom geht es Sasa Barbul darum, eine räumliche – und damit auch inhaltliche – Verknüpfung zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufzuzeigen. Durch drei im Raum verteilte Monitore werden die dokumentarischen bzw. künstlerisch-dokumentarischen Arbeiten Bitte nicht vergessen, Unser Weg und Romanisand miteinander kontextualisiert. Damit wird ein Bogen geschlagen vom Genozid an Romni und Roma während des Faschismus über Erinnerungspraktiken und -politiken hin zur aktuellen Verfolgung in Europa und schließlich zu Gegenbewegungen verschiedener Akteur_innen aus der Community und der Selbstverortung junger Roma und Romni.

Das Stattfinden der Installation im Österreichischen Museum für Volkskunde kann als aktive Einforderung „eigener“ Geschichtsschreibung an etablierten Orten musealer Repräsentation verstanden werden. Der Titel des ersten Films Bitte nicht vergessen bedeutet ein Einfordern, sich die Kontinuitäten vor Augen zu führen. Ähnlich wirkt die Aussage der Hauptprotagonistin des Films Marika Schmiedt, sie wiederhole sich eigentlich permanent, wenn sie durch ihre politische und künstlerische Arbeit auf diese aufmerksam mache. Dies verdeutlicht, wie abhängig eine wache Vergangenheitsaufarbeitung auch in Österreich von engagierten Romni und Roma ist, die diese Zustände reflektiert zu benennen wissen. Doch damit begnügt sich Barbuls Projekt nicht; er bricht die historische Darstellung auf, indem sie als Hintergrund für die Suche nach Wegen dient, ohne den die aktuelle Verfolgung von Roma und Romni und die Schwierigkeiten im Umgang damit kaum verstanden werden kann.

In Unser Weg, der zugleich namensgebend für das gesamte Projekt ist, nimmt Barbul Lebensbedingungen in einem serbischen Roma-Dorf als Ausgangspunkt für die Vorstellung unterschiedlicher Akteur_innen und Strategien, den vielfältigen Ausgrenzungsmechanismen gegen Roma und Romni offensiv zu begegnen.

Ergänzt wird die Installation von der Podiumsdiskussion Amari borba thaj strategija adjes – Unsere Kämpfe und Strategien heute!, wo mit Marika Schmiedt, Gilda Horvath und Suzana Milevska Akteurinnen/Repräsentantinnen/Aktivistinnen aus den Grenzbereichen von Kunst, Kultur, Journalismus und Politik kontrovers diskutierten.

Den Integrationsdiskurs zugrunde performen

Fink, Selimovic und Selimovic inszenieren an drei viel frequentierten öffentlichen Plätzen Wiens Interventionen mit Bezügen zum Agit-Prop-Theater, die die Konfrontation mit einem breiten Spektrum der Bevölkerung suchen. Erste Station ist der Praterstern, wo sich in räumlicher Nähe zur Wiener Wies’n eine Gruppe von Menschen in Wies’n-kompatibler Tracht und Blaskapelle am Eingang zum Bierfest aufhält und „Das Lied von der Ordnung“ anstimmt, in dem die zerstörerische Macht eines auf ausbeuterischer Ordnung basierenden Systems und die selbstzerstörerische Angewohnheit, selbst nach nichts mehr zu streben, als Teil der Ordnung zu sein, besungen wird. Dabei sammelt die Gruppe Spenden für von Abschiebung bedrohte Roma Familien.

Am nächsten Tag wird vor dem Stadioncenter in Anlehnung an Jura Soyfers Stück Astoria die Absurdität repressiver behördlicher Maßregelungen, mit denen sich insbesondere Roma und Romni konfrontiert sehen, in performativer Verfremdung dargestellt. Vor dem Eingang zum Shoppingcenter bildet sich eine Menschenschlange, jedoch nicht um den letzten Sonderangeboten nachzujagen, sondern um an einem Tisch mit der Aufschrift „Magistrat“ ein Visum zu beantragen, um sich von den „Beamt_innen“ mit immer absurderen Ausfällen abwimmeln zu lassen. Am dritten Tag findet sich die Trachtengruppe vom Praterstern in der Mariahilfer Straße ein und spielt bettelnderweise Roma-Lieder für das Wiener Shopping-Publikum. Auf diese Weise spielt Roma Attack jenseits von Diskursen um soziale, ökonomische und kulturelle Integration mit Symbolen und Spielarten des Otherings.

Die verschiedenen Formen, derer sich die Künstler_innen bedienen, verweisen auf die Vielseitigkeit der diskursiven Felder, auf der Roma und Romni sich als Akteur_innen repräsentieren – in Abgrenzung zur Mainstream-Gesellschaft, in Affront gegen diese, in der Reflexion alltäglicher, struktureller, aktueller und historischer Problematiken, durch Zerstörung von oder Streit um Symbole und im Wieder Holen „eigener“ Bilder. Die beiden Projekte ergänzen sich dabei und geben einen Ausblick darauf, wie vielschichtig die Auseinandersetzung sein kann, wenn Involvierte selbst zu Wort und Tat kommen.

Aylin Basaran ist Assistentin und Doktorandin am Schwerpunkt Visuelle Zeit- und Kulturgeschichte am Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien.

Anmerkung

Die beiden Filme Bitte nicht Vergessen (A/SRB 2012) sowie Unser Weg – Amaro Drom (A/SRB, 2012) von Sasa Barbul waren am Do, 17. Jänner 2013 um 20 Uhr im Depot (Breitegasse 3; 1070 Wien) zu sehen.