Von Alpha bis Omega. Lektüren von Ljubomir Bratic' "Antirassistische[n] Lektionen für KünstlerInnen"
Ljubomir Bratic kritisiert die fehlende Reflexion vieler KünstlerInnen, die in ihren Projekten zwar multikulturalistische "Bilder der Repräsentanz" von MigrantInnen entwerfen würden, aber nichts zur "realen Teilnahme" der Diskriminierten am öffentlichen Geschehen beitrügen. Letztendlich würde das nur "den vorherrschenden Rassismus bestätigen".
0. Es fällt schwer, da nicht aufzutrotzen: Viele Jahre nach dem letzten Schultag sehen wir uns als AdressatInnen massiver pädagogischer Bemühungen. Aus einer gewissen Bescheidenheit den eigenen erzieherischen Möglichkeiten gegenüber verzichten wir auf unsere spontane Reaktion Ljubomir Bratic' Artikel gegenüber, auf das Verfassen einer "4. Lektion" (Bratic brummte der hiesigen Kunstszene drei "antirassistische Lektionen" auf), die da hätte lauten können: Es gibt keine Lektion (die wirkt). Wir bescheiden uns dahingehend, Bratic' Text mit verschiedenen Lektüreansätzen und jener Skepsis zu begegnen, die jedem Lehrer/jeder Lehrerin gegenüber angebracht scheint: Denn tatsächlich fehlt (zumindest uns), wenn schon nicht das Alphabet, so doch die Grammatik für antirassistische "Imperative", an die wir glauben könnten. Und was sollte ein solcher "Imperativ" sonst vermögen, als Glauben zu generieren?
Warum fühlen wir uns angesprochen? Und wer ist "uns"? Also, "wir" sind zwei Personen, die im Frühjahr 2003 Teil eines siebenköpfigen Gremiums waren (bestehend aus: Götz Bury, Sule Esdik, Elisabeth Mayerhofer, Katharina Noussi Tedjui-Scheba, Ula Schneider, Wolfgang Schneider, Beatrix Zobl), das die Projekte und Beiträge auswählte, die in der Festivalphase von Soho in Ottakring (24. Mai bis 7. Juni 2003) in leer stehenden und betriebenen Geschäften, Ateliers sowie in öffentlichen und anderen Räumen präsentiert wurden. Die Einsetzung eines solchen Auswahlverfahrens war eine Novität für Soho. Das Projekt wurde in den fünf Jahren seines Bestehens immer größer, die zunehmende Zahl an Beteiligungswilligen machte das informelle Bearbeiten der Anfragen für Ula Schneider unbewältigbar. Zugleich mit der Einführung des beratenden Gremiums (die Letztentscheidung blieb bei der Initiatorin) konzipierte sie gemeinsam mit Beatrix Zobl einen Relaunch des Projekts: Kontextbezogene Projekte und partizipative Ansätze sollten gestärkt werden, das Gesamtprojekt Soho in Ottakring verstärkte seine Positionierung als engagiertes und kritisches Public Art Projekt. Diese Ziele bilden den Hintergrund für Bratic' vernichtenden Rückblick auf das Projekt. Da er speziell die Mitglieder des Gremiums als (Mit)Verantwortliche nennt, fühlen wir uns angesprochen, sprechen aber als Einzelpersonen und nicht im Namen des gesamten Gremiums.
1. [gut, besser, Künstler/in: Die Sonderrolle]
Ljubomir Bratic kritisiert die fehlende Reflexion vieler KünstlerInnen, die in ihren Projekten zwar multikulturalistische "Bilder der Repräsentanz" von MigrantInnen entwerfen würden, aber nichts zur "realen Teilnahme" der Diskriminierten am öffentlichen Geschehen beitrügen. Letztendlich würde das nur "den vorherrschenden Rassismus bestätigen". Da Bratic keine Beispiele anführt (was vermutlich richtig ist, da jedes Beispiel zu einer Verstrickung in kausale Erklärungsketten einlädt), bleiben auch wir auf einer allgemeineren Ebene: In vielem ist der Kritik zuzustimmen. Tatsächlich fällt KünstlerInnen der Schritt zur "Wirksamkeit" ihrer Projekte äußerst schwer, eine die gesellschaftlichen Bedingungen reflektierende und dennoch aktivistische Ansprüche einlösende Kunst ist die große Ausnahme. Das liegt zum Teil an der historisch gewachsenen Beziehung "KünstlerInnen - Gesellschaft", die als ein Gegengeschäft "Sonderrolle mit zahlreichen ‚Freiheiten' versus Verzicht auf politische Auswirkungen" umschrieben werden könnte. KünstlerInnen sind dabei immer nur "als ob" politisch, ihre Funktion ist oft die eines Ventils für vergebliche Wünsche, einer Ausgleichskammer frustrierender Arbeits- und Daseinsverhältnisse.
Zum größeren Teil betrifft Bratic' Feststellung aber die allgemeine Ratlosigkeit bezüglich wirksamer "alternativer" politischer Maßnahmen, ganz gleichgültig, ob es sich um Kunst handelt oder nicht. Genau da scheinen die Hoffnungen von Ljubomir Bratic aber interessanter Weise auf "den KünstlerInnen" zu liegen. Die Enttäuschung am "Multi-Kulti-Toleranz-Geschwafel-Film", als den Bratic Soho in Ottakring erlebte, liegt in seinem Text eng verknüpft mit der "Bedeutung dessen, was ich erwartet habe und was nicht eingetroffen ist". In dieser enttäuschten Erwartung zeichnet sich das Modell von KünstlerInnen als besseren Menschen ab - bloß: Es gibt in diesem Feld Informationsdefizite wie anderswo auch. KünstlerInnen sind nicht per definitionem politisch besser informiert und müssen schon gar nicht ethisch-moralisch "besser" handeln. Sie laufen genauso in den erstbesten "Fehler" hinein wie jede/r Ottakringer Kleingewerbetreibende oder KommunalpolitikerIn auch. Trotz unserer Skepsis dem praktischen Vermögen der KünstlerInnen gegenüber sehen wir aber genauso wie Bratic Kunst als das Feld, in dem Antagonismen "aufeinander treffen" und im besten Fall fruchtbar gemacht werden können.
2. [Kunst als ethisch-moralisches Vehikel]
Aufgrund des bereits erwähnten "Gegengeschäfts" zwischen Kunst und Gesellschaft werden ersterer immer wieder bestimmte Funktionen zugeschrieben, wobei sich viele an dem Zauberwort der "Distanz" festmachen. Übereinstimmend mit Adorno fordert Bratic von der Kunst, dass sie eine reflexive Distanz zu den "sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bedingungen", unter denen sie entsteht, einnimmt. Die wahre Autonomie der Kunst wird als Widerstand gegen hegemoniale Einstellungen gesehen. Leider ist dem nicht so. Kunst ist nicht jener erhoffte Ort des Gegendiskurses, jener U-Topos, an dem all das stattfindet, was in anderen Bereichen der Gesellschaft nicht möglich ist. Dass dieser Gegendiskurs im Kunstfeld stattfinden kann, sei hier nicht bestritten. Dies jedoch als verbindliche Norm vorzuschreiben, möchten wir ablehnen, nicht zuletzt aus grundsätzlicher Skepsis gegenüber normativen Festschreibungen, die die Funktionen von Kunst vorgeben wollen.
3. [Modell "Antirassistische KünstlerIn"]
Was im Text von Bratic irritiert, ist nur zum einen der belehrende Ton. Statt allzugroße Empfindlichkeit an den Tag zu legen, sollten wir uns ja grundsätzlich freuen, wenn sich jemand die Mühe macht, unsere Arbeit zu kritisieren. Es ist vor allem der normative Zugang zur antirassistischen Kunst, der irritiert. Lektion 3 konfrontiert uns mit sechs "Imperativen", die die Voraussetzungen antirassistischer Kunstprojekte betreffen. "Wer diese ignoriert, handelt nicht antirassistisch und hilft, trotz gegenteiliger Beteuerungen, nur sich selbst", so Bratic. Das mit den Imperativen kann aus unserer Sicht aber nicht gut gehen. Und zwar nicht, weil wir die "Autonomie" der Kunst als l'art pour l'art, entkoppelt von den gesellschaftlichen Bedingungen, verstehen wollen. Sondern weil wir, ganz mit Bratic, Kunst trotz allem als Ort der möglichen Auseinandersetzung sehen, einen Ort, "wo Antagonismen aufeinandertreffen und wo neue Bezüge entstehen". Das kann aber nur funktionieren, wenn nicht von vornherein Spielregeln aufgestellt werden, wie gut (gemeint) sie auch sein mögen. Dass diese "Regelfreiheit" in den allermeisten Fällen zu einem Rückfall in unbewusste Verhaltensmuster führt, liegt auf der Hand, aber immerhin, die Chance war dann da. Das Aufstellen von Regeln kann nur in einem Akt des Sich-Höher-Stellens geschehen, der die Regeln setzende Person aus dem Konfrontationsraum enthebt. In diesem Sinn waren wir als Mitglieder des beratenden Gremiums von Soho in Ottakring auch nicht bereit, solche Parameter anzulegen, in diesem (moralischen) Sinn wollten wir nicht kuratieren. Dass dem Gremium in praktischer Hinsicht Fehlentscheidungen passiert sind, wollen wir damit nicht bestreiten. Das ist aber eine andere Geschichte.
4. [Gruppenbildungen]
Was zum anderen irritiert, ist die Art und Weise, wie eine außen stehende Person (wir erlauben uns aus dem Text abzuleiten, dass sich Ljubomir Bratic nicht als Künstler definiert) eine homogene Gruppe, in diesem Fall die "KünstlerInnen" konstruiert. Dies geschieht über Zuschreibungen, die sich aus Beobachtungen ergeben und vorwiegend Defizite beschreiben. Einmal konstruiert, wird diese Gruppe sogleich belehrt und mit Anweisungen ausgestattet, wie sie die ihr zugewiesenen gesellschaftlichen Funktionen besser erfüllen kann. Die Spiegelung an einer anderen, ebenso homogenen Gruppe, den "MigrantInnen", stützt die ganze Konstruktion. Hie multikultinaive mehrheitsösterreichische KünstlerInnen, da unrepräsentierbare/unrepräsentierte MigrantInnen. Dieser Mechanismus erinnert an rassisierende Vorgangsweisen. Und gerade Bratic weiß, dass derartig einfache Rechnungen weder aufgehen noch bestehende Diskurse aufbrechen oder neue initiieren, sondern dichotome Pattsituationen festschreiben.
[2005]
Abschließend noch eine Anmerkung zu Ljubomir Bratic' Spekulation über die Zukunft von Soho in Ottakring: Dieses wird nicht "nach den Regeln der Überbietung nächstes Jahr in ein noch größeres Spektakel münden". Ula Schneider hat beschlossen, die Präsentationsphase des Projekts in Zukunft zweijährig abzuhalten. Dies soll helfen, Planung, Recherche und Kooperationen weiter vertiefen zu können. Es wäre schön, wenn Ljubomir Bratic bereit wäre, seine "Alphabetisierungskampagne im Kunstfeld" in diese Prozesse einzubringen, ganz im Sinn der "Ermöglichung von Allianzen". Das nächste "Spektakel" gibt es 2005.
Ljubomir Bratic' sechs Imperative für antirassistische Kunstprojekte: a) Destruktion der Normalität, b) Offenlegung der rassistischen Asymmetrien, c) Vorantreiben der Egaliberté, d) Ermöglichung von Allianzen, e) Positionierung und Inszenierung von Konflikten, f) Schaffung von Räumen für (Self) Empowerment
Elisabeth Mayerhofer ist freie Wissenschaftlerin. Wolfgang Schneider ist Künstler mit Schwerpunkt Kunst im öffentlichen/sozialen Raum und ihre Auswirkung auf KünstlerInnenbilder