VorRisse
Österreich im Oktober 2006: Das Umgehen eines Gespensts ist zu vermelden, mit dessen plötzlicher Wiederkehr wohl kaum jemand gerechnet hatte. Der Anlass aber, der die amtierende Innenministerin das Phantom einer „urkommunistischen Forderung“ heraufbeschwören lässt, überraschte nicht minder. Sind es doch weder Pläne zur Einführung einer Vermögenssteuer noch gar solche zur Wiederverstaatlichung der Voest, sondern das von einem Salzburger SPÖ-Landesrat ersonnene Modell einer Grundsicherung nach dem Vorbild Hartz IV.
Österreich im Oktober 2006: Das Umgehen eines Gespensts ist zu vermelden, mit dessen plötzlicher Wiederkehr wohl kaum jemand gerechnet hatte. Der Anlass aber, der die amtierende Innenministerin das Phantom einer „urkommunistischen Forderung“ heraufbeschwören lässt, überraschte nicht minder. Sind es doch weder Pläne zur Einführung einer Vermögenssteuer noch gar solche zur Wiederverstaatlichung der Voest, sondern das von einem Salzburger SPÖ-Landesrat ersonnene (oder vielleicht doch bloß ersponnene?) Modell einer Grundsicherung nach dem Vorbild Hartz IV. Letzterer jedoch, der großen Worte ebenso wenig verlegen, kontert den Angriff postwendend mit der Feststellung, eine solche Forderung sei ihrem Wesen nach gänzlich anderer, nämlich „urchristlicher“ Natur.
Mittlerweile freilich dürfte auch den Letzten klar geworden sein, dass das ominöse Modell zwar dem Landesrat zu einem Platz auf der Regierungsbank, den Ideen von Jesus Christus aber ebenso wenig wie jenen von Karl Marx zum Durchbruch verholfen hat. Deutlich gemacht allerdings hat das Scheingefecht auch einmal mehr, dass Sozialpolitik zuvorderst ein ideologischer Kampfplatz ist, auf dem mit Vorliebe die harten Geschosse der Werte und Normen in Anschlag gebracht werden. Hinter dem Nebel des rhetorischen Schlachtengetümmels aber versteckt sich eine der größten Politbaustellen der Gegenwart. Das Vorhaben: Die Realisierung einer neuen Architektur des Sozialstaats – und da wollen natürlich alle kräftig mitmischen: die neoliberalen UtopistInnen eines soziapolitisch entschlankten Staates, die neokonservativen PredigerInnen eines neuen Paternalismus und eben auch die Third Way-SozialdemokratInnen mit ihren Visionen von Sozialinvestition und Aktivierung. Nur auf der Linken dominiert nach wie vor die Defensivstrategie. Dabei ist eine solche, wie Heinz Steinert es im einleitenden Beitrag zur vorliegenden Ausgabe der Kulturrisse formuliert, „schon die halbe Niederlage“. Das von ihm skizzierte Modell einer Sozialen Infrastruktur repräsentiert dabei ebenso wie das von Gabriele Michalitsch dargestellte Konzept des Bedingungslosen Grundeinkommens und das von Thomas Seibert diskutierte Schlagwort der Globalen Sozialen Rechte einen möglichen Ansatz zur Überwindung reiner Defensivpositionen. Dass aber auch diese – im Sinne einer Verteidigung und Universalisierung bereits erkämpfter sozialer Rechte – unabdingbar sind, macht Jehieli Fernandez Covarrubias in ihrem Artikel zur mangelhaften sozialen Absicherung von MigrantInnen mit prekärem Aufenthaltsstatus deutlich.
Um einen der zentralsten Schauplätze des aktuellen Sozialstaatsumbaus, nämlich um die Reform der Pensionsversicherungssysteme, geht es in der Folge in den Texten von Zafer Yılmaz und Elisabeth Mayerhofer. Während ersterer das Thema im Kontext der neoliberalen „Neuerfindung“ des Sozialen in semiperipheren Staaten wie der Türkei behandelt, exemplifiziert letztere es anhand eines besonders skurrilen Modells privater Altersvorsorge namens Artist Pension Trust. Die beiden den Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe abrundenden Beiträge schließlich widmen sich – anlässlich aktueller „Reform“-Initiativen in Österreich bzw. Frankreich – der Frage der sozialen Absicherung von künstlerischer und Kulturarbeit. Sowohl der Text Daniela Koweindls als auch jener Antonella Corsanis verweist dabei auf die Notwendigkeit eines Um- und Ausbaus der bestehenden Sicherungssysteme. Denn weder waren die wohlfahrtsstaatlichen Regime der Nachkriegszeit makellos, noch sind diese aktuellen Herausforderungen wie der Transformation von Geschlechter-, Migrations- und Arbeitsverhältnissen gewachsen. Die Art und Weise ihres Umbaus aber wird nicht, wie ein zentrales Element sozialpolitischer Rhetorik unterstellt, von (fiskalischen, demographischen usw.) Sachzwängen diktiert, sondern bleibt, wie die Beiträge der aktuellen Kulturrisse-Ausgabe zeigen, auch weiterhin auf gesellschaftliche Kräfteverhältnisse bezogen und muss mithin politisch durchgesetzt – oder eben verhindert werden