VorRisse
In seiner Ansprache zur Eröffnung der IG Kultur-Konferenz sektor3/kultur vor zwei Jahren verwies der Soziologe Pierre Bourdieu auf die besondere Bedeutung der Gewerkschaften bei der Formierung einer Gegenmacht gegen die fortschreitende neoliberale Globalisierung und bezeichnete Österreich als "Vorreiter des sozialen Europas".
In seiner Ansprache zur Eröffnung der IG Kultur-Konferenz sektor3/kultur vor zwei Jahren verwies der Soziologe Pierre Bourdieu auf die besondere Bedeutung der Gewerkschaften bei der Formierung einer Gegenmacht gegen die fortschreitende neoliberale Globalisierung und bezeichnete Österreich als "Vorreiter des sozialen Europas". Der damals schon paradox gemeinte Vorstoß, der seine Hoffnung auf einen von Österreich sich ausbreitenden Widerstand setzte, hat sich vor allem in seinem betonten Bezug auf die Gewerkschaften völlig ad absurdum geführt. Dem Vormarsch der radikalen Rechtspopulismen in ganz Europa wurde in anderen Ländern wenigstens gewerkschaftlich einigermaßen massiv entgegnet, in Österreich erwiesen sich die Gewerkschaften nicht einmal als Papier-Tiger. Wenn die Kulturrisse also Anfang 2001 ein Land ohne Opposition konstatierten, dann ist der Schwerpunkt des vorliegenden Hefts der Superlativ dazu: Schwerwiegendere Nieten als die parlamentarischen Oppositionsparteien waren in Sachen Widerstand gegen die Rechtsruck-Regierung wirklich nur der ÖGB und seine Strukturen.
Nach einer Einführung Oliver Marcharts ins gewerkschaftliche Allgemein-Versagen finden Sie in diesem Heft spezifische Beiträge zum Versagen der Betriebsräte (Martin Birkner), zum Versagen der Kunstgewerkschaft (Gerhard Ruiss) und zum Versagen der (ÖGB-)Organisationsentwicklung (Melina Klaus). Abschließend - und durchaus im Sinne des ironisch-appellativen Hefttitels "Guten Morgen, Gewerkschaft” - eine etwas versöhnlichere Beschwörung der Gewerkschaft als Notbremse von Burghart Schmidt, die - symptomatisch - allerdings auf die Bildproduktion des 19. Jahrhunderts zurückgreifen muss.
Der zweite Schwerpunkt im hinteren Teil des Heftes geht auf eine Veranstaltung des eipcp zurück, die Anfang Mai in der Linzer Stadtwerkstatt stattfand: Die Beiträge zu hybrid?resistance versammeln erstens kritische Texte zum Begriff der Hybridität im Kontext von (nicht nur) künstlerischen Widerstandsformen. Andererseits versucht hybrid?resistance ganz konkret solche Widerstandsformen zu thematisieren und theoretisieren, die sich weniger als hybrid im vagen Sinne von vermischt verstehen, als sich einer - wie auch immer gearteten - Kategorisierung als rein künstlerisch, rein politisch, aber auch hybrid oder grenzüberschreitend grundsätzlich verweigern: VolxTheaterKarawane, Pink-Silver-Block oder "Grenzcamps" sind ephemere Praxen, die versuchen, genau jene Grenzen sichtbar zu machen und zu verschieben oder aufzubrechen, die der Begriff der Hybridität verwischt...