VorRisse

Geert Wilders „Partei für die Freiheit“ machte es bei den niederländischen Parlamentswahlen im Juni 2010 vor; Jimmie Åkessons „Schwedendemokraten“ zeigten bei den Reichstagswahlen im September, dass es auch in Schweden funktioniert; und Heinz-Christian Straches FPÖ punktete damit bei den Wien-Wahlen im Oktober: Immer mehr Parteien der extremen Rechten stellen aktuell unter Beweis, dass mit antimuslimischem Rassismus Wahlen zu gewinnen sind.

Geert Wilders „Partei für die Freiheit“ machte es bei den niederländischen Parlamentswahlen im Juni 2010 vor; Jimmie Åkessons „Schwedendemokraten“ zeigten bei den Reichstagswahlen im September, dass es auch in Schweden funktioniert; und Heinz-Christian Straches FPÖ punktete damit bei den Wien-Wahlen im Oktober: Immer mehr Parteien der extremen Rechten stellen aktuell unter Beweis, dass mit antimuslimischem Rassismus Wahlen zu gewinnen sind. Doch auch in der viel bemühten „Mitte der Gesellschaft“ ist das Phänomen längst angekommen, wie die infolge der Wien-Wahl hierzulande vom Zaun gebrochene „Integrationsdebatte“ in geradezu beängstigender Weise vor Augen führte.

Die Kulturrisse nehmen diese Ereignisse zum Anlass, um den letzten Heftschwerpunkt des Jahres 2010 dem Thema zu widmen. Ilka Eickhof führt dabei in ihrem einleitenden Beitrag aus, inwiefern wir gegenwärtig mit der Konjunktur einer spezifisch auf MuslimInnen bezogenen Form des Rassismus konfrontiert sind und was der Begriff des „antimuslimischen Rassismus“ taugt, um dieses Phänomen zu erfassen. Vassilis Tsianos konstatiert im Anschluss daran ausgehend von einer Auseinandersetzung mit Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ eine aktuell sich vollziehende Transformation des Rassismus in Richtung eines „postliberalen Rassismus“, den er u. a. durch das Markenzeichen eines „postpolitischen Tabubruchs mittels antimuslimischer Rhetorik“ gekennzeichnet sieht. Stefanie Mayer beschäftigt sich in der Folge auf der Basis feministischer Debatten mit den Ambivalenzen eines Engagements gegen antimuslimischen Rassismus, die ihres Erachtens nicht im Sinne schlichter „Entweder-oder“-Logiken aufzulösen sind.

Fanny Müller-Uri und Ljubomir Bratić setzen sich in ihren Beiträgen im zweiten Teil der Ausgabe mit Entwicklungen im Bereich des antimuslimischen Rassismus in Österreich auseinander: Während Müller-Uri einen groben Überblick über die geschichtlichen Wandlungsprozesse des Phänomens gibt, fokussiert Bratić anhand einer Auseinandersetzung mit aktuellen Wahlkampfstrategien der FPÖ auf seine derzeitige Erscheinungsform. In den beiden den Heftschwerpunkt abrundenden Artikeln werden in der Folge Entwicklungen des antimuslimischen Rassismus in anderen EUropäischen Staaten beleuchtet. Die Gruppe Soziale Kämpfe aus Berlin analysiert dabei, wie vor dem Hintergrund der aktuellen Krise und ihrer staatlichen Bearbeitungsformen in Deutschland die Kulturalisierung v. a. sozialer Ungleichheiten qua antimuslimischem Rassismus vorangetrieben wird. Evgenia Ivanova schließlich untersucht, welche Rolle der antimuslimische Rassismus gegenwärtig in den Beziehungsdynamiken zwischen Mehrheitsbevölkerung und muslimischer Minderheit in Bulgarien spielt.

Antimuslimischer Rassismus ist, wie die Beiträge des Heftschwerpunkts deutlich machen, ein ideologisches Projekt, in das ganz unterschiedliche gesellschaftliche AkteurInnen mit zum Teil widersprüchlichen Motivationen involviert sind. Exemplarisch verdeutlicht wurde dies in den letzten Jahren bei den Aktionen der „Bürgerinitiative Dammstraße“ gegen den Ausbau eines islamischen Zentrums in Wien-Brigittenau, bei denen wiederholt militante Neonazis auf sogenannte „besorgte BürgerInnen“ trafen. Diese Widersprüche, aber auch jene innerhalb der sich gegen solche Aktionen formierenden Protestbündnisse sind wohl zentrale Gründe dafür, warum die Formulierung politisch-antirassistischer Positionen gegen antimuslimischen Rassismus bis heute vielfach schwer fällt. An der folgenden Notwendigkeit führt jedoch kein Weg vorbei: dass nämlich Rassismus in all seinen Erscheinungsformen zu bekämpfen ist – und dass mithin auch jede wirklich kritische Auseinandersetzung mit reaktionären politischen Positionen oder sozialen Praktiken, die sich auf „den Islam“ berufen mögen, zur unumgehbaren Voraussetzung hat, dass sie sich anderer als rassistischer Kategorien bedient.