VorRisse

Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass die für Grundrechtsfragen zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding für mediale Aufregung sorgte, weil sie es gewagt hatte, Frankreich wegen einer Verletzung des Grundsatzes des freien Personenverkehrs zu rügen. Anlass war die Abschiebung von EU-BürgerInnen, deren „Delikt“ offenbar darin bestand, seitens der französischen Behörden als Roma identifiziert worden zu sein.

Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass die für Grundrechtsfragen zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding für mediale Aufregung sorgte, weil sie es gewagt hatte, Frankreich wegen einer Verletzung des Grundsatzes des freien Personenverkehrs zu rügen. Anlass war die Abschiebung von EU-BürgerInnen, deren „Delikt“ offenbar darin bestand, seitens der französischen Behörden als Roma identifiziert worden zu sein. Bilder wie jene von den zerstörten Roma-Siedlungen im Sommer 2010 in Frankreich gingen seitdem tausendfach durch die Medien; auf vernehmbaren Widerspruch wie den von Reding formulierten stießen sie indes selten. Dabei markieren solche medial vermittelten Bilder nur den sichtbarsten Ausdruck einer Form des Rassismus, die spezifisch auf Roma und andere als „Zigeuner“ adressierte Gruppen wie etwa Jenische gerichtet ist. In wissenschaftlichen und politischen Zusammenhängen hat sich für diese Form des Rassismus der – wenn auch nicht unumstrittene – Begriff des „Antiziganismus“ etabliert.

Markus End setzt sich in seinem einleitenden Beitrag zum Heftschwerpunkt mit unterschiedlichen Dimensionen des mit diesem Begriff gefassten Phänomens auseinander. Anhand einer Analyse des „Nicht-Identitären“ und „Parasitären“ als zentrale Sinngehalte des Antiziganismus legt er dar, inwiefern es sich dabei um ein eng mit der Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft verknüpftes Ressentiment handelt. Erika Thurner beschäftigt sich in der Folge mit antiziganistischen Traditionslinien in der jüngeren Geschichte Österreichs. Mit Fokus auf die Zeit des Nationalsozialismus sowie auf Fragen der (verzögerten) Entschädigung macht sie dabei auf Kontinuitäten und Brüche im politischen Umgang mit der Roma-Minderheit aufmerksam. Die abschließend von Thurner konstatierte Aktualität des Phänomens manifestierte sich in besonders krasser Form zuletzt in pogromartigen Ausschreitungen gegen Roma im Herbst 2011 in Bulgarien. Diese nimmt Elana Resnick zum Ausgangspunkt für eine grundlegende Auseinandersetzung mit der Roma-Feindlichkeit im post-sozialistischen Bulgarien.

In den beiden abschließenden Beiträgen zum Heftschwerpunkt rücken alsdann verstärkt Fragen nach möglichen Perspektiven des Widerstands in den Fokus. Vor dem Hintergrund einer Vorstellung von Roma als TrägerInnen einer inhärent kosmopolitischen Perspektive schlägt Teodora Tabacki dabei vor, weniger das Einfordern gleicher Rechte, denn vielmehr die Anerkennung einer universellen MigrantInnenlage als Fluchtpunkt von Emanzipationsbestrebungen zu wählen. Inwiefern bereits der Kampf von Roma um eine Anerkennung als „normale Menschen“ vor dem Hintergrund bestehender Herrschaftsverhältnisse  ein schwieriger ist, erläutert im Anschluss daran Ljubomir Bratic. Mit dieser auf Prozesse der Selbstorganisation von Roma fokussierenden Frage greift er dabei ein Thema auf, das in einer der kommenden Kulturrisse-Ausgaben vertieft werden soll.

Der vorliegende Heftschwerpunkt erscheint im Rahmen des antirassistischen EU-Kultur-Kooperationsprojekts Romanistan. Crossing Spaces in Europe, das von mehreren europäischen Roma-Organisationen gemeinsam mit der IG Kultur Österreich getragen wird. Der Fokus dieses von Juni 2011 bis Mai 2013 laufenden Projekts liegt auf einer Ent-Exotisierung von Roma-Kulturarbeit und auf der Analyse des Potenzials kultureller Produktion als konkreter Intervention. Verstärkt publizistisch begleitet werden soll besagte Unternehmung während dieser Zeit auch in den Kulturrissen. Die Notwendigkeit dafür ergibt sich nicht zuletzt aus den auch hierzulande bestehenden Kontinuitäten des Antiziganismus. Obgleich nicht immer in solch mörderischer Form wie beim Rohrbomben-Anschlag 1995 in Oberwart wirkt dieser bis heute auf vielfältige Art und Weise fort. Die ihre antiziganistische Prägung häufig nur halbherzig übertünchenden Debatten um sogenannte „Bettelverbote“, wie sie aktuell vielerorts in Österreich geführt werden, können hierfür als Indizien dienen.