Warum die Linke einen politischen Gegner braucht und keinen moralischen Feind

Was sind die Gründe für denMangel an einer überzeugenden Alternative zum "Austro-Thatcherismus"? Ohne Zweifel ist er teilweise den Versäumnissen der SPÖ und der Grünen zuzuschreiben. Aber das kann nicht die ganze Antwort sein.

Ein Jahr, nachdem sie an die Macht kam, und ungeachtet der weitreichenden Reaktionen, die sie hervorrief, scheint es wahrscheinlich, dass die ÖVP/FPÖ-Koalition imstande sein wird, bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt zu bleiben. Und wenn irgendetwas zur Widerlegung dieser Vorhersage führt, dann eher ein Streit innerhalb der Koalition als die Stärke der Opposition. Den neoliberalen Maßnahmen, mit deren Einführung die neue Regierung begonnen hat, konnten weder die SPÖ noch die Grünen eine glaubwürdige gegenhegemoniale Offensive entgegensetzen.

Was sind die Gründe für diesen Mangel an einer überzeugenden Alternative zum "Austro-Thatcherismus"? Ohne Zweifel ist er teilweise den Versäumnissen der SPÖ und der Grünen zuzuschreiben. Aber das kann nicht die ganze Antwort sein; die österreichische Situation muss im Kontext der europäischen Linken untersucht werden. Ohne ihre Verantwortung abzustreiten, ist es klar, dass die Unfähigkeit, eine glaubhafte Alternative zur neoliberalen Offensive anzubieten, eine Schwäche ist, die die österreichische Linke mit den anderen linksgerichteten Parteien in Europa teilt. Das Problem ist ein generelles, seine Ursachen wollen genau geprüft sein. Um eine Erklärung für die aktuelle Unfähigkeit der Linken zu finden, den hegemonialen Neoliberalismus herauszufordern, ist es notwendig, genau zu erfassen, wie tiefgreifend der Kollaps des Kommunismus die Dynamik demokratischer Politik verändert hat.

Wie Norberto Bobbio schon im Juni 1989 in La Stampa herausgearbeitet hat, bedeutete die Krise des Kommunismus eine wirkliche Herausforderung für die Wohlstandsdemokratien. Würden sie imstande sein, die Probleme zu lösen, die das alte System zu lösen sich als untauglich herausgestellt hatte? Seiner Meinung nach war es gefährlich zu glauben, die Niederlage des Kommunismus hätte der Armut und dem Verlangen nach Gerechtigkeit ein Ende gesetzt. "Die Demokratie", schrieb er, "ist anerkannterweise Sieger geblieben im Kampf gegen den historischen Kommunismus. Aber welche Ressourcen und Ideale besitzt sie, mit denen sie jenen Problemen entgegentreten könnte, die die kommunistische Herausforderung entstehen ließen?"

Untersuchen wir zehn Jahre später, was die Antwort der Demokratie auf diese Herausforderung war, so gibt es wenig Grund, optimistisch zu sein. Die Sozialdemokratie, weit entfernt von einem Sieg über den alten Gegner, ist tief angeschlagen in ihrer Identität. Sicher, heute sind weitaus mehr sozialdemokratische Parteien an der Macht als damals, aber die Art von Politik, die sie eingeführt haben, kann kaum als "links" bezeichnet werden. In Wahrheit bewegen sie sich kontinuierlich nach rechts, während sie sich euphemistischerweise als "Mitte-links" bezeichnen. Hinter dem Anspruch, die Sozialdemokratie zu modernisieren, geben "Dritter Weg" und "Neue Mitte" den Kampf um Gleichheit preis, der immer den Kern sozialdemokratischer Programme dargestellt hat. Wir könnten fast sagen, sie sind am Weg, das linke Projekt insgesamt zu liquidieren. Ohne Zweifel war also die Folge der Krise des Kommunismus eine Stärkung und Ausweitung der neoliberalen Hegemonie.

Das deutet darauf hin, dass tatsächlich eine große demokratiepolitische Chance ausgelassen wurde. 1989 bestand die Möglichkeit, eine ernsthafte Auseinandersetzung über das Wesen demokratischer Politik zu beginnen, in gewisser Weise entlastet von der Hypothek, die das kommunistische System davor dargestellt hatte. Das war die Zeit, eine Demokratie nicht einfach nur negativ zu entwerfen und in Opposition zu dem, was sie nicht war, also zum Kommunismus. Es gab die reelle Chance einer Radikalisierung des demokratischen Projekts, weil die alten politischen Grenzen gefallen waren und in einer progressiveren Weise neu entworfen werden hätten können.

Was geschah, war das Gegenteil. Was wir hörten, waren Diskurse über "das Ende der Geschichte", das Verschwinden des Antagonismus, und die Möglichkeit einer Politik ohne Grenzen, ohne ein "sie"; eine "win-win"-Politik, in der Lösungen gefunden würden, die jedeN einzelneN in der Gesellschaft begünstigten. Heute argumentieren Sozialwissenschafter wie Anthony Giddens und Ulrich Beck, dass mit dem Ende des Kommunismus und mit der sozio-ökonomischen Transformation der Gesellschaft durch die Entwicklung zur globalen Informationsgesellschaft das Modell der politischen Gegnerschaft obsolet geworden wäre und wir eine Politik "jenseits von links und rechts" benötigten, eine Politik, die nicht mehr um soziale Unterschiede strukturiert ist, eine Politik ohne die Opposition von "wir" und "sie".

Dieser "post-politische" Diskurs wird begleitet von der Forcierung humanitärer Kreuzzüge, ethisch korrekten "good causes" und dem zunehmenden Vertrauen auf die Justiz in Bezug auf politische Fragen. All das weist hin auf den Triumph eines moralisierenden Liberalismus, der vorgibt, das Politische wäre ausradiert worden, die Gesellschaft könnte nun durch rationale moralische Prozeduren regiert, Konflikte durch unparteiische Gerichte gelöst werden. Das ist der Höhepunkt einer Tendenz, die in den Kern des Liberalismus eingeschrieben ist, der wegen seiner grundlegenden Untauglichkeit zum Denken in wirklich politischen Begriffen ständig auf andere Diskurstypen zurückgreifen muss: das Ökonomische, das Moralische, das Juristische.

Wie auch immer: die Unfähigkeit des Liberalismus, politische Antagonismen anzuerkennen, bringt diese nicht zum Verschwinden. Ungeachtet heutiger Schlüsselbegriffe wie "good governance" oder "unparteiische Demokratie" ist keine Politik möglich ohne die Setzung von Grenzen. Der demokratische Konsens, verkündigt von all jenen, die die "Mitte" feiern, kann nicht ohne Definition eines Außen entstehen, das gerade durch seinen Ausschluß die Identität und Kohärenz innen sichert. Daher die Notwendigkeit der Definition eines "sie", dessen Existenz die Einheit des demokratischen "wir" ermöglicht. Wenn aber das Politische nicht in Hinblick auf Gegnerschaft gedacht werden kann, kann dieses "sie" nicht mehr als politischer Gegner vorgestellt werden. Vielmehr muß die Grenze auf moralischem Terrain gezogen werden. Deshalb wird auch die "extreme Rechte" - eine eher undifferenzierter und unüberprüfbarer Begriff - zunehmend als Personifikation des "bösen sie" präsentiert, gegen das alle guten DemokratInnen sich vereinen sollten.

Offensichtlich sind wir ZeugInnen nicht des Verschwindens, sondern einer neuen Erscheinungsform des politischen Antagonismus. Da er nicht im Aufeinandertreffen von hegemonialen sozio-ökonomischen Projekten artikuliert werden kann, äußert er sich jetzt im Register des Moralischen. Was auf dem Spiel steht, ist immer noch ein politischer Konflikt, aber verkleidet als moralische Opposition zwischen "gut" und "böse". Auf der einen Seite die guten DemokratInnen, die universelle Werte respektieren, auf der anderen Seite die RepräsentantInnen des Bösen, die rassistische und fremdenfeindliche Rechte, mit der keine Diskussion erlaubt ist und die ausradiert werden muss mittels moralischer Verdammung.

Das Problem dieser Vermischung von Politik und Moral ist, dass sie die Möglichkeit verstellt, die grundlegenden Fragen zu stellen, derer sich eine linke Politik annehmen muss, Fragen in Verbindung mit den Transformationen der gesellschaftlichen Machtverhältnisse und mit den Bedingungen für die Errichtung einer neuen Hegemonie. Darüberhinaus trägt sie nicht dazu bei, die Gründe für den zunehmenden Erfolg rechtspopulistischer Parteien zu verstehen, und verhindert eine klare Positionierung gegen sie und auf wirklich politischem Terrain. Dieselbe Kritik kann auch auf die weitverbreitete Gleichsetzung von demokratischer Politik mit der Verteidigung der Menschenrechte angewendet werden. Tatsächlich gibt es heute eine wachsende Tendenz, die Verteidigung der Menschenrechte als Definitionsmerkmal von Demokratie zu verwenden, bei gleichzeitiger Aufgabe des - als altmodisch verstandenen - Elements der Volkssouveränität. Wie Marcel Gauchet zeigte, ist die grundlegende Unzulänglichkeit einer Politik, die ausschließlich auf Menschenrechte ausgerichtet ist, dass sie nichts beizutragen hat zu einem Verständnis der Ursachen gegenwärtiger Ungerechtigkeit. Und tatsächlich unterstützt sie, wenn sie Erklärungsversuche des für unannehmbar Erachteten diskreditiert, nicht die Entwicklung von Strategien zur Bearbeitung der Ursachen. Deswegen ist eine derartige Politik so oft auf Diskurse der Denunziation beschränkt.

Gegen all diese modischen Diskurse über das Ende des Antagonismus und die Verdrängung der Politik durch die Moral gibt es heute eine dringende Notwendigkeit, das Politische als Zentrum wiederherzustellen. Und das verlangt nach dem Setzen von neuen politischen Grenzen, die imstande sind, der Demokratie einen wirklichen Impuls zu geben. Einer der entscheidenden Punkte demokratischer Politik ist es, damit zu beginnen, eine Alternative zum Neoliberalismus zu entwickeln, denn die derzeit unbestrittene Hegemonie des Neoliberalismus erklärt auch, warum die Linke unfähig ist, ein glaubwürdiges Alternativprojekt zu formulieren. Die gewöhnliche Rechtfertigung für "Es gibt kein alternatives Dogma" heißt Globalisierung. Tatsächlich ist das ein oft gegen Neuverteilungsansätze von sozialdemokratischer Politik gerichtetes Argument, dass enge finanzpolitische Zwänge für die Regierungen die einzige realistische Möglichkeit darstellten in einer Welt, in der globale Märkte keine Abweichung von der neoliberalen Orthodoxie duldeten. Diese Art von Argument nimmt das ideologische Terrain als gegeben an, das als Resultat von jahrelanger neoliberaler Hegemonie errichtet wurde, und verwandelt eine konjunkturelle Sachlage in eine historische Notwendigkeit. Wenn Globalisierung als allein von der Informationsrevolution getrieben beschrieben wird, wird sie aus ihrer politischen Dimension gehoben und erscheint als Schicksal, dem wir uns alle unterzuordnen haben.

Genau hier sollte unsere Kritik ansetzen. In der Untersuchung dieses Konzepts hat André Gorz argumentiert, dass der Prozess der Globalisierung, anstatt als notwendige Konsequenz einer technologischen Revolution besser als Kapitalbewegung verstanden wird, die so etwas wie eine fundamentale politische Antwort auf die "Krise der governability in den Siebzigern" bereitstellen sollte. Seiner Ansicht nach führte die Krise des fordistischen Entwicklungsmodells zu einer Spaltung von Kapitalinteressen und Interessen der Nationalstaaten. Der Raum der Politik wurde getrennt vom Raum der Ökonomie. Sicherlich wurde dieses Phänomen der Globalisierung durch neue Technologien ermöglicht. Aber die Verwirklichung dieser technologischen Revolution erforderte eine tiefgehende Wandlung der Machtbeziehungen zwischen sozialen Gruppen und zwischen kapitalistischen Organisationen und dem Staat, und das wurde möglich gemacht durch bewusste Entscheidungen von Regierungen. Die politische Entwicklung war die entscheidende, und sie traf zusammen mit der Verwerfung des Konsenses im Wohlfahrtsstaat, der für die Periode nach dem Zweiten Weltkrieg charakteristisch war. Das fand in verschiedenen Ländern zu verschiedenen Zeiten statt und hat nun schließlich auch Österreich erreicht.

Überall in Europa haben sozialdemokratische Parteien Hilflosigkeit gegenüber dieser neoliberalen Revolution an den Tag gelegt, weil sie außerstande waren, deren politische Natur zu verstehen. Haben sie das Dogma der "Globalisierung" einmal hingenommen, sind die TheoretikerInnen des "Dritten Wegs" nicht mehr in der Lage, die systemischen Zusammenhänge zu erfassen, die zwischen globalen Marktmächten und der Vielfalt an Problemen bestehen - von der Exklusion bis zu den Umweltrisiken -, die anzupacken sie vorgeben. Es ist wirklich sehr symptomatisch, dass sie Zuflucht nehmen zur Sprache der "Exklusion", die überhaupt kein Werkzeug bereitstellt, den Ursprung dieses Phänomens zu analysieren, sondern sich darauf beschränkt, es zu beschreiben. Indem sie die strukturellen Ungleichheiten, die systematisch durch das Marktsystem produziert werden, in Hinblick auf "Exklusion" umdeuten, vermeiden sie jede Form von struktureller Analyse von deren Ursachen und weichen damit der grundlegenden Frage aus, was getan werden muss, um sie direkt anzugehen. Als ob die Bedingung für die Inklusion der Ausgeschlossenen nicht allermindestens eine neue Form von Regulation des Kapitalismus erfordern würde, die eine drastische Neuverteilung und eine Korrektur der durch die neoliberale Politik bewirkten tiefen Ungleichheiten erlauben wird.

Ohne der Vorstellung vom totalen Untergang des Kapitalismus das Wort zu reden, wie sie manche nostalgischen MarxistInnen noch immer erträumen, scheint mir, dass es möglich sein müsste, eine Alternative zur neoliberalen Ordnung zu denken, eine reale hegemoniale Alternative, nicht den vermeintlich "Dritten Weg" zwischen Sozialdemokratie und Neoliberalismus, der derzeit von seinen FürsprecherInnen als "neue Politik für das neue Jahrhundert" beworben wird. Solche Politik akzeptiert - in Wahrheit weit entfernt von einer Alternative zur neoliberalen Form der Globalisierung - die grundlegenden Lehren neoliberaler Orthodoxie und beschränkt sich darauf, den Leuten zu helfen, damit umzugehen, was als "Schicksal" wahrgenommen wird, und zwar dadurch, sie "employable" zu machen. Kein Wunder, dass wir nun in politischen Systemen leben, in der keine wirkliche Opposition existiert.

Heutzutage ist eines der wesentlichsten Probleme, dass die Beschäftigung der Linken mit der Bedeutung von Pluralismus und liberalen demokratischen Institutionen begleitet wurde von derm falschen Glauben, dass das heißen sollte, jeden Versuch aufzugeben, die gegenwärtige hegemoniale Ordnung zu transformieren. Daher die Heiligung des Konsenses, das Verwischen der Grenzen zwischen Links und Rechts und der Trend, den politischen Gegner auszutauschen gegen den moralischen Feind. Hier liegt meiner Meinung nach einer der Hauptgründe für die Unfähigkeit der Linken, die Bedingungen für eine Radikalisierung der Demokratie ins Auge zu fassen. Es kann keine radikale Politik geben ohne die Setzung eines politischen Gegners, denn radikal sein heißt, eine tiefgreifende Veränderung der Machtverhältnisse zu verfolgen, eine andere Hegemonie zu schaffen.

Wenn es eine Lehre gibt, die die Linke aus dem Fehlschlagen des Kommunismus ziehen sollte, ist es, dass der Kampf um Demokratie nicht in Form von Freund/Feind-Schemata verfolgt werden sollte und dass die liberale Demokratie nicht der Feind ist, der zerstört werden muss, um etwas völlig Neues zu schaffen. Wenn wir anerkennen, dass die ethisch-politischen Prinzipien der modernen liberalen Demokratie - soweit wir unter ethisch-politischen Prinzipien verstehen, was Montesquieu als "die Leidenschaften, die ein Regime bewegen" bezeichnete - die Verteidigung von Freiheit und Gleichheit für alle sind, ist es klar, dass wir keine radikaleren Prinzipien für die Organisation der Gesellschaft finden können. Das Problem der "real existierenden liberalen Demokratien" sind nicht ihre Ideale, sondern die Tatsache, dass diese Ideale nicht in die Praxis umgesetzt werden. Die Aufgabe der Linken ist es also nicht, diese Ideale zu verwerfen, etwa mit dem Argument, sie seien Betrug, eine Hülle für die kapitalistische Unterwerfung, sondern für ihre Verwirklichung zu kämpfen und liberale demokratische Gesellschaften darauf zu verpflichten.

Ein derartiger Kampf kann aber, wird er nicht im Sinne eines Freund/Feind-Verhältnisses gedacht, auch nicht als einfacher Wettbewerb zwischen Interessen gesehen werden, der auf neutralem Terrain stattfindet mit dem Ziel, Kompromisse zu erzielen und Prioritäten anzusammeln. So stellen sich freilich die meisten liberalen TheoretikerInnen die Demokratie vor, und unglücklicherweise scheinen auch linke Parteien unter demokratischer Politik heute ähnliches zu verstehen. Deswegen erkennen sie weder die Strukturen der Machtbeziehungen, noch können sie den Standpunkt der Herstellung einer neuen Hegemonie einnehmen. Offensichtlich harmoniert das mit ihrer Weigerung, politische Grenzen zu ziehen, und ihrem Glauben, dass sie sich an grundlegenden Interessenkonflikten vorbeischwindeln könnten, wenn sie es vermeiden, einen politischen Gegner zu definieren.

Dies führt - wie ich zu zeigen versucht habe - zu einer neuen Form von Freund/Feind-Politik, in diesem Fall zu einem Feind im Sinne des Moralischen; was erklärt, warum es heute so schwer ist, sich eine Opposition mit hegemonialen Perspektiven vorzustellen. Einerseits wird Politik reduziert auf den Wettbewerb der Interessen innerhalb des "wir" des demokratischen Blocks, andererseits wird die Identität dieses demokratischen Blocks gefestigt durch die Denunzierung eines "bösen sie". In diesem Oszillieren zwischen dem liberalen Mitbewerber und dem moralischen Feind bleibt gerade die Stelle des politischen Gegners ausgeschlossen. Die Konsequenz ist der Ausschluss jeder Möglichkeit, eine wirkliche Alternative zur derzeitigen Hegemonie des Neoliberalismus voranzubringen.

Dass die traditionellen Konzepte von Links und Rechts den aktuellen Problemen nicht mehr gerecht werden, lasse ich gerne gelten. Aber zu glauben, dass die diesen Kategorien impliziten Antagonismen in unserer globalisierten Welt verschwunden seien, heißt, dem hegemonialen Diskurs vom "Ende der Politik" zum Opfer zu fallen. Weit entfernt davon, ihre Relevanz verloren zu haben, sind die Abgrenzungen, auf die "links" und "rechts" hinweisen, angemessener denn je. Was nötig wäre, ist eine Erweiterung des Felds der Politik, die den Leuten ein wirkliches Mitspracherecht gibt in der Form von Gesellschaft, in der sie leben wollen und der Form von Zukunft, die sie gestalten wollen.

Werden die enormen Möglichkeiten, die durch die neuen Technologien eröffnet wurden, in den Händen von ExpertInnen belassen und von den großen transnationalen Konzernen monopolisiert werden? Oder wird eine Vielfalt von verschiedenen Alternativen zugänglich gemacht werden, dank derer die Leute wählen können, in welcher Welt sie leben wollen? Wie die jüngeren Kontroversen über Rinderwahn, gentechnische Veränderungen und Umweltschutzmaßnahmen bezeugen, werden die Problemfelder, in denen wichtige Entscheidungen für die Zukunft getroffen werden müssen, immer ausgedehnter. In all diesen Fällen stehen grundlegende Machtverhältnisse auf dem Spiel. Im Gegensatz dazu, was der dominante Diskurs uns glauben machen will, gibt es Alternativen. Wer wird sie artikulieren und den Mächten, die ihre eigenen Interessen als einzige rationale Lösung verkaufen wollen, etwas entgegensetzen? Das ist die Herausforderung, die die europäische Linke in Angriff nehmen muss, will sie wirklich eine nachdrückliche Opposition werden.

 

Chantal Mouffe ist senior research fellow am Centre for the Study of Democracy an der University of Westminster in London; Autorin von The Return of the Political, Hegemony and Socialist Strategy (gem. mit Ernesto Laclau), Dimensions of Radical Democracy, Gramsci and Marxist Theory, Deconstruction and Pragmatism, und The Democratic Paradox.
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