Werkzeugkasten staatlicher Macht
Wenn Flüchtlingen in der zweiten Instanz kein Asyl gewährt wird, dann geschieht das von nun an nahezu ohne Kontrolle durch höhere Gerichte. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht mehr länger anrufbar; Berufungsverfahren können sich nur mehr auf verfassungsrechtliche Anliegen vor dem Verfassungsgericht beziehen.
Kaum eine Zeitungsmeldung war es wert, als der Asylgerichtshof im Juli 2008 erstmals seine Arbeit aufnahm. Von der vielstimmigen Kritik an der damals noch in Planung befindlichen neuen Gerichtsbarkeit Ende 2007 ist heute kaum noch etwas zu vernehmen. Damals hatten Menschenrechtsgruppen, linke Zeitungen und Zeitschriften, Jurist_innen, aber auch bürgerliche Medien vor allem den faktischen Wegfall der letzten Instanz und die Art und Weise der Berufung der Richter_innen kritisiert. Kaum verständlich ist die Zurückhaltung, seitdem der Asylgerichtshof real wirkmächtig geworden ist. Es besteht offenbar so wenig Interesse an Öffentlichkeit, dass die Mitarbeiter_innen des Asylgerichtshofs auf Nachfrage nicht einmal wissen, ob die Verfahren für Zuhörer_innen überhaupt öffentlich sind.
Wenn Flüchtlingen in der zweiten Instanz kein Asyl gewährt wird, dann geschieht das von nun an nahezu ohne Kontrolle durch höhere Gerichte. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht mehr länger anrufbar; Berufungsverfahren können sich nur mehr auf verfassungsrechtliche Anliegen vor dem Verfassungsgericht beziehen. Möglich wird diese Verkürzung des Rechtszugs, indem einfach die alte Verwaltungseinheit – der Unabhängige Asylsenat (UBAS) – selbst zum Gericht erhoben und zum Asylgerichtshof aufgewertet wird. Dabei kommt den Verfahren, die noch vom UBAS anhängig sind, die angebliche Erhöhung der Rechtsrichtigkeit durch einen Zweiersenat im Verfahren nicht zu: Was damals als ein wesentliches Argument zur Legitimierung der Kürzung der letzten Instanz vorgebracht worden war, gilt noch nicht für die so genannten „angestauten Verfahren“. Für diese ist weiterhin nur ein/e Richter_in zuständig.
Menschenrechtsregimes
Die Zurückhaltung kritischer Stimmen könnte in der Adaption einer menschenrechtlichen Logik in die Asylpolitik begründet sein. Denn es sind menschenrechtliche Argumente, die zu einem Teil heutige Migrationsregimes begründen. So auch im österreichischen Fall: Wo an der spanischen Grenze die Grenzschutzagentur Frontex Flüchtlinge vor dem Ertrinken „rettet“ oder „dank“ der Initiative der EU durch exterritoriale Lager Menschen davon abgehalten werden, bei der Reise nach Europa ihr Leben zu riskieren, da erklärt sich auch das österreichische Innenministerium bereit, einen ‚humanitären Beitrag’ zu leisten. Schließlich hatte die Einführung des Asylgerichtshofes sich ganz klar auf die zu lange Dauer der Verfahren bezogen, auf einen Aspekt also, der immer wieder von Menschenrechtsvertreter_innen und Rechtsexpert_innen kritisiert worden war. Die menschenrechtliche Rationalität bemüht jedoch den Status von Migrant_innen als Opfern, die sich uninformiert und voller Illusionen auf den Weg nach Europa machten und denen dann im Ankunftsland nichts anderes bliebe, als hilflos auf den Ausgang ihres Asylverfahrens zu warten. In der Strapazierung des Opferbildes wird die Teilung von wahren/falschen, ehrlichen/kriminellen Migrant_innen immer wieder neu vollzogen.
Vor dem Hintergrund dieser menschenrechtlichen Argumentationen war eine Diskurskoalition von Anfang an gegeben: Auf die politische Forderung nach der Verkürzung der Asylverfahren konnten sich alle Beteiligten einigen, wenn auch vor dem Hintergrund unterschiedlicher Interpretationen des Menschenrechtsarguments. Nur folgerichtig ist deshalb die derzeit zu beobachtende Verknüpfung eben solcher Argumente mit Vorstellungen der Regulierung und Begrenzung von Migration mehr oder weniger explizit verbunden mit dem Thema des Asylbetrugs, wie es beispielsweise in der entsprechenden Nationalratssitzung am 5. und 6. Dezember 2007 von konservativen und rechten bis rechtsextremen Positionen zu vernehmen war. Der Verschärfung des Asylverfahrens liegt damit die Unterscheidung von „echten“ Flüchtlingen und solchen, die missbräuchlich Asyl beantragen, zugrunde.
Ebenfalls im Jahr 2007 hat die „notwendige“ Einsicht, Migration begrenzen zu müssen, alltagspolitisch gewendet zu der Vorstellung geführt, die Ebene der Verwaltung sei gänzlich ungeeignet für die Bearbeitung der Fälle in zweiter Instanz. Immer wieder war in der Vergangenheit versucht worden, die komplexe Materie der Einzelfallprüfungen ungeachtet des erheblichen Rechercheaufwands zur konkreten Einschätzung der Situation im Herkunftsland „irgendwie“ zu straffen. Doch auch monetäre Anreizsysteme für die Mitarbeiter_innen zur schnelleren Abfertigung der Asylgesuche sowie die zeitweise Durchführung kollektiver Verhandlungen brachten den UBAS kaum in die Nähe des Plansolls von zu bearbeitenden Fällen. Stattdessen war das Asylsystem auf der Verwaltungsebene in Verruf geraten. Es wurde der Eindruck erweckt, die Verwaltung würde undiszipliniert und unsachgemäß arbeiten. Dass es bei Asylverfahren um das nackte Leben vieler Einzelner geht, war für den Nationalrat und das Innenministerium kein Grund, das Verfahren mit einer Kontrollmöglichkeit und Überprüfbarkeit auszustatten, wie sie jedem anderen Verfahren in Österreich sonst auch zukommt.
Weil das Asylsystem auf der Verwaltungsebene nicht mehr weiter rationalisierbar bzw. ökonomisierbar war, mündete das Asylverfahren im Bereich des rechtlichen Tribunals. Nötig wäre eine Überführung aus juristischer Sicht nicht gewesen, gibt es doch kaum Unterschiede zwischen dem UBAS und dem Asylgerichtshof – mit Ausnahme eben der Abkürzung des Instanzenzugs. Während in der Verwaltung die Beschränkung der Migration zum Thema gemacht wird, soll die Einbindung des Asylwesens in den Bereich der gerichtlichen Rechtssprechung offenbar eine gewisse Legitimität sichern. Denn die Institutionen des Rechts sind vorrangig in Diskurse um die materielle und formelle Gerechtigkeit eingefasst. Unter Auslassung des politischen Charakters des Gesetzes wird auch im neu entstandenen Asylgerichtshof suggeriert, dass so lange ein richtiges Verfahren vollzogen werde, Rechtsstaatlichkeit und damit auch Gerechtigkeit gewährleistet werden könne.
Asylrecht flexibel
Eine solche Entwicklung ist charakteristisch für eine manageriale Regierungsweise. Kennzeichnend hierfür ist die flexible Handhabung der politischen Thematik des Asyls mittels der Kombination verschiedener Ansätze und Rationalitäten. Man könnte von einem modernen staatlichen Werkzeugkasten sprechen, der hier zum Einsatz kommt. Mit diesem wird es möglich, sich auf verfassungsrechtliche Grundsätze zu beziehen, dann wieder auf die Figur des Rechtsstaates, aber auch auf instrumentelle und menschenrechtliche Argumentationen. Auch die eigentlich paradoxe Bezugnahme auf verschiedene Logiken scheint dabei nicht als widersprüchlich auf. Insofern wird auch das (Menschen)Recht an tagespolitische Forderungen und Mentalitäten angepasst – es wird so flexibel, wie es die Gesellschaft ist (Rancière 2002).
Zentral für diese manageriale Handhabung ist der ökonomische Umgang mit Asyl in der Unterscheidung von ökonomisch verwertbaren bzw. nicht verwertbaren Migrant_innen und Flüchtlingen. Dies manifestiert sich in der Bekämpfung unerwünschter Migration und der z.T. direkten Stimulierung erwünschter Migration – beispielsweise in der Erteilung von Arbeitserlaubnissen. Nicht nur werden zurzeit in Halbjahresperioden Gesetzesnovellen produziert, um so genannte Schlüsselarbeitskräfte zu legalisieren, wie der Fall der 24-Stunden-Pflege zeigt. Auch im Bereich des Asyls wird – unter einer streng legalistischen Argumentation – die Reform eines unökonomischen Verwaltungsvorgehens zum Anlass einer massiven Beschneidung der Rechte Asylsuchender. Asylpolitik in Österreich lehnt sich somit vorrangig an bevölkerungspolitische Maßstäbe an: Das für die nicht- Zugehörigen eingerichtete Sondergericht – theoretisch ein Entscheidungsorgan über individuelle Fälle – ist damit weniger an einer Verfahrensgerechtigkeit im Sinne der Menschenrechtskonvention orientiert, als dass es für Bevölkerung und Migrant_innen eine proaktive Signalrolle übernehmen soll. Neben neu kontextualisierten humanitären Argumenten spielt also auch eine Verschiebung der Regierung von Migration nicht nur auf der Ebene der Verwaltung, sondern auch auf der des Rechts eine Rolle: Der Asylgerichtshof gliedert sich in das Feld des Migrationsmanagements ein, in welchem eine proaktive Strukturierung als Erfolgskriterium gilt (Meyer/Purtschert 2008). Die Einbeziehung des opferzentrierten Menschenrechtsdiskurses erweitert dabei das Feld des Sagbaren und damit der Praktiken einer sowohl ökonomischen als auch polizeilichen Staatsgewalt. Migrant_innen wird damit nicht nur der Status handlungsfähiger Subjekte abgesprochen, auch fungiert das hier umrissene Viktimisierungsdispositiv als Instrument zur Migrationsverhinderung unter humanitären Vorzeichen (Karakayali 2008). Der Asylgerichtshof erhält im Rahmen dieser aktuellen politischen Strategien humanitärer, proaktiver Kontrolle seine Rationalität und Notwendigkeit und ist insofern Indikator eines veränderten Verständnisses von Rechtsstaatlichkeit.
Bedingungen der Kritik
Dennoch haben auch die Möglichkeitsräume des Staates Grenzen, ist die Verdichtung sozialer Kräfteverhältnisse kaum jemals absolut: Nicht ohne Grund ist der Asylgerichtshof gleichsam im Schnellverfahren und nicht, wie geplant, im Rahmen der allgemeinen Verfassungsnovelle eingeführt worden. Immer schwerer war es der Bevölkerung zu vermitteln gewesen, warum Menschen, die sich ganz nach hegemonialen Kulturvorstellungen integriert hatten, in ein Land abgeschoben werden sollten, in dem sie sich jahrelang nicht aufgehalten hatten bzw. in denen ihre Kinder niemals gewesen waren. Mit der öffentlichen Skandalisierung des staatlichen Umgangs mit der Familie Zogaj wurde die Situation für das Innenministerium akut. In aller Eile wurde von wenigen Verantwortlichen ein Konzept ausgetüftelt – entsprechend groß sind die legislativen Unstimmigkeiten, die nun die Betroffenen und die Mitarbeiter_innen des Asylgerichtshofes in ihrer alltäglichen Praxis begleiten. Zwar konnte der lokale Protest kaum die Grundfesten des Asylsystems anrühren: Die Forderungen beinhalteten das Verbleiben der Familie im nationalstaatlichen Container, und auch die Zogajs selbst äußerten sich nicht anders als innerhalb des Viktimisierungsdispositivs. Dennoch hat das Aufzeigen gewisser Ungereimtheiten ausgereicht, um eine Wechselwirkung des Staates mit allgemeinen sozialen Prozessen und Kämpfen hervorzurufen. Kritik muss deshalb auch bei der Dekonstruktion eines staatlich flexibilisierten Werkzeugkastens ansetzen: Denn die Neuausrichtung staatlicher Politik- oder Reaktionsformen verweist nicht nur auf die Wahrnehmung veränderter Erfordernisse der Migrationskontrolle, sondern auch auf die Unmöglichkeit der Kontrolle und Verhinderung der Migration durch staatliche Akteure. Kritik am Asylsystem muss demzufolge über eine Perspektive hinausgehen, die Aufenthaltserlaubnisse in Einzelfällen als Gnadenakt des Eigenen gegenüber dem „Fremden“ fordert. Sie muss die den Nationalstaat konterkarierenden Aspekte migrantischen Handelns explizit machen. Und diese Kritik muss sicherlich genauso flexibel sein, wie die Techniken des Staates es sind.
Literatur:
Rancière, Jacques (2002): Das Unvernehmen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Meyer, Katrin/Purtschert, Patricia (2008): Migrationsmanagement und die Sicherheit der Bevölkerung, in: Purtschert, Patricia/Meyer, Katrin/ Winter, Yves (Hg.): Gouvernementalität und Sicherheit. Zeitdiagnostische Beiträge im Anschluss an Foucault. Bielefeld: Transcript, S. 149-172.
Karakayali, Serhat (2008): Gespenster der Migration. Zur Genealogie illegaler Einwanderung in der Bundesrepublik Deutschland. Bielefeld: Transcript.
Andrea Kretschmann ist Soziologin und Kriminologin und arbeitet am Institut für Rechts- & Kriminalsoziologie in Wien.