Wir brauchen Taten, nicht Lippenbekenntnisse

Wie die Koalitionsverhandlungen ausgehen und welche Akzente die zukünftige Regierung im Kulturbereich setzt, ist ungewiss. Pflichtprogramm ist die Einhaltung internationaler Verpflichtungen, die Österreich mit Beitritt zur "UNESCO-Konvention kulturelle Vielfalt" auch im Bereich zeitgenössischer Kunst und Kultur eingegangen ist. In einem Offenen Brief an die Kultursprecher*innen und Regierugnsverhandler*innen mahnt die "ARGE Kulturelle Vielfalt" die Umsetzung dieser Verpflichtungen ein.

Offener Brief der ARGE Kulturelle Vielfalt[1]

an die Bereichssprecher*innen Kultur der österreichischen Parlamentsklubs sowie die Zuständigen innerhalb der Verhandlungsteams 

WIR BRAUCHEN TATEN, NICHT LIPPENBEKENNTNISSE

 

Angesichts der anstehenden Regierungsverhandlungen appellieren wir, die unterzeichnenden Mitglieder der ARGE Kulturelle Vielfalt, eines zivilgesellschaftlichen Beratungsgremiums der Österreichischen UNESCO-Kommission, an alle Verantwortlichen, die Umsetzung der „UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ (2005) im zukünftigen Regierungsprogramm zu gewährleisten. Die Konvention ist das erste völkerrechtlich bindende Instrument, das zeitgenössische Kunst und Kultur in den Mittelpunkt stellt und Prinzipien für eine Kulturpolitik zum Schutz und zur Förderung einer Vielfalt kulturellen Ausdrucks definiert. Nicht umsonst wird sie daher als „Magna Charta der Kulturpolitik“ bezeichnet. Wir erwarten, dass die von Österreich mit Beitritt zur Konvention eingegangenen Verpflichtungen kein Lippenbekenntnis bleiben, sondern endlich in konkrete, überprüfbare Maßnahmen münden. Wesentliche Vertragsgegenstände dieser nicht nur von Österreich als Mitgliedsstaat, sondern auch von der EU insgesamt unterzeichneten Konvention[2] sind: 
 

  • die in Artikel 6 verankerte Verpflichtung zur Befreiung von Kunst und Kultur aus dem Zwang zur wirtschaftlichen Verwertbarkeit und Profitorientierung. Der Staat hat förderliche Rahmenbedingungen zu schaffen, durch die eine Vielfalt auch an nicht- gewinnorientierter Kunst und Kultur florieren und sich frei entfalten kann. Wir erwarten, dass die Politik diesen demokratiepolitischen Auftrag ernst nimmt. Kunst- und Kulturförderung ist nicht mit der Förderung innovativer Start-Ups in der Kreativwirtschaft, die der Wirtschaftsförderung zuzuordnen sind, gleichzusetzen. Daher braucht es u. a. auch, so in Artikel 7 verankert, die Anerkennung und Analyse strukturell wirkender Diskriminierungen, die eine selbstbestimmte Teilhabe benachteiligter Gruppen an der Kulturproduktion und-verbreitung sowie ihren Zugang zu Kunst und Kultur torpedieren, und deren gezielte Bekämpfung. 
     

  • die in Artikel 11 vorgesehene „aktive Einbindung der Zivilgesellschaft“ in alle den Kunst- und Kultursektor betreffenden Belange. Wir erwarten, dass die Einbeziehung der Kunst- und Kulturschaffenden und ihrer Vertretungen bei der Entwicklung und Umsetzung des zukünftigen Regierungsprogramms endlich ernst genommen wird. Mindestanforderung dabei ist die Etablierung eines strukturierten, regelmäßigen Dialogforums zwischen den politisch (!) Verantwortlichen und den Vertretungen des Sektors.
     

  • die in Artikel 16 verbriefte Verpflichtung, sich für Kunst- und Kulturschaffenden aus EU- Drittstaaten zu öffnen. Internationalisierung ist nicht auf die Förderung der internationalen Sichtbarkeit österreichischen Kulturschaffens im Ausland zu reduzieren („outgoing“). Internationalisierung bedeutet im Sinne der Konvention, sich für „incoming“ KünstlerInnen zu öffnen und Erleichterungen, insbesondere im Visa- und Aufenthaltsrecht sowie bei deren praktischer Anwendung, zu schaffen. Die Konvention ist hier sehr klar: Dies ist keine Kür, sondern Pflicht aller Vertragsparteien. Kunst- und Kulturschaffenden aus Ländern des globalen Südens ist (das ist keine Kannbestimmung!) eine Vorzugsbehandlung zu gewähren. 
     

Wir erwarten, dass sich diese Verpflichtungen im Regierungsprogramm wiederfinden. Gewährleisten Sie, jenseits deklaratorischer Ansagen, dass Sie Kunst und Kultur als gesellschafts- und demokratiepolitisch relevanten Faktor im Interesse der Bevölkerung Österreichs fördern, und nicht auf einen wirtschaftlich relevanten Kreativsektor reduzieren. Schaffen Sie eine tatsächliche Einbindung der zivilgesellschaftlichen Vertretungen des Kunst- und Kultursektors, sowohl bei der Erarbeitung als auch Umsetzung des Regierungsprogramms. Schaffen Sie Erleichterungen für Kunst- und Kulturschaffende aus dem Ausland, in Österreich aktiv sein zu können, durch den Abbau arbeits- wie fremdenrechtlicher Barrieren. Setzen Sie sich auch im europäischen Rahmen für die Umsetzung der Konvention ein, wo einheitliche Regularien nötig oder wünschenswert sind.

Als sektorenübergreifendes Beratungsgremium verfügt die ARGE Kulturelle Vielfalt über umfassende Kenntnisse in allen genannten Punkten. Unterstützt durch die Kontaktstelle Kulturelle Vielfalt, die als Informationsdrehscheibe zur UNESCO in Paris sowie zur österreichischen Kulturverwaltung dient, können die hier Unterzeichnenden Wissen, Kompetenzen und Erfahrungen sowohl zum Bedarf des österreichischen Kunst- und Kultursektors wie auch zu internationalen Fragen der UNESCO-Konvention einbringen. Für Gespräche stehen wir jederzeit gerne zur Verfügung!

 

Wien, am 13.11.2019 

 

Dachverband der Österreichischen Filmschaffenden
Gesellschaft Bildender Künstlerinnen und Künstler Österreichs, Künstlerhaus
IG Autorinnen Autoren
IG Bildende Kunst
IG Kultur Österreich
IG Übersetzerinnen Übersetzer
Kulturrat Österreich
mica – music austria
Österreichischer Komponistenbund
Österreichischer Musikrat
OKTO Community TV

 


1 Die ARGE Kulturelle Vielfalt ist die Dialogplattform der Österreichischen UNESCO-Kommission zur Beteiligung der Zivilgesellschaft am Prozess der Umsetzung der UNESCO-Konvention 2005. Sie repräsentiert über 350.000 Kunst- und Kulturschaffende und über 500 Kunst- und Kulturverbände in Österreich. Aktuell führt Yvonne Gimpel, IG Kultur Österreich, den Vorsitz der ARGE. 

2Die UNESCO-Konventoin über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen ist in Österreich mit BGBl. III Nr. 34/2007 rechtlich bindend in Kraft getreten und verpflichtet Bund, Länder und Gemeinden zu Schutz und Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Die Europäische Union sowie die meisten ihrer Mitgliedsstaaten haben das völkerrechtliche Instrument gleichzeitig mit Österreich angenommen.