Zwischen Hegemonie und Gewalt
Der Rechtsextremismus hat sich als fixe Größe in der politischen Landschaft etabliert: In seiner Parteiformation kommt er auf rund 20 Prozent, seine sub- und jugendkulturellen Formen sind gerade in ländlichen Regionen mittlerweile als hegemonial zu bezeichnen.
Der Rechtsextremismus[1] hat sich als fixe Größe in der politischen Landschaft etabliert: In seiner Parteiformation kommt er auf rund 20 Prozent, seine sub- und jugendkulturellen Formen sind gerade in ländlichen Regionen (z. B. in Teilen Oberösterreichs) mittlerweile als hegemonial zu bezeichnen. Hier hat sich in den letzten Jahren regelrecht eine neonazistische Erlebniswelt etabliert, die mit ihrem subkulturell- provokativen Habitus immer mehr Jugendliche in ihren Bann zieht. Entgegen aller Verharmlosungen brauchen manche Gegenden Österreichs den Vergleich mit den „national befreiten Zonen“ Deutschlands oder Osteuropas nicht zu scheuen. Das gilt nicht erst seit heute: Ein ganzes Netz deutschvölkischer Organisationen überzieht das Land seit dem späten 19. Jahrhundert. Nach der „totalen Niederlage“ (Burschenschaft Olympia) 1945 kurz ins (juristische und politische) Abseits gedrängt betätigten sich diese Gruppen ab den späten 1940er Jahren und unter unverfänglicherem Namen wieder. Aus dem Deutschen Turnerbund wurde der Österreichische, aus dem Deutschen Schulverein die Österreichische Landsmannschaft, Landbund und Großdeutsche Volkspartei fanden im Verband der Unabhängigen und dann in der FPÖ ihre Fortsetzung usw. Das völkische Milieu, welches den Nationalsozialismus hervorgebracht hatte, tat nach Auschwitz, als wäre nichts gewesen und als sei der Deutschnationalismus eine nach wie vor politisch zulässige Position. Leider bestätigte der sich rasch einstellende Nachkriegskonsens, wonach über Auschwitz besser zu schweigen sei und der wahre Feind wieder im Osten stehe, diese Unverfrorenheit. In der anhaltenden Kontinuität, die oft auch eine persönliche oder familiäre ist, im Ausbleiben eines radikalen Bruches sehe ich eine der zentralen Ursachen für die Stärke des Rechtsextremismus in Österreich.
Anziehung
Betrachten wir die aktuelle Szenerie genauer, so sticht die Rolle der FPÖ ins Auge. Mit dem neonazistischen „Narrensaum“ (FPÖ-MEP Andreas Mölzer) des´deutschvölkischen Lagers über ihre (burschenschaftlichen) Vorfeldorganisationen verbunden stellt sie jenes Gravitationszentrum dar, auf welches sich der außerparlamentarische Rechtsextremismus bezieht. Einige Burschenschaften dienten schon in der Ersten Republik als Auffangbecken für die gerade illegal gewordenen Nazis. Heute bilden Korporationen wie die Wiener Olympia eine Art Scharnier zwischen der besseren Gesellschaft und dem Kriminal, dem parteiförmigen Rechtsextremismus und dem Neonazismus. In der politischen Arena erfüllen die „Alten Herren“ eine Art Schutz- und Lobbyfunktion: Mittels politischen und rechtlichen Interventionen zugunsten von mit Verboten oder behördlicher Verfolgung bedrohten Kräften und durch die nicht erst von Barbara Rosenkranz aufs Tapet gebrachte Kritik am Verbotsgesetz werden objektiv die Geschäftsbedingungen für Neonazis verbessert. Dies gilt manchmal auch in finanzieller Hinsicht: Zuletzt sorgte eine Spende der Burschenschaft Libertas an den neonazistischen Bund Freier Jugend (BFJ) für Kritik. Im Namen seiner Korporation rechtfertigte der FPÖ-Abgeordnete Walter Rosenkranz die Finanzspritze damit, dass er nichts Anstößiges in den BFJ-Flugblättern finden könne.
Bei aller Unzufriedenheit über den tagespolitischen Pragmatismus und trotz Phasen der Enttäuschung (etwa über Jörg Haiders Abrücken von der Deutschtümelei Mitte der 1990er Jahre) sehen viele Neonazis in der FPÖ ihre Partei. Gerade nach 2005 versuchten sie, in einem Ausmaß bei den Freiheitlichen einzusickern, dass – bei gleichzeitigem Leugnen nach außen – mancherorts bereits die Notbremse gezogen werden musste. Zuletzt wurde in Tirol der gesamte Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ) mit angeblich mehr als 600 Mitgliedern verbannt. Dass (weniger bekannte) Neonazis in legalen Parteien aktiv werden, ist ein vielerorts zu beobachtendes Phänomen und entspricht dem „Frontkonzept“ der NSDAP-AO. Bereits 1992 hieß es in einem programmatischen Text aus der Szene, dass „politische Arbeit“ in Österreich angesichts des zunehmenden behördlichen und medialen Druckes einerseits nur als „Untergrundarbeit denkbar“ sei. Gleichzeitig solle man aber versuchen, sich gemeinsam „als Fraktion in den zahlreich vorhandenen Vorfeldorganisationen des nationalen Lagers zu etablieren, um diese zu radikalisieren. (…) Ausgewählte, nicht staatspolizeibekannte Leute könnten zum Beispiel selbst in FPÖ-Gliederungen eindringen.“ Tatsächlich´kam zu Beginn der 1990er Jahre Bewegung in die Szene: (Ehemalige) Neonazis begannen, in die FPÖ und ihr burschenschaftliches Vorfeld einzusickern. In der Folge wurden immer wieder Mitgliedschaften und Kandidaturen von ehemaligen Aktivisten etwa der Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition (VAPO) publik, jüngst trat ein ehemaliger „Kameradschaftsführer“ für die Freiheitlichen Arbeitnehmer (FA) bei den AK-Wahlen an.
Mäßigung mit Strache?
Groß war daher das Staunen, als FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache Mitte Mai behauptete, in seiner Partei, die zudem kein „Vergangenheitsverein“ sei, gebe es keinen Platz für „rechte Extreme“. Im allgemeinen Amüsement über diese dreiste Kindsweglegung drohte die Erkenntnis unterzugehen, dass die FPÖ-Spitze damit erstmals implizit einräumte, worauf KritikerInnen nicht müde werden hinzuweisen: dass die FPÖ langsam ein Problem mit dem neonazistischen Überschuss bekommt.
In meinem im Herbst 2007 erschienen Buch „Der rechte Rand“ versuchte ich darzustellen, wie die FPÖ seit 2002 und dann noch einmal nach der Abspaltung des BZÖ so weit nach rechts gerückt ist, dass sich personelle wie inhaltliche Berührungspunkte mit dem organisierten Neonazismus geradezu ergeben müssen. Bis auf Mölzer, der (Neo-)Nazis sehr wohl als Teil der Deutschvölkischen begreift, leugnen FPÖ-Kader – zumindest öffentlich – in der Regel dieses Faktum. Das geht sogar soweit, dass man Jungfreiheitliche, die auf Strache Kundgebungen den Hitlergruß machen, einfach zu „linken Provokateuren“ erklärt. Und ist die Vergangenheit von so manchem Neofreiheitlichen nicht zu leugnen, flieht man in die Selbstdarstellung als Sozialarbeiter, der den Heißspornen aus dem (drohenden) Kriminal geholfen hätte.
Der Rechtsruck der FPÖ wurde in der Neonazi-Szene mit heller Begeisterung aufgenommen. Im Jugend Echo, der „Kampfschrift“ des damals in OÖ mit dem RFJ verwobenen neonazistischen BFJ, war zu lesen, dass mit Beginn der Obmannschaft des „jungen und attraktiven“ Strache viele Kameraden wieder Hoffnung geschöpft hätten: „Die FPÖ (…) könnte sich auf ihre nationalen Wurzeln besinnen und sich zur Fundamentalopposition gegen die Blockparteien des Systems entwickeln.“ Aber obwohl die FPÖ mit der Abspaltung des BZÖ „von viel Ballast befreit wurde“, bleibe sie wohl dennoch „Systempartei“. Zuversichtlich stimme jedoch die Tatsache, dass Strache „seine Wurzeln im nationalen Lager“ hat. Der neue Kurs wurde auch vom wohl prominentesten österreichischen Neonazi quittiert: Im September 2006 rief Gerd Honsik erstmals dazu auf, die FPÖ zu wählen. Denn diese sei als „Partei der Verfolgten nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich gegründet worden“. Honsik, damals noch im spanischen Exil und nun im österreichischen Gefängnis, wollte für die FPÖ stimmen: Die „einzige Partei, in der sich führende Persönlichkeiten noch zum Deutschen Volk bekennen, (…) die einzige Partei, von der jetzt noch einmal gehofft werden kann, daß sie nunmehr, von den alten Verrätern befreit, der immerwährenden Immigration entgegentreten wird.“ Schließlich gab er für seine Entscheidung die Tatsache an, dass er „der Abgeordneten Barbara Rosenkranz“ vertraut. Die niederösterreichische FPÖ-Obfrau und gescheiterte Präsidentschaftskandidatin hat es auch der beständig hart am Verbotsgesetz vorbeischrammenden Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik (AFP) angetan: „Wir empfehlen die Stimmabgabe für die FPÖ von H. C. Strache und Barbara Rosenkranz. Keine Stimme den Volksfeinden und Verrätern.“ Bereits im Herbst 2005 rief die AFP in Flugblättern zur Wahl der Wiener FPÖ auf. Als Gründe für die Wahlempfehlung gab man unter anderem das freiheitliche Auftreten gegen die „Grabschändung des Ehrengrabes“ des Nazi-Fliegerheroen Walter Nowotny und die Tatsache an, dass Strache „der einzige Spitzenpolitiker (war), der jährlich am 8. Mai unserer toten Soldaten öffentlich gedachte“. Während sogar der Verfassungsschutz der AFP eine „ausgeprägte Affinität zum Nationalsozialismus“ attestiert, schrecken FPÖ-Politiker mittlerweile nicht mehr davor zurück, ihre „Politischen Akademien“ mit Referaten zu beehren.
Wie normal neonazistische Positionen innerhalb der FPÖ geworden sind, wurde auch an Susanne Winters Reaktion auf die Kritik an ihrer Nähe zu Walter Ochensbergers Phoenix deutlich: Bei dem Neonazihetzblatt, in welchem das Judentum regelmäßig zum „Satan“ erklärt wird, handle es sich um eine „Heimatparteizeitung“. In solcher Umgebung fühle sich die FPÖ-Nationalratsabgeordnete „wohl“. Auf die geforderte Distanzierung von der Holocaustleugnung antwortete Winter: „Mein Geschichtsbild ist Privatsache.“
Fraktionskämpfe?
Die nach dem Debakel bei den Präsidentschaftswahlen kursierenden Meldungen über eine Spaltung der FPÖ in einen prinzipientreuen (völkischen) und einen opportunistischen (populistischen) Flügel entbehren noch jeder Realität. Aber zuletzt wurden innerparteiliche Gegensätze sichtbar, die jedoch weniger inhaltlicher als vielmehr taktischer und persönlicher Natur sind. Daher entspringt es reinem Wunschdenken, eine politische Liberalisierung der FPÖ in Bälde für möglich zu halten. Damit eröffnete man Strache nur die Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit als gemäßigter Rechter zu profilieren. Tatsächlich liegt der Unterschied nur im Stil: Während Strache in alter Haider-Manier in den Discos den Jugendlichen gibt und am Ballhausplatz mit dem Kreuz in der Christenhand das Abendland rettet, wachen die Waffenbrüder im lodernden Sonnwendfeuerschein über die reine Lehre. Hier weiß man nach dem Rosenkranz-Debakel mehr denn je von der Notwendigkeit, sich einen populistischen Agitator ohne allzu schmissigen Stallgeruch zu halten. Diese ungleiche Arbeitsteilung birgt einiges an Konflikten, und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder aufbrechen.
Nach außen gibt man sich einig, gegenteilige Meldungen seien, so Mölzer, Versuche der Medien, „die blauen Reihen auseinanderzudividieren und zu spalten“. Aus dem Europarlamentarier spricht selbstbewusst die korporierte Hausmacht, die die FPÖ fest im Griff hält: „Der FPÖ-Chef werde nach einem Flop bei der Präsidentschaftswahl die Partei säubern und auf ein ‚Haider-Image‘ setzen, die bösen Rechten – wer auch immer das sein soll – entmachten und so weiter und so fort. So dumm wird in der freiheitlichen Parteiführung wohl kaum jemand sein.“
[1] Unter Rechtsextremismus verstehe ich mit Willibald I. Holzer ein Einstellungs- und Weltanschauungssyndrom, in dessen Zentrum die Verwandlung von sozialer in natürliche Ungleichheit steht. Rund um diesen biologistischen Antiegalitarismus und einen völkischen Antiindividualismus, der die Freiheit des Einzelnen der von natürlichen Gemeinschaften wie dem Volk unterordnet, gruppiert sich idealtypisch ein ganzes Bündel von Anschauungen (Rassismus, integraler Nationalismus/Volksgemeinschaftsdenken, Antisemitismus, Autoritarismus usw.). Im Unterschied zu Deutschland bedeutet der Vorwurf des Rechtsextremismus in Österreich nicht zwangsläufig Verfassungs-/Demokratiefeindlichkeit und somit keine strafrechtlich zu ahndende Position.
Heribert Schiedel
studierte Politikwissenschaft in Wien und ist Rechtsextremismusforscher im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) sowie Berichterstatter für das Stephen Roth Institute for the Study of Contemporary Antisemitism and Racism der Universität Tel Aviv. Zuletzt erschien von ihm u. a. das Buch „Der rechte Rand. Extremistische Gesinnungen in unserer Gesellschaft“ (Edition Steinbauer).