Einblicke in künstlerische Kreationsphasen
<p>Der Kreationsprozess im zeitgenössischen Zirkus ist ein sehr eigener. Wir haben vier KünstlerInnen gebeten, uns einen Einblick in ihren aktuellen Kreationsprozess zu geben.</p> <p> </p> <h4>Arno Uhl, dada zirkus</h4> <p> </p> <p>Dada zirkus ist mit dem Anspruch angetreten, Kunst zu machen, die wir selber gerne sehen würden. Das impliziert, sich ständig gegen kommerzielle Überlegungen zu Wehr setzen zu müssen. Für mich heißt das aber trotzdem,
Der Kreationsprozess im zeitgenössischen Zirkus ist ein sehr eigener. Wir haben vier KünstlerInnen gebeten, uns einen Einblick in ihren aktuellen Kreationsprozess zu geben.
Arno Uhl, dada zirkus
Dada zirkus ist mit dem Anspruch angetreten, Kunst zu machen, die wir selber gerne sehen würden. Das impliziert, sich ständig gegen kommerzielle Überlegungen zu Wehr setzen zu müssen. Für mich heißt das aber trotzdem, Nummern primär mit einem Unterhaltungszweck zu schaffen, auch wenn meine beiden PartnerInnen das anders sehen würden. Weltanschauliche Positionen prägen unsere Stücke natürlich implizit, aber unsere Kreation zielt nicht darauf Inhalte zu vermitteln. Wir machen sozusagen Kunst, die sich reflektierte Leute anschauen können, ohne sich ärgern zu müssen.
Ich bin der Meinung, dass explizit Politik durch Kunst machen zu wollen, in der Gesellschaft des Spektakels indirekt eine unbeachtet starke reaktionäre Wirkung entfaltet. Widerstand und Utopie liegen für mich im Unmittelbaren, in der Interaktion und Organisation des Alltäglichen. Der Bezug auf das Unmittelbare liegt aber nicht nur in der Unterstützung sozialer Kämpfe, sondern kann zum Beispiel auch bedeuten, in der eigenen Kompanie Hierarchien zu reflektieren, mit dem eigenen Produkt die geldlose Kooperation zwischen ProduzentInnen zu forcieren, oder die Veränderung der Produktionsbedingungen durch die Fokusverschiebung vom Endprodukt auf die Freude am Kreationsprozess zu lenken. Das alles ist schwer zu realisieren am kleinen und harten Markt für zeitgenössische Zirkusnummern.
Eine Nummer mit Deadline zu produzieren, bedeutet immer enormen Druck; besonders wenn der Anspruch besteht, etwas Neues und Originelles zu machen. In meinen zwei Jahren in der Zirkusschule habe ich gelernt, dass Timing, Rhythmuswechsel, dramaturgischer Spannungsbogen, räumliche Komposition etc. erlernbar sind. Kreativität lässt sich im Gegensatz zu performativen Techniken nur begrenzt trainieren und kontrollieren. Es gibt Übungen oder Umgebungen, die förderlich sein können, aber schlussendlich ist nichts ein Garant für einen kreativen Einfall.
Für unsere derzeitige Produktion „Picknick for one“ mit dem Verein “Artist Street” haben wir unter Leitung unseres Regisseurs Matteo Spiazzi anhand eines dramaturgischen Rahmenthemas theatrale Improvisationsübungen gemacht. Parallel wurden artistische Choreografien und musikalische Sequenzen entwickelt, die erst in einem nächsten Schritt verbunden werden sollen.
Die besten Ideen kommen meiner Erfahrung nach oft unverhofft in den unterschiedlichsten Alltagssituationen; ausgelöst durch irgendwelche Erlebnisse und Assoziationen. Das beste Mittel zur Kreativität ist daher mit Aufmerksamkeit für gute Einfälle durch die Welt zu gehen. Trotzdem kann der Zwang, auf Abruf kreativ sein zu müssen, immer zur furchtbaren Belastung werden und überschattet die meisten Anfangsphasen von Kreationsprozessen.
Im zeitgenössischen Zirkus ist es aber noch einmal wesentlich schwieriger mit kreativen Einfällen, denn sie setzen meistens voraus, schwierige artistische Fähigkeiten in einen neuen Kontext zu setzten. Diese Rekontextualisierung erschwert jedoch fast immer die Anwendbarkeit der artistischen Technik und erfordert langes technisches Training, bevor die Idee überhaupt einmal ansatzweise umgesetzt und ästhetisch und dramaturgisch beurteilt werden kann. Meiner Erfahrung nach muss brauchbares Material für ein Stunde entworfen werden, um schlussendlich die passenden fünf Minuten für eine Nummer auswählen zu können.
Neben diesem Prozess, dem täglichen körperlichen und artistischen Training, kommt in meinem Fall noch mindestens eine obligatorische schmerzhafte Massage pro Woche hinzu, um das Arbeitsmittel Körper in Schuss zu halten. Und weil das alles niemensch weiß, hört mensch dann nach einer Aufführung: „Wow, du verdienst 600 Euro für 15 Minuten Arbeit.”
Christiane Hapt und Sebastian Berger, Kulturverein FENFIRE
Keine vollständige Vision als scharfes Bild der Inszenierung liegt uns vor, sondern ein offener Prozess, der auf Ideen aufbaut. Diese Ideen wandern in unserem Fall in einem Dreieck zwischen Objektmanipulation, Objektdesign und der Bildsprache, die erreicht werden soll bzw. welche das Objekt mit sich bringt. Es gibt keinen definierten Startpunkt in diesem Ideendreieck: Manchmal führt eine Bewegung im „Bodystorming“ zu einer Idee, wie die Bildsprache aussehen könnte, diese wiederum führt zum korrelierenden Objektdesign. Genauso kommt es aber auch vor, dass die gewünschte Bildsprache der bearbeiteten Thematik das Aussehen des Objekts bestimmt und somit auch die Manipulationstechnik erst gefunden werden muss. Ein ständiges Wechselspiel der Dreieckspunkte lassen die Ideen für das Stück gedeihen.
Ein weiterer Fixpunkt in unseren Kreationen ist die Zusammenarbeit in einem interdisziplinären Team. Dies schafft ein besonderes Arbeitsszenario kollektiver Kreativität und eine Gleichberechtigung, als auch Verschränkung von unterschiedlichen künstlerischen Techniken, die an der Umsetzung des gleichen Ideendreiecks arbeiten. Die Verschmelzung von bildender und darstellender Kunst ist im Falle der Objektmanipulation für uns unerlässlich. Zur Zeit arbeiten wir unter anderem am angefertigten Modell im Maßstab 1:10. Mit Figuren und Objekten wird das Geschehen imaginiert. Eine Strategie, sich dem Raumentwurf der Bühne anzunähern, die wir im Moment als wichtig erachten. Wir werden sehen wohin es führt, und ob sich die Miniaturarbeit lohnt.
Das Kernteam wird von Zeit zu Zeit durch Personen von außen bereichert, die mit „frischen Augen“ auf das Erarbeitete blicken. Auch hier schätzen wir die Diversität der Personen: DramaturgIn, KünstlerkollegIn, oder MitbewohnerIn sind mehrmals im Prozess eingeladen, um uns mit wertvollen Feedback zu versorgen.
Wir verstehen das Proben nicht als streng organisierten Produktionsablauf, sondern als dynamischen und manchmal auch krisenhaften Prozess. Er ist stetig in Bewegung und bedeutet permanenten Wandel. Als Paar, im Privaten als auch im Beruf, kommt es dabei auch zu Meinungsverschiedenheiten (der Eine nennt es Streit, die Andere nennt es Diskussion). Aber nach kurzem Gegrummel berufen wir uns professionell auf Meyerhold, der Unruhe als energetisches Prinzip versteht und darin besondere Produktivität sieht.1
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Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold, Organisation und Chaos im Spannungsfeld. IN: Annemarie Matzke, ARBEIT AM THEATER. transcript, Bielefeld 2012. S.206
Ruth Biller, Kulturverein Momomento
Momentan arbeite ich an einem Solo-Zirkustheaterstück namens „Marie hängt in der Luft“, das am 5. November 2016 im Dschungel Wien Premiere hatte.
Im neuen Zirkus verbindet sich Artistik häufig mit Schauspiel, Tanz und Musik, und ein Zirkusstück kann im Grunde wie Theater funktionieren, eben mit anderen Techniken als Erzählweise. Also kreiere ich ein Stück mit solchen Techniken, die zu meiner Sprache geworden sind. Und zwar aus jenen Themen, die mich schon seit Langem beschäftigen: Weiblicher Umgang mit Anforderungen, Begeisterung für Körperbewusstsein, Bewegung, Tanz und Selbstermächtigung. Ich möchte mit diesem Stück Frauen aller Altersstufen dazu ermutigen, ihr Leben eigenverantwortlich in die Hand zu nehmen und herauszufinden, was sie aus- und was sie glücklich macht. Sie sollen selbst bestimmen, wie sie leben wollen und sich weder von Werbung und Medien, noch von Männern ihr Leben diktieren lassen!
Bisher entstanden meine Stücke vor allem in Eigenregie. Bei “Marie hängt in der Luft” war das anders: Ich arbeitete zum ersten Mal mit einer Regisseurin zusammen. Es war also durchaus ungewohnt für mich, nicht die komplette Kontrolle über die Ausführung meiner eigenen Ideen zuhaben, bzw. dass eine andere Person Texte und emotionale Umschwünge für meine Figur erfindet.
Bereits nach unserem ersten Gespräch sind großartige Bilder im Kopf der Regisseurin entstanden. Bald hatte sie die vielen Themen, Techniken und Wünsche an das Stück, über die wir uns angeregt unterhalten hatten, in einen Erzählstrang gefasst. Es war ein tolles Gefühl, das Stück - zumindest in der Theorie - schon in der Hand halten zu können! Jedoch war der praktische Entwicklungsprozess alles andere als leicht. Aus einer fremden Text-Idee heraus Choreografien zu entwickeln, habe ich mir nicht so schwierig vorgestellt. Jede Entscheidung absprechen zu müssen, oft mit der Erschwernis eines unterschiedlichen Verständnisses der Sprache oder eines anderen Musikempfindens, ist anstrengend - für beide Seiten. Dazu kommt die Angst, den Erwartungen des Theaters nicht zu entsprechen. Immerhin möchte ich hier auch Türen öffnen, damit zeitgenössische Zirkusstücke in Zukunft wie selbstverständlich im Theaterprogramm stehen. Aber das alles gehört zu jedem Kreationsprozess dazu. Konflikte entstehen einfach. Wenn es keine zwei Köpfe sind, die etwas anderes wollen, dann ist der Konflikt im Inneren eines Kopfes.
Dank der Förderung des Bundeskanzleramts war ich in der Lage, mit einem Produktionsteam zusammenzuarbeiten; eine Regisseurin, eine Regie-Hospitanz, eine Bühnen- und Kostümbildnerin, sowie ein Musiker – jedeR von ihnen hat seinen Teil zum Gelingen des Stücks beigetragen. Vor allem die Teilung der Hintergrundarbeit, wie z. B. das Stück zu bewerben oder Begleitmaterial für das Theater zu schreiben, Proberäume zu organisieren und Probepläne anzufertigen, und vieles mehr, war eine enorme Erleichterung (auch wenn es immer noch erdrückend viel Zusatzarbeit ist und zu kontraproduktiven Erschöpfungszuständen geführt hat).
In der Finalphase des Entstehungsprozesses, in der das Stück quasi schon fertig war und nur noch ein letzter Feinschliff gemacht werden musste, wurde mir plötzlich wieder bewusst, wie großartig diese Arbeit ist. Und ich freue mich schon darauf, das Stück in den kommenden Jahre in Österreich und Europa zu touren! Mein Wunsch ist es, dass sich das Bewusstsein für Zirkus in Österreich noch mehr wandelt, sodass ich in zehn Jahren als Reaktion auf meinen Beruf nicht mehr höre: „Ach so, geht das denn?“. Na klar geht das!
Arne Mannott, Verein ZirKultur
Dem viel bekannten Bild des verzweifelten Starrens auf das weiße, leere Blatt am Anfang einer neuen Arbeit bin ich zum Glück noch nicht begegnet. Eher ergeht es mir so, dass ich mich ein wenig zusammenraufen und für eine Idee oder ein Material (bzw. ein Objekt) entscheiden muss, damit ich mich im Laufe der Produktion nicht verliere.
In den meisten Fällen ist es nicht so, dass die Produktion an Tag X beginnt und ich ab diesem Zeitpunkt beginne, mit dem Material zu arbeiten, sondern genaugenommen gehen den Kreationen monate- und jahrelange Recherchen und Trainings voran. Sobald ich eine Rohversion eines neuen Stücks fertig ausgearbeitet habe, lade ich Leute ein, sich dies anzuschauen und mir ihre Meinung kundzutun. Hier hat es sich als vorteilhaft erwiesen, sowohl Feedback von Fachleuten und KollegInnen, als auch von „LaiInnen“ zu bekommen. Ich bin der Meinung, dass Kunst nicht nur von den immer selben Leuten (der „Szene“) konsumiert werden sollte, sondern offen und zugänglich bleiben muss, um die bzw. den durchschnittlicheN MitbürgerIn erreichen zu können. Die von dem heterogenen Mini-Publikum gegebenen Rückmeldungen versuche ich einzubauen, bevor ich eine vorläufige Endversion auf eine richtige Bühne bringe. Bei diesem ersten „Testlauf“ vor größerem Publikum achte ich besonders auf die Publikumsreaktionen und versuche herauszufinden, was funktioniert und was nicht.
Primär arbeite ich als Jongleur und bin fasziniert von den schier unendlichen Möglichkeiten der Objektmanipulation und deren Potential zur Verschmelzung mit anderen Kunstformen. Mein Hang zum interdisziplinären Arbeiten, in Verbindung mit dem Frust über eine kaum vorhandene Zirkusinfrastruktur in Wien, haben mich dazu bewogen, vermehrt Kooperationsprojekte mit Institutionen aus der Tanz- und Performanceszene zu realisieren. So erhielt ich 2016 u.a. eine Residenz des „Tanz*Hotel“ in Wien und hatte dort die Gelegenheit, über 2 Monate in Ruhe an einer Kreation zu arbeiten. Der künstlerische Leiter des „Tanz*Hotel“, Bert Gstettner, stand mir währenddessen als Choreograph und Tänzer zur Seite. Sein Team koordinierte darüber hinaus die Probezeiten und Aufführungen und nahm mir damit dankenswerterweise die Arbeit ab, die in intensiven Kreationsphasen oft noch einen Zuwachs an Stress verursachen und von der eigentlichen künstlerischen Arbeit ablenken.
Des Weiteren arbeite ich momentan mit der finnischen Tänzerin und Performancekünstlerin Elina Lautamäki zusammen. Glücklicherweise haben wir von September bis Dezember 2016 eine Residenz von „Arbeitsplatz Wien“ bekommen. Bedenkt man, dass ein intensiver Kreationsprozess die Einkommensmöglichkeiten reduziert, kann man sich umso besser vorstellen, was für eine enorme finanzielle Entlastung es ist, kostenfreien Zugang zu Proberäumen zu haben. Ich erachte es als äußerst wichtig, dass KünstlerInnen nicht immer nur für die nächste Aufführung proben, sondern Zeit und Mittel bekommen, Experimente und Recherchen zulassen zu können. Zumal, und das soll hier betont werden, Residenzen und Zusammenarbeiten mit bestehenden Institutionen natürlich auch bedeuten: Vernetzung, Kennenlernen von KoproduktionspartnerInnen, Fachleuten und Gleichgesinnten, Feedback, und, nicht zuletzt, künstlerischer Austausch! Dinge, die ebenso wichtige Elemente in einer adäquaten Infrastruktur für den Zirkussektor darstellen sollten. Gerade eine junge zeitgenössische Zirkusszene, wie die österreichische, könnte hierdurch einen nicht zu unterschätzenden Auftrieb erfahren.
AutorInnen:
Arno Uhl hat nach seinem Geschichtsstudium die Zirkus- und Theaterschule „CAU“ in Granada absolviert. Er ist Mitbegründer vom Curious Circus Collective (C3), dada zirkus und der VarietEKH. www.dadazirkus.at
Christiane Hapt und Sebastian Berger arbeiten seit mehreren Jahren weltweit als professionelle, selbstständige ArtistInnen im Bereich der Objektmanipulation. www.fenfire.at
Ruth Biller ist eine österreichische Zirkuskünstlerin, welche 2011 ihren staatlichen Abschluss an der Etage (Schule für darstellende Künste) in Berlin machte. www.momomento.com
Arne Mannott ist freischaffender Zirkuskünstler und autonomer Kulturarbeiter. www.arnemannott.de
Fotos: © Olivier Grascoeur, Anna Sans, Fenfire, He Shao Hui, Isabella Hewlett