Arbeiten wie noch nie!?

„Arbeit“ ist zutiefst verwoben mit Identität, Anerkennung und (symbolischer) Teilhabe an Gesellschaft.

„Bei uns gab es einen Rhythmus, da musste ich 13 Wochen Nachtschicht arbeiten. Danach bist du kein Mensch mehr.“ (Ein 36-jähriger Karosseriearbeiter, 65)

Wir sind durch und durch durchwirkt von der Arbeitsprogrammatik, was meint, dass Arbeit seit der Neuzeit, also im Laufe der kapitalistischen Entwicklung, zu unserem zentralen Weltverhältnis avanciert ist. „Arbeit“ ist zutiefst verwoben mit Identität, Anerkennung und (symbolischer) Teilhabe an Gesellschaft.

Eine der Grundfrage des Bandes ist jene, ob „Arbeit“ die zentrale Kategorie für gesellschaftliche Gestaltung darstellt, also letztlich Freiheit bedeutet (mit Marx), oder ob sie als das Paradigma der Moderne eine Zwangsveranstaltung ist, die sinnvolle Tätigkeiten (mit Arendt) völlig verdrängt hat. Zudem ist zu der (historischen) Spaltung in entfremdete Industriearbeit und unbezahlte Reproduktionsarbeit noch die neoliberal erzwungene Erwerbslosigkeit hinzugekommen mitsamt der Ausweitung des Niedriglohnsektors.

Der Reader möchte eine Diskussionsgrundlage für eine dringend notwendige Reorganisierung von Arbeits- als Gesellschaftsverhältnissen anbieten, zum Umdenken auffordern und Übergangsmodelle skizzieren, um die kapitalistische Systemlogik zu überwinden. Der umgreifenden Rat- und Tatlosigkeit soll mit Kritik am historisch Gewachsenen als Humus für wünschenswerte Utopien begegnet werden; wie z. B. Zusammenarbeit statt Arbeitsteilung.

Hierzu bilden die Beiträge (aus Österreich und Deutschland) die Ideen- und Realgeschichte unserer Arbeitswelten ab. Beginnend mit einem wirklich gut lesbaren Überblick (Sabine Gruber) über zentrale Wirtschaftstheorien (Nationalökonomik, klassischer Liberalismus, neoklassische Theorie, marxistische Kritik der Politischen Ökonomie); über die detaillierte Beschreibung (Bernd Röttger) der – mit Marx, Luxemburg und Gramsci zu kritisierenden – Geschichte und Gegenwart der Arbeiterbewegung; über die Erfahrungen (auch anhand von Interviews mit ArbeiterInnen der Autoindustrie) in einer immer defensiver werdenden Gewerkschaft (Stephan Krull), die mit Devisen von „Standortsicherung“ und „Wettbewerbsvorteil“ über den Tisch gezogen wurde; über die in den klassischen Theorien und Herrschaftspraxen ausgelassenen „Anderen“ (Frauen als Zu- oder Kleinverdienerinnen/unbezahlte Putz- und Carearbeit; MigrantInnen als ArbeiterInnen „zweiter Klasse“), was nur über Chance auf einen Arbeitsplatz und gleiche Bezahlung gelöst werden könne (Alexandra Weiss); über die grundsätzliche Kritik am Arbeitsparadigma selbst (Johanna Riegler), dass sich die Arbeit zum sinnentleerten Selbstzweck des modernen Menschen entwickelt hat, da die permanente Produktivitätssteigerung Arbeit eigentlich überflüssig macht und – statt dies (durch ein Grundeinkommen) zu affirmieren – Arbeitslose als „Sozialschmarotzer“ diffamiert werden; über die vieldiskutierte Vier-in-einem-Perspektive (Frigga Haug), die eine gleiche Aufteilung und Verknüpfung von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit sowie kulturelle Entwicklung und Politik von unten für alle konzipiert; über einen spannungsgeladenen Dialog (Haug/Riegler) zur Frage der Befreiung der Arbeit oder Befreiung von Arbeit; über Möglichkeiten, die Alternativlosigkeit in Zeiten der argumentativen Reduktion auf ökonomische Sachzwänge zuallererst durch Selbstreflexion zu überwinden (Beschreibung einer Utopiewerkstatt); bis hin zu Vorschlägen zur kollektiven Handlungsfähigkeit, gewährleistet u. a. durch kontinuierliches Einkommen aus Lohnarbeit und Grundeinkommen und gemeinschaftlich verwaltete Besitzverhältnisse – geht die aufschlussreiche Lesereise. „Arbeiten wie noch nie!?“ verweist zugleich auf Gegenwartsdiagnostisches wie auf notwendig zu konkretisierende Entwürfe anderer Lebensformen. „Kapitalismus abschaffen – Alles muss man selber machen!“

 

Sabine Gruber, Frigga Haug, Stephan Krull (Hg.): Arbeiten wie noch nie!? Unterwegs zur kollektiven Handlungsfähigkeit. Berlin/Hamburg: Argument Verlag 2010