Streifen und Glätten 1 & 2
Gerald Raunig: Fabriken des Wissens bzw. Industrien der Kreativität. Streifen und Glätten 1 & 2. Zürich: diaphanes 2012
Gerade die politischen Ereignisse jüngeren Datums – von den Uni-Besetzungen bis zu Occupy Wallstreet, vom Tahrir-Platz bis zur Puerta de Sol – zeugen von der Notwendigkeit einer Wiederaneignung von Raum und Zeit als zentrale Aspekte selbstbestimmter Organisations- und Lebensformen. Vom darin enthaltenen Glätten und Streifen neuer Subjektivierungsweisen, vom Ineinandergreifen von Reterritorialisierung und Deterritorialisierung, von der zunehmenden Verschränkung von Disziplin und Kontrolle in einem neuen Modus der Modulation – davon handeln die beiden kürzlich erschienen Büchlein von Gerald Raunig. So zeichnen sich die heute vorherrschenden Modi der Subjektivierung ja nicht mehr alleine durch bloße Repression, sondern genauso durch neue Formen der Selbstregierung aus. Das heißt nicht, dass die gouvermentale Logik der (Selbst-)Disziplinierung verschwunden ist, genauso wenig wie die Fabrik als kapitalistisches Symbol der Unterwerfung, sondern beide existieren weiterhin fort, allerdings nunmehr unter weitgehend deterritorialisierten Bedingungen einer postfordistischen Produktionsweise. Angesichts dieser dienstbaren Deterritorialisierung fragt Raunig nach den Möglichkeiten einer politischen Reterritorialisierung: Ziel ist der Nachweis neuer Widerständigkeiten in Raum und Zeit, um eben nicht dermaßen in Dienst genommen, nicht dermaßen regiert zu werden.
Im ersten Band geht es um die „Fabriken des Wissens“ als Orte der Reterritorialisierung. Insbesondere die Universität zeigt sich hier als möglicher Schauplatz widerständiger Praxen, zumal sie in den letzten Jahren von verschiedenen Wiederaneignungsbewegungen heimgesucht wurde. Das Potenzial neuer Subjektivierungsweisen und Widerstandsformen ist allerdings nur unter Berücksichtigung des neuartigen Modus der Modulation, also der beständigen Wechselwirkung von (Selbst-)Disziplin und (Selbst-)Kontrolle zu verstehen. Denn „die pure Anrufung von Dezentralität, Deterritorialisierung und Zerstreuung reicht nicht aus, um Fluchtlinien aus dem Gefüge von sozialer Unterwerfung und maschinischer Selbstregierung zu ziehen“ (S. 53). Im Gegensatz zu den subversionstheoretischen Ansätzen der 1990er-Jahre, als die damals populäre Figur des (Medien-)Guerilleros den Herrschenden immer schon einen Schritt voraus war, geht es hier um die Rückbesinnung auf politische Organisationsformen. Nicht die subversive Affirmation einer vermeintlich deterritorialisierenden Zentrifugalkraft, sondern umgekehrt die räumliche Versammlung ist zentral für ein widerständiges Handeln. Damit wird die Universität als Wissensfabrik zu einem möglichen Ort der Verdichtung, der selbstbestimmten Streifung des Raums.
Der zweite Band untersucht die „Industrien der Kreativität“ und ihre Herkunft aus der zunehmenden Inwertsetzung von Intellekt und Sprache, Information und Kommunikation, Einbildungs- und Erfindungskraft. Die Fabrik als Symbol der Rasterung und Standardisierung von Zeit breitete sich mit der postfordistischen Deterritorialisierung auf beinahe alle Lebensbereiche aus – und damit eben auch ein entgrenztes Zeitregime, wie es nicht zuletzt im Konzept der Creative Industries zum Ausdruck kommt. Gerade im kulturellen Feld verschwimmt die Grenze zwischen Arbeits- und Freizeit, zwischen Produktion und Reproduktion zunehmend, weshalb hierin auch die Vorhut einer postindustriellen Subsumption des Lebens gesehen werden kann. Raunigs Coup besteht nun darin, dass er den anachronistisch anmutenden Begriff „Industrie“ re-aktualisiert: Ausgehend von der lateinischen Bedeutung als einer eifrigen Tätigkeit, wendet er die industria zu einer erfinderischen und wilden Wiederaneignung der Zeit. Dieser „industrial turn“ schafft die Voraussetzungen für einen (molekularen) Aktivismus, der letztlich eine selbstbestimmte Reterritorialisierung von Zeit und Raum ermöglicht.
Gerald Raunig: Fabriken des Wissens bzw. Industrien der Kreativität. Streifen und Glätten 1 & 2. Zürich: diaphanes 2012