Wir Lebenskünstler
Zygmunt Bauman setzt in seinem aktuellen Buch „Wir Lebenskünstler“ sein zeitdiagnostisches Werk fort. Der soziologische Essay nimmt sich die Frage zum Ausgangspunkt, was gegenwärtig mit dem Glück nicht stimme.
Zygmunt Bauman setzt in seinem aktuellen Buch „Wir Lebenskünstler“ sein zeitdiagnostisches Werk fort. Der soziologische Essay nimmt sich die Frage zum Ausgangspunkt, was gegenwärtig mit dem Glück nicht stimme. Dass diese Frage, eigentlich ein Paradoxon, überhaupt auftauchen konnte, liegt laut Bauman an der offensichtlichen Nicht-Einhaltung eines gesamtgesellschaftlichen Versprechens: Je mehr ökonomisches Wachstum, desto mehr Glück. An diesem Versprechen hätten in den letzten Jahrzehnten Regierungen ihre Programme ebenso ausgerichtet wie Individuen ihr Handeln. Bei dem Versuch, über steigendes Einkommen Glück zu generieren, würden die Gewinne mittlerweile von den Verlusten übertroffen, die durch mangelnden Zugang zu Gütern ausgelöst würden, die sich eben nicht mit Geld kaufen lassen.
Warum aber widmet sich Bauman überhaupt der Suche nach Glück und warum geschieht dies unter dem Titel „Lebenskunst“? Die Gegenwartsgesellschaften zeichneten sich dadurch aus, dass sich Chancen wie Risiken individueller Lebensgestaltung in nie da gewesener Vielfalt darböten und individuelle Entscheidungen erforderten. Als Soziologe untersucht Bauman die (gesellschaftlichen) Rahmungen dieser (individuellen) Entscheidungen, die – geleitet von der Suche nach Glück – immer auch mit der Verantwortung für die Konsequenzen, die aus ihnen folgen, konfrontiert sind. In einer Watzlawik´schen Formulierung ließe sich Baumans zentrale These wie folgt fassen: Man kann heutzutage nicht nicht Lebenskunst betreiben. Die permanente Gestaltung des Lebens erscheint wie die Erfüllung jener Träume, die die künstlerischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts angetrieben habe. Leben heute erscheint als immer-währendes Experiment, nur zu bewältigen mit ständiger Kreativität, daran ausgerichtet, im Moment zu leben und keine Spuren zu hinterlassen. Ähnliche zeitgenössische Thesen zur gesamtgesellschaftlichen Durchsetzung originär künstlerischavantgardistischer Ziele, wie sie beispielsweise Luc Boltanski und Ève Chiapello, Paolo Virno oder Andreas Reckwitz vertreten, greift Bauman leider nicht auf.
Dass es auch auf gesellschaftlicher Ebene Strategien gibt, auf die gesteigerte Individualisierung zu reagieren, hebt Bauman jedoch explizit hervor – und indem er das von neoliberalen PolitikerInnen von Margaret Thatcher bis Nicolas Sarkozy oder Philosophen wie Francis Fukuyama konstatierte „Ende der Ideologien“ als neue Ideologie beschreibt, bezieht er auch politisch Stellung. Die von jenen vertretene Ideologie der Privatisierung sei vor allem dazu angetan, die Spaltungen der „Konsumgesellschaft“ zu verschärfen. Insgesamt bleibt Baumans politischer Standpunkt aber ambivalent. Denn seine häufig klagenden Befunde haben hin und wieder auch ein konservatives Moment. So ist bspw. seine Kritik daran, dass Geschäfts- und Arbeitsbeziehungen heute wie Liebesbeziehungen eingegangen würden, insofern zweischneidig, als er ausklammert, dass solche Beziehungen auch von Macht durchzogen sind.
Für KennerInnen von Baumans Werk enthält dieses Buch viel Bekanntes, allerdings ist die Neuzusammensetzung bereits veröffentlichter Gedanken dennoch als gelungen zu bezeichnen. Denn – im Gegensatz beispielsweise zu „Liquid Fear“ – ist die Argumentation relativ konsistent und steht nicht in offenem Widerspruch zu vorher getätigten Aussagen. Somit kann dieses Buch auch als Einführung in das Denken Zygmunt Baumans fungieren. Die fehlende Bezugnahme auf soziologische Ansätze mit vergleichbaren Thesen ist bedauerlich und erfordert eine dringende Kontextualisierung.
Zygmunt Bauman: Wir Lebenskünstler Frankfurt/M.: Suhrkamp 2010