Soziale Verschlechterung besiegelt: AMS & Zuverdienstverbot ab 1.1.2026
Nationalrat vergibt letzte Chance auf rechtzeitige Reparatur – atypische Erwerbsrealitäten werden ignoriert, auch in Kunst und Kultur. Pressemitteilung des Kulturrat Österreich vom 12.12.2025
Der Nationalrat hat gestern das weitgehende Zuverdienstverbot zum Arbeitslosengeld ab 1.1.2026 bestätigt. Die Chance, das Gesetz vor Inkrafttreten grundsätzlich zu reparieren, haben die Abgeordneten trotz eindringlicher Warnungen vergeben. Damit verschlechtert sich die soziale Absicherung von Arbeitslosen – besonders jener, die bereits jetzt am finanziellen Limit leben, wie alle Studien belegen: Frauen, Alleinerziehende, Armutsbetroffene sowie Menschen mit atypischen Erwerbsrealitäten und sehr geringem Arbeitslosengeld, das nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts ausreicht.
Aus für Zuverdienst drängt Arbeitslose in die Sozialhilfe
Das Verbot schafft weder budgetäre Spielräume noch stärkt es Arbeitsmarktintegration. Es zwingt Arbeitslose mit niedrigem Arbeitslosengeld in die Mindestsicherung bzw. Sozialhilfe auf Länderebene, statt ihnen zu ermöglichen, selbst durch geringfügige Tätigkeiten das zur Sicherung des Lebensunterhalts notwendige Zusatzeinkommen zu erwirtschaften und am Arbeitsmarkt sichtbar zu bleiben. Besonders betroffen sind Frauen: Die Hälfte der arbeitslosen Frauen mit geringfügigem Zuverdienst erreicht durch diese Kombination überhaupt erst ein Einkommen knapp über der Armutsgrenze!
Besonders betroffen sind auch Branchen mit komplexen, hybriden oder unregelmäßigen Beschäftigungsformen – darunter Kunst und Kultur, wo kurze Anstellungen, projektbasierte Tätigkeiten und parallele Einkommen strukturell bedingt sind.
Zora Bachmann (Dachverband der österreichischen Filmschaffenden): „Dieses Gesetz verschärft Armutslagen – nicht nur, aber besonders für Menschen in Kunst und Kultur, wo atypische Arbeitsverhältnisse längst zur Norm geworden sind. Das ist der Politik bewusst. Atypische Beschäftigung betrifft inzwischen mehr als ein Drittel aller unselbstständig Erwerbstätigen – vielfach nicht weil sie es wählen, sondern weil der Arbeitsmarkt es von ihnen verlangt.“
Aus für Zuverdienst verhindert Arbeit
Eine soziale Absicherung, die diesen Realitäten entspricht, ist längst überfällig. Das neue Gesetz erhöht jedoch Prekarität und widerspricht klar dem Ziel der Koalitionsparteien im Regierungsprogramm, die sozialrechtliche Absicherung von Künstler_innen und Kulturarbeitenden zu verbessern und dabei „die besonderen Erwerbsrealitäten und den damit einhergehenden arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen“ zu berücksichtigen.
Daniela Koweindl (IG Bildende Kunst): „Geringfügige Beschäftigungen und Aufträge sind typischer Bestandteil von komplexen Berufsrealitäten in Kunst und Kultur. Ein Artist Talk, ein Drehtag für einen Werbeclip, ein DJ-Act für eine Stunde, eine Untertitelung für einen Trailer – das sind und werden keine vollversicherten Beschäftigungen. Aber kontinuierliche berufliche Präsenz fördert, in eine solche zu gelangen. Geringfügige Engagements müssen daher auch in Phasen von Arbeitslosigkeit möglich sein.“
Kulturminister Andreas Babler zum Aus für Zuverdienst: „das richtige Ziel“
Der Kulturrat Österreich und Interessenvertretungen in Kunst und Kultur haben in den vergangenen Wochen die Politik auch mit Offenen Briefen adressiert. Kulturminister Andreas Babler hat gestern reagiert und seine grundsätzliche Unterstützung für das Aus zum Zuverdienst betont: „Die Novelle des Arbeitslosenversicherungsgesetzes verfolgt das richtige Ziel, Menschen in stabile Beschäftigung zu bringen.“ Gleichzeitig räumt Kulturminister Babler jedoch selbst ein, dass „typische Erwerbsbiografien für Kunst- und Kulturschaffende nicht gelten“. Als Lösung wird darauf verwiesen, dass das Kulturressort gemeinsam mit dem Sozialministerium an „tragfähigen Regelungen“ arbeite, auch über die Frage der Zuverdienstmöglichkeiten hinaus.
Diese Ankündigung ändert jedoch nichts an den bevorstehenden Verschlechterungen ab 1.1.2026. Eine Positionierung zu den konkreten sozialen Folgen des Zuverdienstverbots – und zu den notwendigen kurzfristigen Korrekturen – steht bis heute aus.
Wir fordern daher weiterhin – auch mit Blick auf die nächste Nationalratssitzung – eine Rücknahme der Änderungen im Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG):
Geringfügiger Zuverdienst zum Arbeitslosengeld muss weiterhin möglich sein!
Zumindest bei Arbeitslosengeld unter der Armutsgefährdungsschwelle. Wir fordern keine Sonderregeln für Kunst und Kultur – Ausnahmen wären weder zielführend noch praktikabel. Was es braucht, ist eine sofortige Reparatur des Gesetzes.
„Das Zuverdienstverbot gefährdet Existenzen, hält Arbeitsuchende vom Arbeitsmarkt fern, destabilisiert Erwerbsbiografien und trifft jene am härtesten, die ohnehin über keine stabilen Ressourcen verfügen. Die Bundesregierung muss handeln“, so Yvonne Gimpel (IG Kultur Österreich) abschließend.
Weitere Informationen:
➔ Zuverdienst beim AMS muss möglich sein! (Offener Brief vom 27.10.2025) – inklusive Reaktionen von Sozialministerium und auf Nachfrage an Vizekanzler und Minister für Kunst und Kultur Andreas Babler aus dem BMWKMS
➔ Stimmen gegen die Abschaffung von Zuverdienstmöglichkeiten am AMS: Künstler_innen, Kulturarbeiter_innen und andere zeigen, wieso es mit dem Aus von Zuverdienst zu radikalen Einschränkungen in der sozialen Absicherung für atypisch Arbeitende kommt.
➔ Weitere Beiträge/Medienartikel/Ressorcen zum Thema
➔ Toolbox: Gemeinsam für Zuverdienstmöglichkeiten zu Arbeitslosengeld!
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Der Kulturrat Österreich ist der Zusammenschluss von Interessenvertretungen in Kunst, Kultur und Freien Medien. Gemeinsam vertreten diese IGs rund 5.500 Einzelmitglieder sowie 70 Mitgliedsverbände mit deren 360.000 Mitgliedern, über 1.000 Kulturinitiativen und 16 freien Rundfunkstationen.
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