Normalfall Kärnten/Koroška 

Im Sinne der „Kulturarbeit im Kontext zur slowenischen Volksgruppe“ sehe ich mich im „Spiegel der Zeit“ an meinem Ausgangspunkt angekommen, als mir beim Schuleintritt die bis dahin gesprochene Umgangssprache aberkannt, das Slowenisch zur lebenden Fremdund die mir bis dahin fremde deutsche Sprache zur „Ordnungsund Staatssprache“ erklärt wurde. Bereits vor dieser mir damals unverständlichen Neuausrichtung wusste ich so manches über das karge Bergbauernleben, vom Harz der Fichtenäste in den Hosensäcken, vom Händewaschen mit Speckschwarten und die schweißigen Gummistiefel, die brutal ausgetragenen Zerwürfnisse der Erwachsenen in der Küche oder im Gasthaus über das wenige Hab und Gut oder das viele „Nichthab und Nichtgut“ sowie über das Sterben Zuhause oder in der Nachbarschaft mit oder ohne slowenisches Gebet – der Erfrorene übersehen im Graben oder die Andere zu spät entdeckt mit dem Hals im Hanfstrick eingezwängt unter dem körpertragenden Holzbalken. 

Zitat Brecht

Bis zu dem Zeitpunkt, als mir die slowenische Umgangssprache abhanden kam, wusste ich allerdings auch schon zu berichten über das Lagerleben im KZ Ravensbrück – ohne zu wissen, wo es liegt oder dass ich jemals dort gewesen wäre – über die Überlebenden des Krieges und deren Klagelieder, über die letzten noch verbliebenen Knechte und Mägde, welche sich unter anderen verkrochen im Keller der nachbarlichen Holzsäge mit Dieselmotorantrieb oder mit Büscheln von Gras im Bett im Stall meiner Eltern, neben der wiederkäuenden Pinzgauerin „Regina“ vergnügt ihren eigenen Hunger stillten und nachdem Rülpser sich ihr Interesse dem zuallererst schmerzhaften und nun lustvollem Aufbrechen der sich selbst vor langer Zeit zugefügten Wunden am eigenem Körper zuwandte und ab da gab als es kein Zurück mehr, bis der Lustschrei folgte und alles im trüben Nebel versank. Das mir bis dahin auferlegte Beten beim Tisch, im Bett, am Ofen, bei der Hochzeit der Nachbarin, nach der Beichte in der Kapelle der Pestheiligen, während der Schinkenund Wiesenweihe tagsüber und beim Sterben der Großmutter, bei allen anderen die starben oder schon tot waren, an der Bahre und bei der Verabschiedung der Särge durch das Fenster verspürte ich die ständig erdrückende Angst im Nacken, beim bevorstehenden „Austreten“ aus der Runde mit der Hand am Glied lebenslang ein Sünder zu sein. Das verzweifelte Rundumschlagen mit Bein und Arm riss mich los von der Enge und gewährte mir den Blick über die Hügelkette auf das dahinterliegende Tal. Aber auch die dort ansässige, meistens nationalgedeutete Umgangssprache der Talbewohner war eine andere als die in meiner Erinnerung. In tiefster Verzweiflung nahm ich die „Knopferlharmonika“ zu Hand und begann darauf zu spielen, bis sie zu tanzen begannen, alle, eine Nacht lang, tagelang über Jahre hinaus taumelten sie nach meiner rhythmischen Vorgabe und erfreuten sich ihrer ausgelebten Sehnsüchte, bis eines Tages die Luft im Balg versiegte und ich selbst zu tanzen begann. 

allerdings war meine Freude darüber nicht die des damaligen Landeskulturreferenten. Er schlug mir vor, etwas Vernünftigeres zu unternehmen als mich in der Tanz-Theaterkunst zu behaupten, für die er so oder so kein Geld zur Verfügung habe. Also ließ ich trotzdem weiter tanzen bis sodann der Bischof auf den Plan kam und zur „Heiligen Allianz“ gegen die blasphemischen Ausfälle in der Kunst im Lande aufrief. Ich selbst füllte mich davon nicht angesprochen, nein, ganz sicher nicht, ich kann es nicht gewesen sein, der jahrelang als Ministrant so viel Gotteskontakt hatte und später auf den Brettern und geklebten Kunstbelägen den Kirchenheiligen Choreographien beizubringen vermochte... Dann folgte das Aufbegehren der „bürgerlichen Frauenschaft“ von Klagenfurt mit ihrem damaligen Bürgermeister in der Mitte – der Vorwurf lautete, meine Arbeit verstoße gegen das Gleichheitsprinzip der Frau in der Gesellschaft – und die darauf folgende Auszeichnung mit den „Frauenkulturpreis“ der sozialdemokratischen Frauen, ließen mich an meiner „künstlerisch-umtriebigen Tätigkeit“ weiter nicht zweifeln. Erst als die „tausendjährige Ehrenwertgesellschaft“ die Absetzung eines meiner Tanztheaterstücke am Landestheater im Kärntner Landtag durchsetzte und ein Jahr später meine Tätigkeit in einem eigens eingerichteten Tribunal im Klagenfurter Magistrat „als in Zukunft nicht mehr geduldete Kulturarbeit in Kärnten“ proklamiert wurde, war mir klar, ich muss gehen, das Land verlassen – dorthin, wo keine Sprache sich hält auf Dauer und sich alles zu kreisen begann, würde es da nicht den Wink meines Vaters vom Sterbebett aus geben Jahre später – zu spät angekommen! Und wieder nichts! 
einzig das auslüften und das neuordnen der Familiengeschichte blieb mir erhalten, bis kein Raum, nicht die Landschaft und nicht der Innenraum blieben, wie sie waren – in meiner Erinnerung! Und mir wurde ebenfalls klar, dass alle meine Lebensjahre davor und die – oftmals von der Öffentlichkeit überschätzte – kulturelle und künstlerische Tätigkeiten in Kärnten/Koroška eine immer wieder überaus willkommene Projektionsfläche für sämtliche Kleingeister und deren Nationalismen war. Mit der Aberkennung von kollektiven Rechten durch meine Nichterfüllung der kollektiven Pflichten an der slowenischen Volksgruppe (welche Pflichten und Rechte damit gemeint waren, ist mir noch heute nicht klar) war ich in meine, bereits vergessene Umgangssprache wieder heimgekehrt. Darin bestärkt sehen mich ebenfalls die wenigen, vorm Aussterben bedrohten deutschnationalen Heiligengralswächter, für die allein meine Anwesenheit auf ihre Reihen volkszersetzend sich auswirken soll – schöner Traum! Und dennoch, seit der politischen Wende in Kärnten 2013 träume ich nicht nur, sondern glaube auch an eine mündige, von jeglichem Nationalismus befreite Gesellschaft in Kärnten und einen wesentlichen Beitrag dazu leisten vor allem die Kultureinrichtungen, welche ihre Kulturarbeit in den Kontext der slowenischen Sprache wie auch umgekehrt verstehen.