Kulturrisse 04/03

Kärnten ist, wie Sie wissen, ein Land verschärfter Gegensätze und Widersprüche. Manches verhält sich hier zu einander wie Pech und Schwefel, das sich woanders wohl verträgt. Die deutschsprachige Mehrheitsbevölkerung und die slowenische Minderheit zum Beispiel oder die Künstler und die Kulturpolitik.
Die Geschichte der Diagonale ist eine Chronologie von Brüchen und Interventionen. Unbestritten ist, dass es den IntendantInnen Christine Dollhofer und Constantin Wulff mit viel Empathie und Verve gelungen war, während ihrer sechsjährigen Tätigkeit eine Veranstaltung in Graz zu etablieren, deren Akzeptanz nicht zuletzt durch ihre Kontinuität ermöglicht wurde.
Das Mediencamp stand zwischen dem 27. Juni und dem 27. Oktober 2003 am Wiener Karlsplatz, neben dem project space der Kunsthalle Wien. MALMOE, Public Netbase, IG Kultur Wien, Radio Orange 94.0 und PUBLIC VOICE Lab hatten in einem "symbolpolitischen Akt zivilen Ungehorsams" eine Brache neben der Kunsthalle geentert.
Schon bei der Eröffnung des Festivals in Wolfsegg kam es zu ersten Verwerfungen: Statt die Kunst der Feindschaft zu zelebrieren, hatten die Festival-MacherInnen wie gewohnt den Kulturreferenten Pühringer zur Eröffnung eingeladen (kann mir bitte mal wer erklären, warum in aller Welt ein in Kunstfragen dilettierender Landeshauptmann ein Kunstfestival eröffnen muss?), gegen den 2000 in den Kunstinstitutionen entwickelten breiten Konsens, PolitikerInnen der Regierungsparteien keine Repräsentationsflächen zur Verfügung zu stellen. Ein gefundenes Fressen für die Karawane, die den Landeshauptmann mit überaffirmierenden Parolen wie "Josef, wir lieben dich" oder "Pühringer, du geile Sau" begrüßte.
"KünstlerInnen reagieren nach dem Tod von Seibane Wague" stand auf einem Flyer, den einige UnterzeichnerInnen dieses knappen Statements während der Demonstration mit der zentralen Forderung "Gerechtigkeit für Seibane Wague", "Gegen den institutionellen Rassismus" am 25. Juli verteilten. Zehn Tage zuvor war Seibane Wague beim Afrikadorf im Wiener Stadtpark unter aufklärungsbedürftigen Umständen während der Gewaltanwendung durch Polizei und Rettung gestorben.
Vier Jahre Schwarz-Blau haben nicht nur Spuren in der offiziellen Politik des Landes hinterlassen. Auch die außerparlamentarische Opposition verschiedenster Gruppen und Zusammenhänge hat sich verändert: Von der Euphorie des "Widerstands" zu weitaus weniger spektakulären Aktions- und Kooperationsformen. Anhand der Fortsetzungsgeschichte von gettoattack lassen sich dabei sowohl die Veränderungen in der "objektiven" Lage als auch "subjektive" Lernprozesse von AktivistInnen beobachten und vielleicht sogar Lehren ziehen.
Ich erinnere mich an den Wahlabend. Gemeinsam mit älteren Bekannten, zumeist arrivierten Journalisten und Journalistinnen, sah ich die Fernsehübertragung, und als ich von der Notwendigkeit sprach, unseren Protest zu artikulieren, griffen sie sich an den Kopf. Bloß nicht, meinten sie. Nun habe man verloren und müsse sich mit dieser Niederlage abfinden.
In der Tat, Wolfgang Schüssel wurde nicht eine Art von Papen oder von Schleicher. Obwohl Jörg Haider in Interviews angekündigt hatte, es sei nach den Wahlergebnissen der Dritte zum Kanzler gekürt worden, das könnte man nach der nächsten Wahl zum Muster nehmen, falls in ihr die FPÖ es nur auf den dritten Platz schaffe, so dass so oder so in nächster Legislaturperiode die FPÖ den Kanzler stellen werde. Und darunter verstand er gewiss sich selber. Das zeigte schon verruchte Parallelen an.
Nein, die Redaktion leidet nicht an Realitätsverlust. Wir haben weder übersehen, dass offiziell keine Wahlen bevorstehen, noch wähnen wir uns mitten in den Donnerstagsdemos, in denen die Anti-Schwarzblau-Stickers Johanna Kandls so unübersehbar die Szenen prägten. Nach langen Jahren der Schwarz-Weiß-Malerei hat das Antlitz der Kulturrisse wieder Farbe gewonnen, weil die schwarzblaue Regierung sich gerade anschickt, die virtuelle Länge einer vollen Legislaturperiode hinter sich zu bringen.